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Der Solo-Weltumsegler Boris Herrmann.

© picture alliance/DPPI media/Pierre Bouras

Update

Nach Unfall vor dem Ziel des Vendee Globe: Boris Herrmann erreicht das Ziel als Vierter – muss aber noch warten

Kurz vor dem Ziel wurde Herrmann bei der Solo-Weltumseglung um seine Siegchancen gebracht. Am Donnerstagabend entscheidet sich, ob er Vierter oder Fünfter wird.

Der Franzose Yannick Bestaven hat das 9. Vendée Globe gewonnen. Er erreichte das Ziel am Donnerstagmorgen um 3.19 Uhr als Dritter. Eine Zeitgutschrift von über zehn Stunden aus einer früheren Rettungsaktion macht seinen Rückstand auf Landsmann Charlie Dalin wett, der 7.44 Stunden zuvor in Les Sables d'Olonne eingetroffen war und nach 80 Tagen die Ehre der ersten Zielankunft errungen hatte.

Später Triumph. Yannick Bestaven nach seiner Ankunft an Bord "Maitre CoQ".
Später Triumph. Yannick Bestaven nach seiner Ankunft an Bord "Maitre CoQ".

© REUTERS

Nach der Kollision mit einem Fischerboot kämpft Solo-Weltumsegler Boris Herrmann bei der Vendée Globe um Platz vier. Am Vormittag hatte er zwar als Fünfter die Ziellinie überquert, wird wegen einer Zeitgutschrift von sechs Stunden aber im vorläufigen Klassement auf dem vierten Rang geführt. Er muss nun bis zum Abend warten, ob Jean Le Cam („Yes We Cam“) ihn dank dessen Zeitgutschrift von 16:15 Stunden noch verdrängen würde.

Im Ziel feierte Herrmann mit zwei Bengalos in den Händen und wurde von Freunden und Teammitgliedern auf Beibooten empfangen. „Es war ein wunderbares Gefühl da draußen auf dem Wasser, als die Boote immer dichter kamen und ich ein Gesicht nach dem anderen erkannte“, berichtete er.

Der 39-Jährige war am Mittwochabend etwa 90 Seemeilen vor Les Sables-d'Olonne mit einem Fischtrawler zusammengestoßen. Herrmann blieb unverletzt, sein Boot wurde erheblich beschädigt. Zum Zeitpunkt des Unfalls lag er an dritter Stelle und hatte bei seiner Vendée-Globe-Premiere wegen einer Zeitgutschrift von sechs Stunden sogar noch Chancen auf den Sieg.

Danach konnte er wegen der Schäden an seiner Yacht „Seaexplorer - Yacht Club de Monaco“ aber nur mit reduzierter Geschwindigkeit segeln.

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In einer ersten Videonachricht berichtet Boris Herrmann, dass ein Fischtrawler plötzlich an der Seite seines Schiffes aufgetaucht sei, unentdeckt von Radar und Infrarotkamera, die in solchen Fällen eigentlich Alarm schlagen sollten.

Ein automatisches Ausweichsystem hätte das Boot sogar eigenständig reagieren lassen können, doch all das geschah nicht, während Herrmann im Cockpit ein wenig Schlaf nachholte. Er schreckte hoch, sah den Rumpf des Trawlers wie eine Wand an sich vorüberziehen. Das Boot touchierte den Stahlrumpf mit den Segeln, Spieren und einem Foil, so dass sie erhebliche Schäden davontrugen.

"Ich habe extra alle Alarmfunktionen vorher noch mal überprüft", sagt Herrmann, "das ist mir noch nie passiert."

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Kurz vor dem Ziel erwischte es Boris Herrmann doch noch. Er kollidierte mit einem Fischerboot.
Kurz vor dem Ziel erwischte es Boris Herrmann doch noch. Er kollidierte mit einem Fischerboot.

© Jean-Marie Liot/Malizia

Etwas alleine zu machen, ist immer auch eine Abkehr. Man wendet sich ab von allen anderen – Zurückbleibenden, geliebten Menschen oder auch solchen, die es nicht verstehen, und von den Regeln der Gemeinschaft. Das ist riskant. Und eigentlich gibt es nur eine Sache, die einen solchen Akt rechtfertigt: Erfolg.

Was Erfolg ist? Die britische Vendée-Globe-Teilnehmerin Pip Hare formuliert es so: „Was mich am Solosegeln reizt, ist, dass es mir erlaubt, die beste Version von mir selbst zu werden.“

Selbst übertroffen hat sich auch Boris Herrmann auf seinem Solotrip um den Erdball. Er war auf dem Weg zu einer sportlichen Sensation, als er 80 Meilen vor dem Ziel in stockfinsterer Nacht mit einem Fischerboot kollidierte. Das machte sämtliche Hoffnungen zunichte, als möglicher Sieger zum Ausgangspunkt seiner Nonstop-Reise zurückzukehren. Nach 80 Tagen auf See stand er kurz davor, als Dritter in Les Sables d’Olonne empfangen zu werden, dem Badeort südlich von Nantes.

Erster im Ziel. Charlie Dalin überquerte die Ziellinie nach über 80 Tagen, 6 Stunden, 15 Minuten und 47 Sekunden. Als Sieger durfte er sich aber noch nicht fühlen.
Erster im Ziel. Charlie Dalin überquerte die Ziellinie nach über 80 Tagen, 6 Stunden, 15 Minuten und 47 Sekunden. Als Sieger durfte er sich aber noch nicht fühlen.

© dpa

Die Ankunft des Ersten, Charlie Dalin, war am Mittwochabend, um 20.35 Uhr erfolgt. Als Zweiter kam Louis Burton um kurz vor Mitternacht an. Durch eine Zeitgutschrift von sechs Stunden hätte Herrmann einen von ihnen oder beide im Endergebnis verdrängen können, wenn er nicht infolge der Kollision nur noch mit acht Knoten weitergesegelt wäre statt mit 20 Knoten wie zuvor.

Das Resultat stand jedoch erst fest, als Yannick Bestaven in den frühen Morgenstunden die Ziellinie überquerte. Dessen Zeiterstattung von über zehn Stunden machte den 46-jährigen „Maitre CoQ“-Skipper aus La Rochelle zum Sieger. So hat abermals ein Franzose dieses Rennen gewonnen, das erstmals 1989 gestartet worden war.

Dem 39-jährigen Deutschen ist trotz seines Rückschlags mehr als nur ein sportlicher Erfolg gelungen. Er hat Maßstäbe gesetzt in diesem Rennen mit seiner offenen Art, die Außenwelt an den Strapazen seiner Tortur du Monde teilhaben zu lassen. Er wurde zu einem Publikumsliebling, weil er seine Ängste und Skrupel nicht hinter der Maske des unerschütterlichen Profis verbarg.

Viele Menschen in Deutschland, aber auch in Frankreich und in zahllosen anderen segelbegeisterten Ländern konnten sich mit ihm identifizieren, weil er komplizierte Dinge einfach aussehen ließ und einfachen Beobachtungen Tiefe gab. Wie dem Flug eines Albatros. Man sah einen Athleten im Dauerstress, der seine kindischen Seiten zeigte, wenn er sich kichernd über die plötzliche Nähe zu einem Konkurrenten freute, dessen Segel am Horizont auftauchten. Dabei war er durchaus mit der Vorstellung aufgebrochen, nur gut sein zu können, wenn er alles unter Kontrolle behielt.

Hier noch überglücklich. Boris Herrmann und die Extreme auf See: „Was es so schwierig macht, ist das Dazwischen.“
Hier noch überglücklich. Boris Herrmann und die Extreme auf See: „Was es so schwierig macht, ist das Dazwischen.“

© Boris Herrmann/Seaexplorer/YC de Monaco

Es zeigte sich schnell, dass das nicht funktionierte. Gleich zu Beginn der 30 000-Meilen-Strecke verpasste Herrmann in einer Sturmfront östlich der Azoren den Moment für ein beherztes Manöver und verlor Anschluss an die Spitzengruppe, die scharf nach Süden abgebogen war und damit die Leichtwindzone umging, die auf der Rückseite des Sturms wartete. Der Abstand wurde nicht uneinholbar groß, aber Herrmann haderte mit seiner defensiven Handhabung des Boots.

In der aufgeladenen Atmosphäre des tropischen Gewittertiefs, das sich ihm bald darauf in den Weg legte, fragte sich Herrmann, wie er sein empfindliches Gerät heil durch Winde steuern sollte, die es zu zerreißen drohten. Er wusste um sein vorsichtiges Temperament, aber es ist schwer, es für ein Konzept zu halten, wenn die Konkurrenz davonfegt.

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Erst viele Wochen später sollte sich die „konservative“ Methode auszahlen und den Ruf einer „deutschen Strategie“ erlangen. Bis es so weit war, glich Herrmanns Rennen mehr einem Ringen mit den Alarmsystemen an Bord der „Seaexplorer“ und mit den eigenen Nerven, als mit den Elementen.

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„Was es so schwierig macht“, sagt er an Tag 22, „ist das Dazwischen.“

„Was es so schwierig macht“, sagt er an Tag 22, „ist das Dazwischen.“ Er habe eine Tabelle, nach der er die Segelfläche verkleinere. In ihr ist festgehalten, bis zu welcher Windstärke welches Segel optimal genutzt werden kann. „Aber der Raum zwischen den Linien macht den Unterschied aus zwischen gutem Druck und Drücken. Ich kann das Boot leiden hören, während ich mich in einem Moment zu mehr Vorsicht ermahne und im nächsten bloß keine Meilen einbüßen will. Innerlich debattiere ich mit mir die ganze Zeit. Ich kurbele, bis ich auf dem Zahnfleisch gehe, versuche zu schlafen, zu essen, doch die Frage ist ständig da: Doch lieber das dritte Reff?“

Als Herrmann in den 30 Meter hohen Mast aufentern musste, um einen defekten Beschlag zu lösen, wirkte die nervliche Anspannung tagelang nach. „Das hat mich an meine Grenzen gebracht“, sagte er später über die kniffelige Kletteraktion, die es bedeutet, bei anbrechender Nacht an einem dünnen Seil hin und her geschleudert zu werden. Er verlor den Appetit, fühlte sich ausgelaugt. Und es schien, als hätte er dort oben, alleine baumelnd in luftiger Höhe, etwas verloren, von dem er nicht wusste, was es war.

Wie eine Peitsche, fegt die Gischt übers Deck der "Seaexplorer".
Wie eine Peitsche, fegt die Gischt übers Deck der "Seaexplorer".

© Andreas Lindlahr

Sein ganzes professionelles Seglerleben hatte er sich auf diese Herausforderung vorbereitet. Doch wie allein er sein würde, hatte er unterschätzt. Nie war er davor länger als 20 Tage allein auf See unterwegs gewesen.

Zwar hatte er als einziges Kind eines alleinerziehenden Vaters schon früh viel Zeit mit sich selbst zugebracht, doch war seine Jugend und eigentlich die ganze Zeit seither davon geprägt gewesen, sich mit Freunden und Gefährten zu umgeben, auf die er seine Begeisterung niedergehen lassen konnte wie einen warmen Sommerregen. So trennte ihn eine Kluft von den schweigsamen Bretonen, die auf sich allein gestellt immer mehr in den Rhythmus ihres Selbst finden und sich lieber abkapseln, als den Schmerz der Trennung zu spüren.

Herrmann hat auf die Herausforderung der Einsamkeit auf seine Weise reagiert: Er richtete eine Chatgruppe für die 33 Teilnehmer des Vendée Globe ein, in der sie sich untereinander austauschten. Dadurch waren sie in ihren rasenden Kapseln aus Lärm und Chaos ein bisschen für einander da. Aber sie amüsierten sich auch über den Deutschen und dessen Mitteilungsdrang.

Als Außenseiter ist Herrmann nicht an den Start gegangen, obwohl er zum ersten Mal antrat. Seit 20 Jahren treibt er sich in der französischen Segelszene herum, spricht perfekt Französisch und suchte Kontakt zu Ikonen wie Roland Jourdain, Michel Desjoyeaux oder Francis Joyon, um zu lernen, wie man eine Vendée-Globe-Kampagne aufbaut. Wie die besten Werften heißen? Wie die besten Meteorologen? Welche Skipper ihn in ihre Geheimnisse einweihen?

Aufholjagd in der Biskaya. Die Seaexplorer im "Flug"-Modus.
Aufholjagd in der Biskaya. Die Seaexplorer im "Flug"-Modus.

© Jean-Marie Liot

Zweimal hatte er bereits die Welt bei Regatten umrundet, das Portimão Global Ocean Race 2008 sogar gewonnen, und an Rekordfahrten teilgenommen, aber eben nie allein. Er verfügte über mehr Hochseeerfahrung als jeder andere Vendée-Globe-Neuling. Was ihm fehlte, war der übliche Werdegang der französischen Profisegler, die sich erst in einer wettkampfstarken Szene bewähren müssen, bevor ihnen ein Sponsor das Geld für die Kronjuwelen gibt: für eines der wenigen 18-Meter-Boote der Imoca-Klasse, die das Vendée Globe mit ausrichtet. Als Deutschem stand ihm diese Tür nicht offen.

Dennoch wurde er in den erlauchten Kreis der Segelakademie Pôle Finistère course au large aufgenommen, deren Mitglieder seit 2000 noch jedes Vendée Globe gewonnen haben. Als sein Mentor Giovanni Soldini ihm anvertraute, dass er, wenn er selbst jünger wäre, nur mit einem Boot des Designers Guillaume Verdier lossegeln würde, da besorgte sich Herrmann genau so eines – die „Edmont de Rothschild“, Baujahr 2015.

Als er den Imoca-Racer noch vor dem Start des letzten Vendée Globe für sich kaufen ließ – mit dem Geld eines Stuttgarter Förderers –, da hielt er ihn für einen der schnellsten Verdier-Entwürfe seiner Generation, der ersten, die mit Flügelschwertern bestückt war, sogenannten Foils, die das sieben Tonnen schwere Boot aus dem Wasser heben wie Tragflächen. Und er lag richtig. Skipper Sebastien Josse lag 2016 an dritter Position, als er nach 30 Tagen mit einem Schaden am Schwertkasten aufgeben musste.

Als der Stromgenerator kaputt ging, konnte Herrmann ihn austauschen. Er hatte ein Ersatzgerät mitgenommen.
Als der Stromgenerator kaputt ging, konnte Herrmann ihn austauschen. Er hatte ein Ersatzgerät mitgenommen.

© Boris Herrmann

Herrmann kalkulierte, dass bei der üblichen Anzahl von sechs bis acht technologisch weiterentwickelten Neubauten die Chancen für seine Neuerwerbung vier Jahre später immer noch gut stehen würden, es unter die ersten fünf zu schaffen. Denn von den Neubauten gelangte für gewöhnlich nur die Hälfte ins Ziel.

Dafür musste das später in „Seaexplorer“ umbenannte Boot allerdings auf den neuesten Stand der Foil-Technik gebracht werden. Jedenfalls schien das ein logischer Schritt zu sein. Damals ahnte Herrmann wohl noch nicht, wie teuer die Steigerung des Geschwindigkeitspotenzials erkauft sein würde. Denn sie ging auf Kosten der Robustheit. Das optimale Windspektrum erwies sich in der aufgewühlten See des „Großen Südens“ oft als zu eng.

Weil der Indische Ozean sich von seiner ungemütlichen Seite zeigte, musste Herrmann seinen Racer ständig zügeln, damit er in Windböen nicht auf über 30 Knoten beschleunigte, sich mit dem Bug in die Wellen grub und „explodierte“, wie das Kevin Escoffier widerfuhr. Dessen „PRB“ brach bei voller Fahrt am Kap der Guten Hoffnung auseinander und sank binnen Minuten. Der Segler schaffte es gerade rechtzeitig in die Rettungsinsel.

In den rauen Bedingungen konnten sich allerdings zwei Boote aus derselben 2015er-Reihe, der auch Herrmanns „Seaexplorer“ entsprungen war, besonders gut behaupten. Sie waren mit weniger empfindlichen Foils ausgerüstet: Louis Burtons „Bureau Vallée“ und Yannick Bestavens „Maitre CoQ“ preschten an die Spitze. Dass Herrmann dagegen keinen Modus zu finden schien, der dem Boot entsprach, bedrückte ihn. Am 35. Tag stöhnte er: „Ich bin ein solcher Kontrollfreak!“

Und es wurde schlimmer: Da war das Vorsegel J2, sein „Arbeitssegel“, dass Herrmann tagelang nicht einsetzen konnte, weil es an der Vorderkante aufzureißen drohte. Da waren die defekten Hydrogeneratoren, über die sich der Segler mit Strom versorgte und die bei zu hoher Geschwindigkeit aus der Verankerung gerissen waren. Da war der Ausfall des Dieselgenerators, wieder so ein Schock, der das unmittelbare Aus bedeutet hätte, weil Herrmann kein Frischwasser mehr hätte erzeugen können. Und da war schließlich der Riss im Großsegel, der bei einem unglücklichen Manöver vor Kap Hoorn entstand. Zwar verhinderte Herrmann eine Katastrophe, rutschte durch die schwierige Reparatur jedoch auf den zehnten Rang zurück.

Allein, allein. Herrmann hielt mehrmals täglich Kontakt mit der Außenwelt.
Allein, allein. Herrmann hielt mehrmals täglich Kontakt mit der Außenwelt.

© Boris Herrmann

Dass technologisch veraltete Yachten zu den Tempomachern werden würden, dass sogar noch weitaus ältere Boote des 2007er-Jahrgangs ohne Foils in der Spitzengruppe bis zum Ende mithalten könnten, war nicht zu erwarten gewesen. Doch verlief dieses 9. Vendée Globe in vielerlei Hinsicht anders als gedacht.

Da sämtliche Neubauten mit gravierenden technischen Problemen zu kämpfen hatten wie Jérémie Beyous „Charal“ oder nach Kollisionen früh ausschieden, rückten die prognostizierten Rekorde in weite Ferne. Das insgesamt langsamere Tempo begünstigte ältere Bootsgenerationen. Und auch die verbesserten Wettervorhersagemodelle und Routingprogramme ließen das Feld zusammenrücken.

Boris Herrmann hat einen Siegeszug durch die Wohnzimmer seiner Heimat angetreten

So kam es mehr denn je darauf an, nicht nur unbequeme Bedingungen, Schlafmangel und Schäden an Bord zu überstehen, sondern Geduld zu haben. Denn mit dem Erreichen der Passatwinde wurde der letzten Akt dieses Dramas eingeläutet. Endlich fand Herrmann die Bedingungen vor, die die „Seaexplorer“ als einziges intaktes Boot zu hundert Prozent nutzen konnte. Den Äquator überquerte Herrmann bereits als Dritter.

Ob er nun die französische Dauerdominanz in diesem Sport zu brechen vermag oder auf den letzten Meilen doch noch abgefangen wird, spielt für seine Bilanz kaum noch eine Rolle. In den Wochen und Monaten, die er alleine auf seinem rasenden Fahrzeug verbrachte, hat er einen Siegeszug durch die Wohnzimmer seiner Heimat angetreten, wie es vorher kaum vorstellbar war. Kein anderer teilte sich mehrmals täglich in Videobotschaften, WhatsApp-Nachrichten, Zoom-Konferenzen mit, und das Reden schien ihm oft erst eine Vorstellung davon zu geben, was in ihm vorging. Wann er merkte, dass er schlafen müsse? Wenn ganz hinten in seinem Kopf das Bedürfnis wuchs, weinen zu müssen, sagte er einmal. Wobei er oft dem sportlichen Irrglauben widersprach, dass man sich nur mehr anstrengen müsse, um es weiter nach vorne zu schaffen.

Kulissenspiele. Um sein "Arbeitssegel" zu reparieren, musste Boris Herrmann ein zweites Mal am Rigg nach oben klettern.
Kulissenspiele. Um sein "Arbeitssegel" zu reparieren, musste Boris Herrmann ein zweites Mal am Rigg nach oben klettern.

© Boris Herrmann

Vermutlich lebt der Herrmann-Hype auch davon, dass hier einer extreme Erfahrungen stellvertretend für alle anderen macht in einer Zeit, da sie gezwungen sind, zuhause zu bleiben. Aber da ist auch Herrmanns tief verwurzeltes Bedürfnis, dass das, was er macht, Sinn ergibt. Segeln ist Fun, klar, aber es soll für Relevanz haben, sei es, indem er Maßnahmen zum Klimaschutz propagiert und die Umweltaktivistin Greta Thunberg emissionsfrei über den Atlantik schippert, sei es, dass er wissenschaftliche Daten zur CO2-Belastung der Ozeane sammelt. Stets vermittelt er, dass einer alleine nichts schaffen kann. Dass jeder den Zuspruch von Außen braucht. Mag er auch hinter dem Horizont verschwunden sein.

Vor allem aber dürfte seine Open-Source-Mentalität im Segelsport Spuren hinterlassen. Er hält keine Geheimnisse zurück. Die Konkurrenz kann, wenn sie will, sein Fortkommen, seine schiffsinternen Daten in Echtzeit beobachten.

Als drei Tage vor der Zielankunft Herrmanns Hauptsponsor Kühne & Nagel einen privaten Chat mit dem Segler anbot, nahmen 7200 Leute daran teil. Ob dieser Hype von Dauer sein wird oder bald zusammenfällt, wie er das nach dem Sieg des Illbruck-Teams beim Volvo Ocean Race 2002 tat, ist nicht abzusehen.

In einem Video von Bord sagt ein sichtlich aufgeregter Herrmann am Dienstag, dass er hinterher nicht hören wolle, warum er nicht gewonnen habe. „Ich kann so gut segeln wie ich will, und kann trotzdem nichts weiter tun.“

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