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Der Schatten des Trainers. Viele Fußballvereine in Berlin vertrauen auf Helfer, die sie nicht genau kennen. Foto: dpa
© picture-alliance/ dpa

Sport: Täter, die es nicht gibt

Ein neuer Missbrauchsfall zeigt Lücken im Fußball: Pädophile bleiben als Ehrenamtliche oft unentdeckt

Berlin - Die beiden Fußballtrainer schlenderten durch Karlshorst, sie trugen ihre Trainingsjacken, auf dem Rücken war „FC Karlshorst“ aufgeflockt. Ein Mann begegnete ihnen, er stutzte, dann sagte er zornig: „Trainiert ihr immer noch in dem Verein, in dem es so ein Schwein gab?“ Die Beiden gingen kommentarlos weiter.

Eine andere Szene, wieder Karlshorst. Eine Zahnärztin behandelt eine Frau, deren Sohn beim FC Karlshorst spielt. „Spielt Ihr Sohn nicht auch in diesem komischen Verein?“, fragt die Medizinerin.

Der Präsident des „komischen Vereins“, des Klubs, in dem es angeblich „so ein Schwein gab“, sitzt vor einer Tasse Kaffee und seufzt. Thomas Drobisch ist ein stämmiger Mann mit Glatze, ein eher ruhiger Mann. Aber die letzten Wochen haben ihm zugesetzt. „Wir müssen jetzt die bittere Pille schlucken“, sagt er.

Christian M., vom 25. September bis Mitte Januar Trainer der D1-Jugend des FC Karlshorst, sitzt in Untersuchungshaft. Er soll sich an einem Siebenjährigen „sexuell vergangen haben“, den er über einen Kinderpatenverein kennengelernt hatte. Der Fall hat nichts mit dem FC Karlshorst zu tun, dort ist M. nicht als mutmaßlicher Täter aufgefallen, aber der Verein hat jetzt trotzdem ein großes Imageproblem. Es nützt nichts, dass Drobisch immer wieder sagt, beim Verein sei M. nicht durch Übergriffe aufgefallen, der Punkt ist, dass M. schon früher hätte verhaftet werden können, wenn der FC Karlshorst keinen Fehler gemacht hätte. „Es gab Versäumnisse“, räumt Drobisch ein.

Gerd Liesegang, der Vizepräsident des Berliner Fußballverbands (BFV), formuliert es anders: „Der Verein hat seinem Bezirk großen Schaden verursacht.“ Neben Liesegang sitzt in der BFV-Geschäftsstelle Bernd Schultz, der Verbandschef. Er sagt: „Ich hoffe, dass viele Vereine jetzt aufgewacht sind.“ Viele Vereine, nicht bloß der FC Karlshorst. Der Fall Christian M. steht für ein generelles Problem. Es geht in der Konsequenz auch um die Bekämpfung von sexuellem Missbrauch.

Christian M. war zwar Trainer des FC Karlshorst, aber nie Mitglied des Vereins; ein erweitertes Führungszeugnis hat er auch nicht vorgelegt. Als Trainer hätte er dem BFV gemeldet werden müssen, das ist Pflicht. Jeder, der eine Tätigkeit als Betreuer ausübt, muss beim Verband registriert werden. Nur passiert das häufig nicht. „Der Klassiker sind Mütter oder Väter, die als Betreuer einspringen, weil jemand ausgefallen ist, aber gar nicht Mitglied im Verein sind“, sagt Liesegang. Viele dieser Aushilfskräfte bleiben dem Verband verborgen. Das kann fatale Folgen haben. Ohne Vereinsmitgliedschaft sind sie zum Beispiel bei Sportunfällen nicht versichert.

Auch der FC Karlshorst meldete M. nicht. „Es war uns nicht bewusst, dass wir das tun müssen“, sagt Drobisch. Einen Trainer M. gab es offiziell gar nicht beim BFV, deshalb konnten die Funktionäre auch nicht der Polizei weiterhelfen, als die nach M. fragte. Der Betreuer stand schon unter Missbrauchsverdacht. Beim ersten Kontakt mit der Polizei, im August, hätte der Verband nicht helfen können, weil M. erst ab Ende September bei Karlshorst arbeitete. Der BFV wäre bei einer späteren Untersuchung auf den Namen gestoßen.

In der Theorie hat der BFV ein ausgeklügeltes System. In der Praxis „sind bei vielen kleinen Vereinen die Leute überlastet und froh über jeden, der mithilft“, sagt Liesegang.

Schultz beugt sich vor und seufzt. „Wir stoßen quasi täglich auf neue Fälle.“ Namen, die nachgeliefert werden, weil der Fall Karlshorst viele aufgeschreckt hat. Es geht nicht nur um sexuellen Missbrauch; wer nicht registriert und kein Vereinsmitglied ist, gegen den kann der BFV sportrechtlich nicht vorgehen. „Wenn so ein Betreuer den Schiedsrichter verprügelt“, sagt Liesegang. „können wir den gar nicht bestrafen.“

Der BFV setzt nun auf verstärkte Aufklärung. Er bietet Schulungsabende an, auf denen Formalien erklärt und Hinweise geliefert werden, wie man bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch reagieren kann. So soll jeder, der als Betreuer arbeitet, ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Beim FC Karlshorst haben sie sich in diesem Punkt von M. mit Ausreden hinhalten lassen. Aber so etwas werde es nicht mehr geben, Thomas Drobisch sagt, er fahre jetzt eine klare Linie. „Jeder, der neu zu uns kommt, erhält einen Mitgliedsantrag“, sagt er mit strengem Blick. „Und wenn er nicht aktiv sein möchte, wird er eben passives Mitglied. Punkt.“

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