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Für Sandro Schwarz wird es eng

© imago/Nordphoto/Juergen Engler

Update

Trainer Schwarz bei Hertha BSC vor dem Aus: Alles deutet auf einen vorzeitigen Abschied hin

Eigentlich wollte Hertha BSC an Trainer Sandro Schwarz festhalten. Die blamable Niederlage gegen Schalke 04 aber hat die Geschäftsgrundlage entscheidend verändert.

Stand:

Alexander Schwolow stand vor der Nordkurve mit den hüpfenden Schalker Fans. Er schüttelte den Kopf, und auf dem riesigen Videowürfel über dem Mittelkreis konnte man von seinen Lippen ablesen, was er in diesem Moment vor sich hin murmelte: „Wahnsinn!“

Schwolow ist Torhüter von Hertha BSC. Er ist vor der Saison an den Aufsteiger Schalke 04 ausgeliehen worden, und weil das Glück, wie zuvor schon in Berlin, auch in Gelsenkirchen, einen großen Bogen um ihn gemacht hat, hat Schwolow im Laufe der Saison seinen Platz als Nummer eins eingebüßt.

Am Freitagabend nun, ausgerechnet im vermeintlichen Endspiel im Abstiegskampf, ausgerechnet gegen seinen eigentlichen Klub, wurde der Torhüter kurz vor der Pause für den verletzten Ralf Fährmann eingewechselt. 2:0 führte seine aktuelle Mannschaft gegen seine ehemalige, und doch höhnten Herthas Fans bei Schwolows Einwechslung: „Jetzt geht’s los!“

Vielleicht hat Schwolow kurz darauf, als der erste Schuss auf sein Tor zum Anschlusstreffer für Hertha BSC führte, tatsächlich gedacht: Geht das schon wieder los? Am Ende aber ist alles gut gegangen. Für ihn. Für Schalke. Nur eben nicht für Hertha BSC.

Der Wahnsinn machte an diesem Abend in Gelsenkirchen fette Beute. Und Schwolows Geschichte war letztlich nur eine kleine im noch viel größeren Wahnsinn, für den wieder einmal Hertha BSC verantwortlich war. Die Mannschaft blamierte sich im Abstiegskampf erneut bis auf die Knochen. Statt neuer Zuversicht machte sich bei den Berlinern größtmögliche Tristesse breit.

Das 2:5 gegen den vormaligen Letzten Schalke, durch das Hertha selbst ans Tabellenende stürzte, war eine dieser Niederlagen, die alles ins Wanken bringen. Sportdirektor Benjamin Weber, seit Ende Januar im Amt, erinnerte nach dem Spiel noch einmal daran, dass der Klub eine „eine klare Überzeugung, eine klare Haltung“ habe. „Wonach lechzen wir denn? Nach Kontinuität, nach Stabilität“, sagte er.

Oliver Reiß und Ante Covic oder Markus Gisdol

Und trotzdem ist die Zeit von Trainer Sandro Schwarz, der erst seit Saisonbeginn im Amt ist, wohl zu Ende. Offiziell verkündet wurde die Trennung von ihm allerdings noch nicht. Ein Grund könnte sein, dass es noch keine Einigung mit dem Nachfolger gibt. Beziehungsweise: noch keine Einigung über den Nachfolger. Denn Hertha kann solche strategisch wichtigen Fragen nicht mehr allein entscheiden, sondern muss sich mit dem Investor 777 Partners abstimmen.

Die Vereinsführung um Präsident Kay Bernstein möchte wohl bei der Besetzung des Trainerpostens ebenfalls den jüngst ausgerufenen Berliner Weg beschreiten und präferiert eine Lösung mit Hertha-Bezug. Genannt wird in diesem Zusammenhang vor allem Oliver Reiß, Herthas U-19-Trainer, der den Cheftrainerposten im Gespann mit Ante Covic übernehmen könnte. Covic ist nach seinem Intermezzo bei den Profis der Berliner (Juli bis November 2019) wieder für Herthas U 23 verantwortlich. 777 Partners hingegen und Johannes Spors, der Sportdirektor des Investors, sollen zu Markus Gisdol tendieren.

Von den vier Klubs am Tabellenende ist Hertha der letzte verbliebene, der in dieser Saison noch nicht den Trainer gewechselt hat. Und eigentlich sollte Schwarz, der achte Coach seit dem Sommer 2019, nicht schon beim ersten Sturm vom Stuhl gefegt werden.

Der Klub war offensichtlich so fest entschlossen, an ihm festzuhalten, dass er nicht ausreichend auf den nun eingetretenen Fall vorbereitet war. Denn die Niederlage gegen Schalke hat den Verantwortlichen keine andere Wahl mehr gelassen, als noch einmal den Trainer zu wechseln.

Der Trainer ist die ärmste Sau, wenn man das Defensivverhalten sieht.

Benjamin Weber, Herthas Sportdirektor, nach dem 2:5 gegen Schalke

Beschlossene Sache war Schwarz‘ Aus zumindest am Freitagabend allerdings noch nicht. „Wir werden jetzt nicht hier direkt vor Ort eine Personaldiskussion führen“, hatte Weber vor der Rückreise nach Berlin gesagt. „Aber klar ist auch, dass wir die Situation komplett analysieren werden.“ Immerhin musste er zugeben, „dass der Trainer die ärmste Sau ist, wenn man das Defensivverhalten sieht“.

Schwarz kam am Samstagmorgen um kurz vor halb zehn aufs Vereinsgelände von Hertha BSC. Das Training für die Ersatzspieler auf dem Platz fiel aus, die Mannschaft ging auslaufen. Als die Spieler von ihrer Runde zurückkehrten, hatte Schwarz das Gelände schon wieder verlassen. Auch die sonst an Tagen nach dem Spiel übliche Medienrunde mit dem Trainer fand nicht statt. Alles Entscheidende spielte sich hinter verschlossenen Türen ab.

Stabile Fortschritte gab es unter Schwarz nicht

In der Pressekonferenz am Freitagabend hatte Schwarz die Trainerdiskussion als durchaus legitim bezeichnet, es sei die Verantwortung des Klubs, dass er sich darüber Gedanken mache. Und, nein, er fühle sich von seiner Mannschaft nicht im Stich gelassen. „Es ist meine Verantwortung als Cheftrainer“, sagte er über die Leistung des Teams, die in Wirklichkeit eine Nicht-Leistung war.

Den beiden ansprechenden Spielen zuletzt in Freiburg und gegen Leipzig ließ Hertha gegen Schalke einen vogelwilden Auftritt folgen. „In unserer Situation ist das unfassbar“, sagte Kapitän Marvin Plattenhardt. „Es ist schwierig, die richtigen Worte zu finden.“ Selbst wenn die Voraussetzungen mit diesem windschiefen Kader kompliziert waren: Auftritte wie der gegen Schalke sind letztlich natürlich auch auf den Trainer zurückgefallen.

Stabile Fortschritte hat es unter Schwarz nicht gegeben. Die Mannschaft konnte zwar punktuell zeigen, was dem Trainer vorschwebte. Aber eine Verlässlichkeit, die im Kampf gegen den Abstieg nötig gewesen wäre, war nicht zu erkennen. Der Punkteschnitt von 0,78 Punkten pro Spiel fällt desaströs aus.

Die Situation ist noch schlimmer als vor einem Jahr, als Hertha sich am Saisonende erst über die Relegation den Klassenerhalt sicherte. Damals wechselte der Klub nach dem 26. Spieltag den Trainer (von Tayfun Korkut zu Felix Magath) – als Vorletzter, mit 23 Punkten und punktgleich mit dem Sechzehnten. Jetzt ist Hertha Letzter. Ob er dieser Mannschaft den Klassenerhalt zutraue, ist Sportdirektor Weber am Freitagabend gefragt worden. „Ja“, antwortete er.

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