
© IMAGO/ABACAPRESS/IMAGO/Blondet Eliot/ABACA
Paralympics zwischen Sensation und Verschleierung : Auf die Berichterstattung kommt es an
Die Paralympics werden dieses Jahr erstmalig in der Primetime im deutschen Fernsehen übertragen. Damit das Potenzial der Spiele richtig ausgeschöpft werden kann, ist eine bewusste Berichterstattung nötig.
Stand:
Zum allerersten Mal in der Geschichte werden die Paralympischen Spiele, die dieses Jahr in Paris stattfinden, zur Primetime übertragen. Ab dem 28. August heißt es um 20.15 Uhr dann einschalten und 22 verschiedene Para-Sportarten erstmals live im deutschen Fernsehen miterleben.
Diese mediale Aufmerksamkeit für eines der bedeutendsten inklusiven Sportereignisse ist nicht nur längst überfällig, sondern birgt weiterhin ein enormes Entwicklungspotenzial.
In unserer Gesellschaft bestehen nach wie vor einige Tabus rund um das Thema Behinderung. Das spiegelt sich auch in der Medienlandschaft wider. Und zwar, indem Menschen mit Behinderungen gar nicht erst gezeigt werden. Wenn sie doch auftauchen, dann meistens nur im Kontext ihrer Behinderung selbst.
Die Aufmerksamkeit liegt oft eher auf den Lebensgeschichten
Abseits dieser Thematik sind sie in den Medien kaum präsent. Umso wichtiger ist die Entwicklung hin zu einer inklusiveren Gesellschaft, medial sowie in der Realität. Die Live-Übertragung der Paralympischen Spiele dieses Jahr ist ein großer Schritt in die richtige Richtung.
Doch trotz dieser positiven Wendung treten in der Berichterstattung über Events wie die Paralympischen Spiele immer wieder einige Herausforderungen auf. Eine ausgewogene und respektvolle Darstellung ist hierbei entscheidend. Etwa die sportlichen Erfolge der Athleten und Athletinnen in den Vordergrund zu stellen, sollte selbstverständlich sein – ist es aber nicht.
Geschichten mit Dramatik und Schicksalsschlägen verkaufen sich besser. Doch realitätsnah und repräsentativ sind diese Darstellungen nicht.
Anna von Gymnich
Allzu oft liegt die mediale Aufmerksamkeit eher auf den Lebensgeschichten der Menschen, die meistens durch tragische Wendungen und Schicksalsschläge geprägt sind. Die Tatsache, dass die erbrachten Leistungen auch unabhängig von den Behinderungen beeindruckend sind und die gleiche Anerkennung wie die sportlichen Erfolge nicht behinderter Kollegen und Kolleginnen verdienen, wird dabei oft vernachlässigt.
Trotzdem kommt es allzu oft zur sogenannten „Sensationalisierung“ von „human interest stories“, bei denen die Lebensgeschichten der Sportler und Sportlerinnen auf das Ausführlichste aufgearbeitet und präsentiert werden. Fragen wie: „Wie kam es zu der Behinderung?“, oder „War es ein schrecklicher Unfall?“ rücken dabei in den Fokus.
Verschiedene Behinderungsarten werden meist unterschiedlich dargestellt
Solche Berichterstattungen fokussieren sich deutlich auf die Behinderung selbst und lenken von dem ab, was bei den Paralympischen Spielen eigentlich im Zentrum stehen soll – das ist nämlich der Sport selbst. Mitleid ist hier fehl am Platz, wird mit solchen Geschichten aber erzeugt und nimmt den Athleten und Athletinnen einen Teil ihres Erfolges.
Das führt zu einer weiteren Problematik: einer ungleichen Darstellung verschiedener Behinderungsarten. Erworbene Behinderungen, welche im Laufe des Lebens durch Krankheiten, Unfälle oder andere Situationen ausgelöst werden, finden in den Medien eher einen Platz als angeborene Behinderungen.
Der Grund für diese Präferenz ist simpel: Geschichten mit Dramatik und Schicksalsschlägen verkaufen sich besser. Doch realitätsnah und repräsentativ sind diese Darstellungen nicht. Statt zur Normalisierung beizutragen, verstärken sie die Tabuisierung von Behinderungen, indem sie diese weiter als etwas Anderes und Sensationelles darstellen. Normalisierung geht anders.
Auf der anderen Seite kann es auch problematisch werden, wenn die Behinderung der Athleten und Athletinnen so weit in den Hintergrund gerückt wird, dass diese kaum noch sichtbar ist. Zwar liegt der Fokus dann endlich auf den sportlichen Leistungen, es kommt aber auch schnell zu einer nur scheinbaren Inklusion.
Kennen Sie schon unsere Sport-Videos?
Wenn die Behinderungen der Menschen nicht abgebildet werden, wie können sie dann wirklich in die Gesellschaft integriert werden? Die vermeintlich als gelungen dargestellte Inklusion eines Para-Sportlers oder einer Para-Sportlerin verliert an Bedeutung, wenn die Behinderung der Person ausgeblendet wird. Bekannt ist dieses Phänomen unter dem „able-disabled body“ und wird oft als ein fälschliches Paradebeispiel für gelungene Inklusion verwendet.
Deutlich wird hier die Relevanz einer ausgewogenen Berichterstattung: Behinderungen müssen in den Medien sichtbar werden, um sie in der Gesellschaft zu normalisieren. Eine kommerzialisierte, überdramatisierte Darstellung der vermeintlich individuellen „Leidenswege“ ist jedoch der falsche Weg.
Falsch ist es auch, den erbrachten Erfolg der Para-Sportler und Para-Sportlerinnen als Sieg gegen die jeweilige Behinderung darzustellen. Dies vermittelt den Eindruck, die Behinderung wäre etwas Negatives und Einschränkendes – eine nicht sehr offene und inklusive Ansicht.
Es geht darum, Menschen mit Behinderungen nicht als eine Art Supermenschen zu präsentieren, sondern als Menschen mit besonderen sportlichen Talenten, die sie mit viel Disziplin, Leidenschaft und Durchhaltevermögen zu beeindruckenden Erfolgen geführt haben.
Durch die vermehrte Live-Übertragung der Paralympischen Spiele 2024 und die damit zusammenhängende gesellschaftliche Aufmerksamkeit wird ein wichtiger Schritt in eine inklusivere Zukunft im Sport sowie in der Gesellschaft generell getan. Solange der Inhalt dieser Berichterstattung jedoch nicht die nötige Offenheit und Inklusion widerspiegelt, wird auch eine vermehrte mediale Präsenz nicht viel ändern. Qualität entscheidet in diesem Fall eben über Quantität.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: