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Schäfer feiert seine Goldmedaille bei der WM in Kobe, Japan

© IMAGO/Beautiful Sports

Showtime Schäfer: Bei den Paralympics 2024 will der Weltmeister Gold holen

Der dreifache Weltmeister im Weitsprung geht es oft ruhig an – und trumpft am Ende groß auf. In Paris will Léon Schäfer sich zum Paralympics-Sieger krönen – mit neuem Mindset.

Von Anna von Gymnich

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Léon Schäfer animierte vor seinem sechsten und damit letzten Versuch im Weitsprung noch einmal das Publikum. Drei Mal haute er sich mit der flachen Hand auf die rechte Brust, dann auf die linke, nickte ein paar Mal schnell mit dem Kopf.

„Ich pushe mich in so einem Moment selbst“, gab er nach dem Wettkampf einen Einblick: „Ich habe mir gesagt: ,Okay, du bist dafür gemacht, du bist ready.‘ Irgendwie brauche ich diesen Druck.“ Dann nahm der 27-Jährige in schnellen Schritten Anlauf, die Wangen aufgeblasen, mit seiner Prothese traf er den Absprungbalken perfekt und hob ab in die Nacht.

Er wusste sofort, dass diese Weite zum Sieg reichte. Schäfer streckte den rechten Zeigefinger Richtung Himmel und schaute hinterher. Zum dritten Mal in Folge hatte er im vergangenen Mai den WM-Titel gewonnen.

Der Modelathlet

Die mentale Stärke ist für Léon Schäfer der essenzielle Faktor für seinen sportlichen Erfolg. „Ich denke, dass das Mentale dem Physischen sogar überwiegt“, erzählt er in einem Videotelefonat vor ein paar Wochen: „Wenn man einen Wettkampf gewinnen will, dann macht man das nicht unbedingt nur mit dem Körper.“ Um sich mental stetig weiterzuentwickeln, sind Meditation und regelmäßige Reflexion für Schäfer ausschlaggebend. Das Ziel – sich selbst besser kennenzulernen, um jedes Potenzial ausschöpfen zu können. Auf manchen Bildern seiner Flüge könnte der Bremer auch einem Superheldenfilm entsprungen sein.

Ein Modelathlet, wenn es nach dem guten Freund Schäfers und früheren Paralympics-Sieger Heinrich Popow geht: „Wenn er das T-Shirt auszieht, kann man ihn auch direkt bei den Chippendales vorne hinstellen.“ Neben diesem Spaß hält er ihn jedoch für den Athleten mit der stärksten Psyche in der Konkurrenz der einseitig über dem Knie amputierten Athleten.

In Paris will Schäfer nun auch endlich bei den Paralympics triumphieren. Am Samstagabend geht es im Stade de France um Weitsprung-Gold. Bei seinem Debüt auf der größten Bühne des Para-Sports reichte es 2016 in Rio zu Platz vier, vor drei Jahren in Tokio gewann er – von sich selbst enttäuscht – Silber. Doch seither ging es für das Ausnahmetalent, das im vergangenen Jahr zum deutschen Para-Sportler des Jahres gewählt wurde, weiter steil nach oben. Er dominierte sein Starterfeld und hielt lange mit zuletzt 7,25 Metern den Weltrekord. Erst vor wenigen Wochen übertraf ihn einer seiner aktuell ärgsten Widersacher, der Niederländer Joel de Jong, dem mit 7,67 Metern vielleicht ein Satz für die Ewigkeit gelang. Doch in Paris werden all die Rekorde erst einmal nichts bedeuten.

Er braucht den Druck

Im Alter von 13 Jahren musste Schäfer nach einer Knochenkrebserkrankung der rechte Unterschenkel mitsamt Knie amputiert werden. Bis dahin hatte er es im Fußball bis in die Bremen-Auswahl geschafft. Nach der Amputation entdeckte er einen Flyer über die Behindertensportabteilung von Bayer Leverkusen. Sein Interesse war geweckt, sodass er sich kurz darauf wünschte, einen Para-Leichtathleten zu treffen.

Es kam zur Begegnung mit Markus Rehm. Der damals 22 Jahre alte Weitspringer stand zu diesem Zeitpunkt gerade an der Schwelle zu seiner großen Karriere – in Paris könnte er bei den Paralympics seine vierte Goldmedaille in Folge gewinnen. Zu sehen, was Rehm alles mit seiner Prothese kann, zeigte Schäfer damals, wo es für ihn selbst hingehen sollte. Etwas anderes kam für ihn nun nicht mehr infrage. „Also in erster Linie wollte ich einfach wieder laufen, schnell laufen“, sagt er. Schäfer entschied sich für eine Karriere als Sportler und zog dafür vor bald zehn Jahren nach Leverkusen.

Léon Schäfer gewann bei der Weltmeisterschaft in Japan im Mai zweimal Gold: über 100 Meter und im Weitsprung.

© IMAGO/Beautiful Sports

Bis heute gewann er bei Weltmeisterschaften mehrere Titel im Weitsprung und im Sprint über die 100 Meter. „Wenn er etwas macht, dann zu 100 Prozent“, sagt Popow: „Er lebt einfach den Gedanken des Leistungssports.“ Auch wenn es wie neulich in Japan – oder auch bei der vorigen WM 2023 in Paris – eben erst im sechsten Versuch zum Sieg reichen soll. Ein sich wiederholendes Merkmal des Sportlers.

Schäfer gesteht sich selbst ein, dass er den Druck des Wettkampfes meist erst mit dem letzten Sprung wirklich für sich nutzen kann. „Ich brauche ein bisschen, um reinzukommen. Und dann merke ich, dass ich jetzt mal einen Gang hochschalten muss.“ Er versucht, die Herausforderungen eines Wettkampfes mit Ruhe und Entspannung anzugehen: „Ich konzentriere mich nur auf das, was für mich wichtig ist.“ Für Popow stehe Schäfer sinnbildlich für das Sprichwort „In der Ruhe liegt die Kraft“.

Auch dessen langjähriger Freund und Trainingspartner Tom Malutedi, mit dem Schäfer 2017 in der Staffel über 4x100 Meter den WM-Titel feierte, beschreibt ihn als ein Fels in der Brandung. „Selbstbewusst und charakterstark“, sagt Malutedi: „Er meistert alles, als wäre es nichts.“ Er bezeichnet Schäfer als eine Art Bruder, der ihn inspiriert. Und vielleicht ist es ja genau das, glaubt Popow: „Léon fasziniert die Menschen und gibt der ganzen Thematik Behinderung und dem Para-Sport eine Leichtigkeit.“ Für ihn ist sein Freund die nächste Stufe in der Para-Leichtathletik.

Ich konzentriere mich nur auf das, was für mich wichtig ist.

Léon Schäfer

Schon länger gilt Léon Schäfer als der deutsche Para-Sportler mit dem vielleicht höchsten Starpotenzial. Er betritt die Wettkampfarenen meist mit Sonnenbrille und Kopftuch, entfacht das Publikum. Sein Style und die vielen Tattoos werden in den Medien zum Thema gemacht. Momentan ist er in einer Kampagne des US-amerikanischen Sportartikelherstellers Nike zu sehen. Mit anderen deutschen Sportlern wie Fußballer Leroy Sané, Boxerin Zeina Nassar oder Basketballer Moritz Wagner wird er darin – zum Soundtrack von David Bowies „Helden“ – zur gesellschaftlichen Inspiration stilisiert. Auf der Homepage zu dem Werbeclip steht im Begleittext über Schäfer: „Er sprintet und springt kontinuierlich aufs Podium. Aber was ihn eigentlich antreibt, ist der Wille, andere zu inspirieren, niemals aufzugeben – ganz egal, was das Leben so mit sich bringt.“

Jetzt ist er „ready“

Schäfer setzt dabei auf persönliches Wachstum. Ihm ist bewusst, was er alles für seinen sportlichen Traum und seine Erfolge gegeben hat. Und bleibt trotzdem bodenständig. „Uns könnte es immer schlimmer gehen“, sagt er und führt seinen Gedanken fort: „Es gibt viele Menschen, die sofort das Leben mit einem tauschen würden.“ Für ihn sei wichtig, verschiedene Perspektiven einnehmen und verstehen zu können – und dadurch mit einem optimistischen Blick durch die Welt zu gehen. „Sachen, die passieren, passieren erstmal nur“, sagt er: „Wir selbst geben den Dingen ihren Wert, es hat einfach viel mit Perspektive zu tun.“

Was das für seine Ziele in Paris bedeutet, wo er im Weitsprung und über 100 Meter antritt? Schäfer war schon einmal als Deutschlands Goldhoffnung zu den Paralympics gereist und konnte sich über den Gewinn der Silbermedaille dann kaum freuen.

Seit den Spielen in Tokio habe er gelernt, sich nur darauf zu fokussieren, worauf er auch Einfluss habe: „Und Sachen, die ich nicht beeinflussen kann, die lasse ich im besten Fall auch gar nicht an mich heran.“ In Paris wolle er einfach seine bestmögliche Leistung zeigen, die an dem Tag drin sei – „und wenn dann Gold dabei rauskommt, ist es doch umso schöner“. Neues Mindset, nennt er das. „Damals war ich mental noch nicht ready für das“, sagt Léon Schäfer und fügt an: „Zumindest nicht so ready wie jetzt.“

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