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Schädelsführer. Beim Heimspiel gegen den SC Freiburg protestieren Fans des FC St. Pauli gegen Komerzialisierung.

© picture alliance / dpa

Fußballfans: Romantik und Revolte

In vielen deutschen Fußballklubs regt sich Widerstand bei den Fans: Neue Initiativen kämpfen gegen die Macht der Vereinschefs und für mehr Mitbestimmungsrecht

Es geht um Stripperinnen in Vip-Logen, um teure Transfer selbstherrlicher Manager, um Paragraphen, Verwaltungsräte und Satzungsänderungen. Es geht um Fußball. Oder um etwas, zu dem der Fußball geworden ist. Wenn Fans früher auf die Barrikaden gingen, kämpften sie meist gegen hässliche Trikots und überteuertes Bier, oder einfach gegen faule Spieler. Heute organisiert sich der Widerstand bei einigen Bundesligaklubs aus anderen Gründen. Es geht um Werte, um Macht, um Demokratie, ums operative Geschäft, um viel Geld. Ums Ganze.

Felix Magath kochte vor Wut, als er sich in sein Auto setzte und die Schalker Arena verließ. Es war der Abend des 10. Mai 2010, Jahreshauptversammlung bei Schalke. Der Trainer und Manager hatte die als „Lex Magath“ titulierte Satzungsänderung eingereicht, nach der er Transfers von mehr als 300 000 Euro ohne die Zustimmung des Aufsichtsrates durchführen könne. Eine Formsache, so schien es. Doch die Fans verweigerten sich dem Antrag. Seitdem liegen Magath und viele Schalke-Fans überkreuz, zuletzt kritisierten sie seine Führung in einem Offenen Brief. „Will man auf die Seele des Vereins verzichten und setzt dauerhaft auf Kunden und Zuschauer?“, heißt es da, „die Fans wollen ernst genommen und nicht ausgenommen werden!“

Auch beim FC St. Pauli und beim 1. FC Köln hat sich Widerstand formiert. Im November verweigerte die Mitgliederversammlung des Kölner Bundesligisten dem Vorstand rund um Vereinsikone Wolfgang Overath die Entlastung. Es bildete sich die Initiative „fc reloaded“, die den Klub grundlegend verändern will. „Es geht darum, dass die Strukturen im Verein transparenter und demokratischer werden, um in Zukunft Fehlentwicklungen rechtzeitiger stoppen zu können“, sagt Sprecher Stefan Müller-Römer. „Es geht letztlich um Demokratie innerhalb des Vereins.“ Der Verwaltungsrat werde, so die Kritik, bisher vom Vorstand um Overath, berufen, soll diesen jedoch eigentlich beaufsichtigen. „fc reloaded“ plädiert für eine Satzungsänderung. Ein Machtkampf hat begonnen.

Die Vereine reagieren meist mit Unverständnis

Am Millerntor geht es weniger um formelle Reformen, eher um ein Lebensgefühl. Der FC St. Pauli hat schon immer eine Sonderrolle im deutschen Fußball eingenommen – diese sehen einige Fans jetzt gefährdet. Eine Gruppe, die sich „Sozialromantiker“ nennt, hat den Kampf aufgenommen. Gegen den „Ausverkauf unseres Selbstverständnisses des Anders-Seins“, wie sie mitteilt. Mit einer Petition, die im Internet mehr als 4500 Personen unterzeichnet haben, protestiert die Gruppe vor allem gegen Dinge, mit denen ihr nicht gerade reicher Verein viel Geld verdient: Werbe-Laufbänder am Spielfeldrand, Businessseats im Stadion und Vip-Logen, in denen sich zuletzt auch noch eine Strip-Bar eingemietet hatte, die ihre Gäste im Separee mit Stangentanz unterhielt. „Das zeugt von einer unglaublichen Ignoranz gegenüber allem, was den Fans des FC wichtig ist“, heißt es bei den Sozialromantikern.

Die Vereine reagieren zumeist mit Unverständnis auf die oft gut organisierten Proteste. Bei der Kölner Mitgliederversammlung hatte die „Welt“ beobachtet, dass „vier Stunden lang von der Bühne herab der Eindruck vermittelt worden war, die da unten nicht sonderlich ernst zu nehmen“. Nach der Schalker Jahreshauptversammlung wütete Felix Magath, sah in Fan-Organisationen Feinde, sprach von Stimmungsmache einer „kleiner Gruppe“ und ersetzte den 22 Jahre im Amt stehenden Fanbeauftragten. Teile der Fanszene organisierten sich daraufhin unter dem Namen „Kleine Gruppe“. Seitdem schwelt der Konflikt. „Es gibt keinen neuen Fan-Aufstand, es geht immer noch um die alten Probleme“, sagt Stephan Kleier von den „Ultras Gelsenkirchen“. „Trotz der Ankündigungen zu Saisonbeginn hat sich an der mangelnden Kommunikation mit den Fans nichts geändert.“ Magath selbst versteht die Kritik nicht, man habe gewusst, worauf man sich einlasse: „Ich weiß nicht, was manche Fans wollen, aber ich will Erfolg.“ Schon zuvor hatte der Trainer die Fans mit Alleingängen gegen sich aufgebracht, als er etwa die Geschäftsstelle bis hin zum Pressesprecher umbesetzte. „Wie kann man es einer einzelnen Person erlauben, alle Arbeitsbereiche umstrukturieren zu dürfen?“, fragt Susanne Franke von der Schalker Faninitiative heute.

In den Neunziger Jahren wurden Vereine zu Wirtschaftsunternehmen

In Köln versuchte der Verein, die Initiative der Fans zu diskreditieren. In einem Brief an die Mitglieder schrieb die Vereinsführung von „Personen, denen es offenbar nicht so sehr um den Erfolg des Vereins geht, sondern vielmehr um Macht und unnötige Personaldiskussionen“. Als Stefan Müller-Römer in der Halbzeit des Spiels gegen Werder Bremen in einem Fernsehinterview befragt wurde, verhängte Präsident Overath ein Interviewverbot für die Spieler mit dem ausstrahlenden Sender. Kapitän Lukas Podolski sprach in einem anderen Sender von „einem Sieg gegen diesen Anwalt“, gemeint war Müller-Römer. „Die Diskussion um unsere Gruppe wird vom Vorstand auf meine Person verkürzt“, sagt Müller-Römer. „Das ist falsch und unfair. Wir sind ein Team und haben schon tausende Unterstützer hinter uns. Wir müssen mit den Medien reden, um unsere Vorschläge den Fans und Mitgliedern überhaupt klar zu machen.“ Overath bezeichnete die Fan-Initiative im WDR kürzlich als „versuchte Revolution“.

Die Aufstände haben erst vor kurzem begonnen, ihren Ursprung haben sie aber in den Neunziger Jahren. Damals boomte der deutsche Fußball, höhere TV-Einnahmen und Werbeverträge machten die Klubs unabhängiger von Zuschauereinnahmen. Vereine wurden zu Wirtschaftsunternehmen und Aktiengesellschaften, heute unterhalten manche Vereine Konstrukte aus Tochtergesellschaften, die wirtschaftliche Handlungen nur schwer nachvollziehbar werden lassen. Wie hoch die Schulden beispielsweise bei Schalke oder in Köln sind, durchschaut der Fan ohne abgeschlossenes BWL-Studium schon lange nicht mehr.

Der Boom brachte den Fußball aber auch endgültig in die Mitte der Gesellschaft. Offene Briefe aus der Fanszene haben wenig mit alten marktschreierischen „Wir haben die Schnauze voll“- oder „Wir sind der Verein und ihr nicht“-Plattitüden gemein. Stefan Müller-Römer ist Anwalt, die Schreiben seiner Kölner Initiative sind sprachlich geschliffen, juristisch fundiert und grammatikalisch einwandfrei. Vielleicht ist es das, was einigen Klubs solche Angst einjagt. Im Balanceakt des modernen Fußballs zwischen wirtschaftlichen Erfordernissen und volksnaher Tradition haben die Werte der Traditionalisten wieder mehr Gewicht bekommen.

Das Erlebnis Fußball schützen

„Der Verein soll ja Geld verdienen,sogar viel Geld, wenn es geht“, betonen die Hamburger Sozialromantiker, deren Spitze anonym bleiben will und Anfragen nur per E-Mail beantwortet. „Aber er soll dies nicht im Mainstream tun, sondern neue Wege nutzen. Wir sind überzeugt davon, dass der FC St.Pauli mit einer authentischen Vermarktung beides erhalten kann: Profifußball und Identität.“ Die Initiative spricht von einem Spagat, den der Verein hinbekommen muss: „Wir sind uns sicher, dass wir diesen Spagat als einer der wenigen Klubs in Deutschland schaffen können. Wir haben nicht nur Beton zu bekleben, sondern der Verein hat unglaubliches Potenzial an Hingabe und Kreativität. Das gilt es zu stärken und nicht eine Karikatur davon zu verkaufen.“ Die Kreativität zeigte sich zuletzt im Januar, als viele Fans beim Heimspiel gegen den SC Freiburg mit dem Symbol der Sozialromantiker, einem Totenkopf, im Stadion protestierten. Unter dem Motto „Bring back St. Pauli“ sollte der Sonderweg des Klubs beschworen werden. „Es geht nicht um Kompromisse, es geht um andere Wege“, schreiben die Sozialromantiker. „Kompromisse suggerieren ja, es gäbe nur einen Weg, den man zuliebe lästiger Fans halbherzig bestreitet.“

Wie dieser Weg aussehen wird, ist noch unklar. Beim FC St. Pauli gibt es traditionell schon viele Zugeständnisse an die Fans, in den Minuten vor dem Anpfiff jedes Spiels gibt es beispielsweise keine Beschallung im Stadion, um den Zuschauern die Chance zu geben, Fußball-Atmosphäre zu erzeugen. Die meisten Fans wollen eben an Spieltagen immer noch hauptsächlich ihre Mannschaft spielen sehen, sie anfeuern und sich möglichst über einen Sieg freuen. Vielerorts wächst aber das Bewusstsein dafür, dass man aktiv werden muss, um dieses Erlebnis zu schützen. Die Protestgruppen zielen deshalb darauf ab, die breite Masse der Fans für ihre Belange zu sensibilisieren. „Wir verstehen uns nicht als Motor – eher als Zündkerze“, schreiben die Sozialromantiker des FC St. Pauli.

Es ist nicht leicht, die Leidenschaft der Fans für eine Sache zu entfachen. Aber wenn es gelingt, ist es oft noch schwieriger, die Flammen wieder zu ersticken.

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