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Daria Kasatkina nach ihrem ersten Sieg als Spielerin des australischen Tennisverbandes.

© Getty Images via AFP/Matthew Stockman

„Weil ich ich selbst sein will, musste ich diesen Schritt machen“: Tennisspielerin Daria Kasatkina kehrt Russland den Rücken

2022 outete sie sich als lesbisch und kritisierte Putins Angriffskrieg auf die Ukraine. Jetzt spielt Daria Kasatkina für Australien, was in ihrer alten Heimat teils heftige Reaktionen auslöst.

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Für Alexander Tichonow ist die Sache klar: „Natürlich nenne ich solche Leute Verräter.“ Mit „solche Leute“ meint der ehemalige sowjetische Biathlon-Olympiasieger die Tennisspielerin Daria Kasatkina, die seit ein paar Tagen für Australien antritt und nicht mehr Russland repräsentiert.

Seit Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine dürfen russische Tennisprofis nur unter neutraler Flagge an Turnieren teilnehmen, so verhielt es sich in den vergangenen Jahren auch mit Kasatkina.

Beim WTA-Event in Charleston in den USA wurde sie nun als Daria Kasatkina „from Australia“ angekündigt – weswegen sie besonders vor ihrem Auftaktmatch ein wenig nervös war: „Mit dem neuen Status auf den Platz zu gehen, war ziemlich stressig. Ich hatte da schon ein bisschen Nervenflattern“, erzählte sie später nach dem klaren Sieg gegen Lauren Davis aus den USA.

Die frühere Top-Ten-Spielerin und aktuelle Nummer zwölf der Weltrangliste fremdelte schon länger mit ihrer Heimat Russland – ehe sie sich 2022 in einem Interview als lesbisch outete und dazu auch noch Putins Krieg verurteilte.

Später erklärte sie: „Im Moment ist es für mich angesichts des derzeitigen Regimes gefährlich, nach Hause zu gehen. Als homosexuelle Person, die gegen den Krieg ist, ist eine Rückkehr einfach nicht möglich.“

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Turniere hat Daria Kasatkina auf der WTA-Tour gewonnen

Nun hat die 27 Jahre alte Sportlerin aus Toljatti eine neue Heimat gefunden, wie sie am vergangenen Samstag via Instagram mitteilte: „Ich liebe es, in Melbourne zu sein, und freue mich darauf, dort mein Zuhause zu finden.“ Tennis Australia hat nach dem Karriereende von Ashleigh Barty damit wieder eine Spielerin, die für einen Grand-Slam-Titel infrage kommt und begrüßte Kasatkina entsprechend euphorisch.

Wobei, in Russland sehen sie das mit der Klasse ihrer früheren Spielerin ein bisschen anders – man könnte es auch Nachtreten nennen: „Kasatkina hat ihren Weg gewählt. Sie hat ein gutes Verständnis für das Spiel, besonders auf langsamen Plätzen. Aber es ist unwahrscheinlich, dass sie noch besser wird“, sagte Schamil Tarpischtschew, der Präsident des russischen Tennisverbandes.

Doch es gibt aus Russland auch moderate Reaktionen. „Es ist traurig, aber es ist die Realität“, sagte der einstige Topspieler Andrei Tschesnokow der russischen Nachrichtenagentur Tass und fügte fast trotzig hinzu: „Ich denke, es wird viel Hass gegen sie geben, aber ich gehöre nicht dazu, denn sie hat viel für das russische Tennis getan. Sie war unter den Top Ten der Weltrangliste, und ich werde sie weiterhin anfeuern.“

Kasatkina hat in ihrer Karriere bislang acht Einzeltitel auf der WTA-Tour geholt, 2018 unter anderem den Kremlin Cup in Moskau. Es sei ihr Kindheitstraum gewesen, dieses Turnier zu gewinnen, hatte sie damals bei der Siegerehrung erzählt. Heute ist es nur noch eine Erinnerung an ein Leben aus einer anderen Zeit. „Weil ich ich selbst sein will, musste ich diesen Schritt machen“, erklärte sie ihre Beweggründe für den Verbandswechsel kürzlich.

Weil ich ich selbst sein will, musste ich diesen Schritt machen.

Daria Kasatkina

Viele russische Sportler haben jüngst ihre Staatsbürgerschaft gewechselt, um weiterhin an großen Meisterschaften teilnehmen zu können. Nicht alle haben sich dabei so deutlich gegen die aktuelle Regierung in Moskau gestellt, wie es die Tennisspielerin getan hat.

Swetlana Schurowa, in Turin 2006 Olympiasiegerin im Eisschnelllauf und heute Duma-Abgeordnete, kommentiere Kasatkinas Entscheidung wohl auch deswegen durchaus mit Genugtuung. Die Tennisspielerin sei zwar gebürtige Russin, aber mit westlichen Werten aufgewachsen. Die Gründe für den Wechsel der Staatsbürgerschaft seien wohlbekannt.

„Deshalb hat sie Angst, nach Russland zurückzukehren – wegen ihrer nicht-traditionellen Werte.“ Homosexualität gilt in Russland offiziell als „Extremismus“, Kasatkina taugt damit nicht als Vorbild und ist folglich verzichtbar.

In Charleston schied sie in der Nacht auf Freitag gegen die US-Amerikanerin Sofia Kenin aus. Es wäre auch eine zu schöne Geschichte gewesen, wenn sie am Ort ihres ersten Turniersieges auf der WTA-Tour nun auch erstmals als Australierin den Titel gewonnen hätte.

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