Sport: Reife Perspektive
Robert Enke kann auch kurzfristig der Nationalelf helfen
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Robert Enke hat in seinem Leben bereits einige echte Prüfungen überstanden, vor allem den Tod seiner kleinen Tochter, die vor einem Jahr nach schwerer Krankheit gestorben ist. Was sind im Vergleich dazu schon die Zumutungen, die ihm die Nationalmannschaft bisher bereitet hat? In beruflichen Fragen hat sich Enke eine gewisse Gelassenheit angeeignet, über seine erste Nominierung für die Nationalmannschaft etwa spricht er inzwischen mit feiner Ironie. 1999 war es, als der Torhüter mit zum Confed-Cup nach Mexiko reisen durfte. Die nach Proporzkriterien zusammengestellte Mannschaft verlor mitten in der Saisonvorbereitung 0:4 gegen Brasilien, 0:2 gegen die USA und blamierte sich auch sonst nach Kräften. „Das war eine Riesenerfahrung für Fußball-Deutschland“, sagt Enke. „Aber ich bin froh, dass ich jetzt auch in der Phase, in der es super läuft, dabei bin und daran partizipieren darf.“
Vermutlich war das keine Ironie, obwohl das Länderspiel gegen Dänemark, in dem Enke nach fast acht Jahren Vorlaufzeit in der Nationalelf debütieren durfte, so etwas wie die Fortsetzung des Confed-Cups ’99 mit moderneren Mitteln war. Bundestrainer Joachim Löw hatte eine wilde Truppe aufs Feld geschickt, das deutsche Nationalmannschäftchen verlor 0:1, und abgesehen vom Kölner Zweitligastürmer Patrick Helmes, der nach seiner Einwechslung mit einer derartigen Wucht spielte, dass er zu drei guten Chancen kam, war Enke von den sechs Neuen der einzige echte Gewinner des Abends. „Er hat sehr gut gehalten und uns vor Rückständen bewahrt“, sagte Thomas Hitzlsperger.
Der Torhüter von Hannover 96 erhielt fast zwangsläufig genügend Gelegenheiten, um seine Qualität zu beweisen, die erste nach einer Minute, als er einen Ball aus dem Winkel wischte. Robert Enke, inzwischen 29, passte schon vom Alter her nicht in die Reihe der Debütanten, und während Helmes, Hilbert, Castro, Rolfes und Kießling lediglich an der Vor- ausscheidung zu „Deutschland sucht den Nationalspieler 2010“ teilnahmen, besitzt Enke jetzt auch kurzfristig eine gute Perspektive.
Spätestens seit Mittwoch verfügt der deutsche Fußball hinter dem Stuttgarter Timo Hildebrand über einen Torhüter 2b, und das eigentlich pazifistische Land wittert angesichts dieser Konstellation bereits einen zweiten deutschen Torwartkrieg mit all seinen medialen Überdrehungen. Doch weder Enke noch Hildebrand machen einen besonders kriegerischen Eindruck. Ob er jetzt Ansprüche auf die Position hinter Stammtorhüter Jens Lehmann anmelde, wurde Enke gefragt. „Sie wissen ganz genau, dass Sie von mir darauf keine Antwort bekommen“, sagte er.
Wer in den nächsten 15 Monaten als Ersatztorhüter gelten darf, mag keine allzu brisante Frage sein, ihren Reiz bezieht sie daraus, dass es schon jetzt um die beste Position für Lehmanns Nachfolge nach der EM 2008 geht. Löw selbst sieht in dieser Angelegenheit keine Eile und verweist auch auf andere Kandidaten, „die wir im Auge haben“. Die Namen Tim Wiese und Roman Weidenfeller werden häufig genannt; dass sie von Löw eine echte Chance erhalten, ist auszuschließen. Wer einen nüchternen Torhüter wie Enke schätzt, kann nicht zugleich auf Muskelprotze wie Wiese oder Weidenfeller stehen.
Enkes Interpretation des Torwartspiels kommt Löws Ideal bedrohlich nahe. „Robert spielt mit sehr viel Ausstrahlung auf die Abwehr“, sagte der Bundestrainer. Er ist jederzeit präsent, vor allem wenn ein Zuspiel einmal den Weg durch die Viererkette findet, kann den Ball, anders als Wiese, auch mit dem Fuß verwerten, und steht dem Bremer in seiner Reaktionsfähigkeit ebenfalls in nichts nach.
Enkes größte Stärke aber ist das direkte Duell mit dem Stürmer. Da er so lange wie möglich den aufrechten Gang beibehält, ist er kaum zu bezwingen. Früher hat sich Enke schnell zu Boden geschmissen – weil das besonders schick aussieht. Beim FC Barcelona aber ist ihm diese Marotte erfolgreich ausgetrieben worden. Enke hat zwar nur ein Pokalspiel für die Katalanen bestritten, im Training mit den Stars dafür umso mehr gelernt: „Wenn man von Kluivert, Saviola oder Riquelme dauernd überlupft wird, überlegt man sich dreimal, ob man sich zu Boden wirft.“
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