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Da die Turnhalle des Sportvereins Karower Dachse von Flüchtlingen belegt ist, trainieren die Mitglieder der Aerobic-Gruppe in einem ehemaligen Schlecker-Laden in der Achillesstraße 59 in Berlin-Karow.

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Ein Berliner Verein kämpft ums Überleben: Schlecker statt Sporthalle, NPD-Abordnung statt Geld

Die Turnhalle der Karower Dachse dient als Flüchtlingsunterkunft. Deswegen trainiert der Verein in einer Drogerie - und wird überdies von NPD-Mitgliedern angefeindet.

Die Kraft des Sports haut Kirsten Ulrich an diesem Mittwochabend fast aus den Socken. Die 52-Jährige steht in einem ehemaligen Drogeriemarkt in Berlin-Karow. Hagel prasselt an die abgeklebten Fensterscheiben. Sie sieht zehn Frauen und einem kleinen Jungen zu, wie diese abwechselnd von einem mit Matten ausgelegten Steinboden auf ein Step-Board springen und die Arme rhythmisch zu dem Song „Just can’t get enough“ von Depeche Mode schwingen.

Es liegt der erste Schweiß in der alten Drogerie, und der kleine Junge im Deutschlandtrikot hat sehr wohl genug. Er setzt sich auf eine Bierbank und tippt gelangweilt auf seinem Handy herum. Ulrich erzählt, dass es für ihren Verein, die Karower Dachse, jetzt um die Existenz gehe und dass die Zukunft ja nicht in so einem alten Drogerieladen ohne Umkleiden und Duschen liegen könne, da klingelt es an der Tür. Ulrich öffnet, vor ihr steht eine junge Frau, sie sagt, dass ihr die Verspätung schrecklich leid tue, aber sie habe sich neu beim Verein angemeldet, sei also zum ersten Mal da und wolle heute beim Step-Aerobic mitmachen. Kurz darauf hüpft sie mit den anderen mit. Kirsten Ulrich strahlt und sagt: „Wir geben nicht auf. Wir haben hier über viele Jahre etwas aufgebaut.“

Ulrich ist Mitbegründerin und Vorstandsmitglied der Karower Dachse. Der Verein wurde 1999 ins Leben gerufen und hat sich einen Namen gemacht, weil er sich durch großes gesellschaftliches Engagement auszeichnet, sich vor allem für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung stark macht und für diese Menschen auch viele Sportarten anbietet. Die Karower Dachse hatten bis vor Kurzem 1800 Mitglieder, jetzt sind es nur noch rund 1500, Tendenz stark fallend. Der Verein taumelt in diesen Wochen und Monaten, und das liegt auch daran, dass ihm sein Zentrum, die Sportstätte, weggenommen worden ist.

Im November vergangenen Jahres mussten die Dachse innerhalb weniger Tage alle ihre Sachen aus der Turnhalle am Bedeweg in Karow schaffen, weil diese schnell für die Unterbringung von Flüchtlingen bereitgestellt werden musste. Über Facebook baten die Vereinsmitglieder um Hilfe beim Abtransport von Trampolinen oder Rhönrädern. Die Hilfe kam, aber auch eine Abordnung von der NPD, die Ulrich und ihre Sportskameraden als „Volksverräter“ beschimpften. Weil sie das Eigentum der Deutschen aufgeben und den Flüchtlingen eine Bleibe geben würden.

Ulrich ist wütend und traurig, wenn sie an diese Novembertage denkt. „Es war eine Hauruck-Aktion, fast von einem Tag auf den anderen mussten wir unsere Sachen packen. Wir wurden mit der Situation völlig allein gelassen“, sagt sie. „Es fand seitens der Senatsverwaltung auch kaum Kommunikation mit uns statt."

Kirsten Ulrich kämpft um die Existenz ihres Vereins.
Kirsten Ulrich kämpft um die Existenz ihres Vereins.

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Nun sind fast sechs Monate ins Land gezogen. Sechs Monate, in denen in der Karower Sporthalle knapp 200 Flüchtlinge, wie Ulrich weiß, unter schlimmen Bedingungen in der Turnhalle zurechtkommen mussten. Ulrich hat ein aktuelles Foto von der Halle auf ihrem Smartphone gespeichert, es zeigt ein notdürftig mit Leinen abgedecktes Hochbett, der Boden ist völlig verdreckt. Es sind aber auch sechs Monate vergangen, in denen die Dachse ihren Sport statt in der Karower Turnhalle an insgesamt 14 Standorten ausüben mussten. In der ehemaligen Drogerie, im Speisesaal einer Grundschule oder auch im Zimmer in einer kirchlichen Begegnungsstätte.

Es ist unwürdig, in Turnhallen zu leben und es ist auch unwürdig, in einem heruntergekommenen früheren Schlecker-Drogeriemarkt Sport zu treiben. Doch an unwürdigen sportlichen Bedingungen wird sich nicht nur bei den Karower Dachsen, sondern auch bei vielen anderen Berliner Vereinen erst einmal nicht viel ändern. Nicht in den nächsten Wochen, und, wenn es schlecht läuft, auch nicht in den nächsten Monaten.

Dabei kommen immer weniger Flüchtlinge nach Deutschland. Im März wurden nur noch gut 20 000 Asylsuchende registriert, im Januar waren es noch 90 000. Allein in Berlin waren im Herbst vergangenen Jahres täglich bis zu 1000 Flüchtlinge eingetroffen, inzwischen sind es noch etwa 25. Die Lage entspannt sich, nur nicht für den Berliner Sport.

Andreas Klages ist stellvertretender Direktor für Sportentwicklung beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Er berichtet, dass zum Jahresende bundesweit noch 1000 Turn- und Sporthallen mit Flüchtlingen belegt gewesen seien, aktuell seien es noch rund 700. „Schwierig ist die Lage nach wie vor in Berlin, Bremen und Nordrhein-Westfalen“, sagt er. Da zum Beispiel Hamburg mit einer ähnlichen Ausgangslage zu kämpfen gehabt habe wie Berlin oder Bremen, dort aber die Sportinfrastruktur nicht nachhaltig durch den Zustrom von Flüchtlingen in Mitleidenschaft gezogen worden sei, ließe das schon auf ein politisches Steuerungsproblem schließen, sagt Klages.

"Der Schulsport droht ins Abseits zu geraten"

Dem Präsidenten des Berliner Landessportbundes muss das mit dem politischen Steuerungsproblem keiner mehr erzählen. Klaus Böger hat das Räumungskonzept des Berliner Senats, nach welchem alle derzeit 63 mit insgesamt rund 10 000 Flüchtlingen belegten Sport- und Turnhallen im Laufe des Schuljahres 2016/17 geräumt sein sollen, mit großem Ärger vernommen. Das sei zwar der richtige Schritt, sagt er, nur müsse das zügiger gehen. „Wir haben jetzt schon Mühe, die Übungsleiter bei der Stange zu halten, wir haben einen Mitgliederverlust in den betroffenen Vereinen zu verzeichnen. Und der Schulsport, der ohnehin stiefmütterlich behandelt wird, droht noch weiter ins Abseits zu geraten“, sagt Böger. Am meisten ärgert es ihn, dass der Sport zuletzt im Verdacht stand, Integration zu predigen, aber den Flüchtlingen das Nötigste, ein Dach über dem Kopf, verweigern zu wollen.

Böger hat sich ein Bild von der Situation gemacht, er hat gesehen, wie hunderte Menschen auf engstem Raum mit drei oder vier Toiletten und wenigen Waschmöglichkeiten zusammenleben müssen. Der oberste Vertreter des Berliner Sports ist überzeugt, dass es bessere, humanere Alternativen für die Unterbringung der Flüchtlinge gegeben habe als die Turnhallen. Alternativen, wo den Menschen „zumindest ein Mindestmaß an Intimität gewährt worden wäre“. Und Böger weiß natürlich auch, dass der Berliner Sport noch lange mit den Problemen zu kämpfen haben wird, die durch die Belegung der Hallen mit Flüchtlingen entstanden sind, auch lange, nachdem die letzten Flüchtlinge ausgezogen sind.

David Kozlowski ist Stabsstellenleiter Sportinfrastruktur beim LSB Berlin. Er zeichnet ein erschreckendes Bild von der Situation in den belegten Hallen. Die sanitären Anlagen seien größtenteils stark beschädigt, die Feuchtigkeit in den Hallen sei ein großes Problem. „Ich denke, die Böden in allen Hallen müssen ausgetauscht werden, der Sanierungsbedarf wird also immens sein“, sagt Kozlowski. Außerdem könnte sich die Sanierung in die Länge ziehen, denn es droht ein Streit in der Frage, welche Schäden durch den Bezug der Flüchtlinge entstanden sind und welche schon vorher da waren. Für die früheren Schäden will der Senat auf keinen Fall Mittel aus dem Sonderinvestitionsfonds nehmen. Es passt zu dem politischen Steuerungsproblem, wenn Kozlowski sagt, dass es vor der Belegung nicht in jeder Halle Begehungen mit Bestandsaufnahmen gegeben habe. Der LSB-Mitarbeiter ist sich jedenfalls sicher, dass „in Berlin ab Herbst wieder das Murmeltier grüßen wird, weil der Sport in Berlin dann Hallen benötigt, die er nicht vorfinden wird“.

Auch Kirsten Ulrich von den Karower Dachsen glaubt, dass selbst wenn die Flüchtlinge schon im Mai aus der Karower Sporthalle ausziehen werden, es mindestens noch acht Monate dauern wird, ehe dort wieder Sport getrieben werden kann. Aber acht Monate haben die Dachse nicht mehr. Schon allein die Miete für die ehemalige Drogerie mit ihren 200 Quadratmetern beläuft sich auf 1800 Euro. Hinzu kommen die entstandenen Kosten für Transport und Lagerung von Sportgeräten. 18 000 Euro hat der Verein an Entschädigungszahlungen von der Berliner Verwaltung beantragt, bis jetzt ist nichts angekommen bei den Dachsen. Und selbst wenn die Senatsverwaltung einen Großteil der Kosten übernehmen wird, sind die Probleme damit noch nicht gelöst.

Vor wenigen Tagen, erzählt Ulrich, habe sich die Basketballabteilung aufgelöst. Diese hätte sich im Mai für den Spielbetrieb in der kommenden Saison anmelden müssen. Doch wo spielen, in der alten Drogerie sind die Decken jedenfalls zu niedrig, um Basketballkörbe aufzustellen. „Die Mitglieder, die jetzt noch dabei sind, werden nicht mehr lange die Füße still halten“, befürchtet Ulrich.

Es sind finstere Zeiten bei den Dachsen, doch so lange sich jemand bei Wind und Hagel aufmacht, Sport in einer ehemaligen Drogerie ohne Umkleiden und Duschen zu treiben, gibt es ganz bestimmt: Hoffnung.

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