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Sport: Trainerdroge Bundesliga: Junkies mit Schutzpanzer

Irgendwann mal abends beim Italiener knallte Peter Neururer mit den Kopf auf den Teller. Der Kreislauf.

Irgendwann mal abends beim Italiener knallte Peter Neururer mit den Kopf auf den Teller. Der Kreislauf. Seine Frau brachte ihn ins Krankenhaus, und am nächsten Morgen stand Neururer wieder auf dem Platz. Das war Pflicht. Er war Trainer des 1. FC Köln. Ausfall bedeutet Schwäche, und Schwäche darf ein Bundesliga-Trainer nicht zeigen. Neururer stand sowieso schon unter Druck. Entlassen wurde er später trotzdem. Heute trainiert er den Zweitligisten LR Ahlen.

Werner Mickler kennt den Fall Neururer. Er ist Sport-Psychologe an der Sporthochschule Köln und arbeitet viel mit Bundesliga-Trainern zusammen. Er kennt sie alle, vor allem kennt er ihre Probleme. Da ist Jürgen Röber, der bei Hertha BSC so unter Strom steht, dass er oft nur zwei Stunden schlafen kann. Nachts rennt er deshalb um den Teufelsberg. Röber erinnert sich an ein Spiel in Bielefeld, als er "einen Hass spürte, den ich noch nie zuvor erlebt habe". Das war vor einem Jahr, als die Bielefelder Fans ihren Trainer Hermann Gerland beschimpften. Gerland wurde bald beurlaubt, jetzt trainiert er den Zweitligisten Ulm. Toni Schumacher lag mit Fortuna Köln nach 45 Minuten gegen Mannheim 0:2 zurück. In der Pause wurde der Trainer Schumacher entlassen. Köln verlor 1:5. Jetzt arbeitet er im Trainerstab von Bayer Leverkusen. Christoph Daum schnupfte Kokain und verbaute sich damit seinen Traumjob: Bundestrainer. Jetzt sucht er wieder einen Job.

Warum tun sie sich das an? Warum kommen sie nicht los von der Bundesliga? Warum lassen sie sich beschimpfen und verhöhnen und von Leuten feuern, die oft nur Fußball-Laien sind? "Weil es eine Sucht ist", sagt Peter Neururer. "Ich bin ein Fußball-Junkie." Deshalb schrieb er auch Trainingsprogramme, als er arbeitslos war. Deshalb trug er auch zu Hause ein Hemd mit dem Logo eines Sponsors, obwohl er keinen Job hatte. Neururer hat studiert, aber "Fußball ist das Leben".

Ein Satz, der alles zusammenfasst. Fußball als Droge, Entzugserscheinungen, absolute Abhängigkeit. "Die sind es gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen und Verantwortung zu übernehmen, die brauchen das", sagt Werner Mickler. Er kennt zwei Arten von Typen, die süchtig sind: "Ehemalige Spieler, die nichts anderes kennen als Fußball. Die können sich nicht vorstellen, ihr Leben anders auszufüllen." Und dann die Rangnicks und Skibbes und Neururers und Daums. Die Leute, die selber nie große Spieler waren, aber Fußball intellektuell arbeiten. "Die haben felsenfeste Vorstellungen", sagt Mickler. "Die sind absolut sicher, dass ihre Linie erfolgreich ist."

Diese Selbstsicherheit ist ihr Schutzpanzer. Medienkritik, pfeifende Fans, unruhige Präsidenten, all das prallt lange daran ab. "Die denken nicht über Dinge nach, die sie nicht beeinflussen können. Die konzentrieren sich auf ihre Arbeit. Dort können sie etwas bewegen", sagt Mickler. Entlassungen nehmen sie hin als Teil eines brutalen Geschäfts. Bestraft, sagen sie, werden Resultate, egal, wie sie zustande kamen, aber nicht wirklich die Arbeit. Die war gut. Deshalb gibt keiner auf.

Der größte Stressfaktor aber sind sie selbst. Sie wollen immer noch besserarbeiten, immer noch mehr kontrollieren. Schließlich müssen sie den Kopf hinhalten. Das ist fatal, sagt Mickler. "So macht man sich kaputt." Dem Berliner Röber hat er empfohlen, doch nicht jedes Telefonat selbst zu beantworten. Stundenlanges Videostudium? Unerlässlich für die Arbeit? "Eine Ausrede", sagt Mickler. "Dafür habe ich meinen Stab. Ein Trainer muss delegieren können."

Aber wenn plötzlich die ganze Plackerei zu Ende ist, weil der Trainer entlassen ist, dann läuft sein hoch gezüchteter Körper verhängnisvoll im Leerlauf. "Dann", sagt Peter Neururer, "sieht man nach einem halben Jahr Fliegen an der Wand, wo überhaupt keine sind."

Gibt es Bundesliga-Trainer, die wegen des ganzen Stresses ausgestiegen sind? Bernard Dietz beim VfL Bochum, ja. Aber sonst? "Sonst", sagt Mickler, "kenne ich keinen einzigen Fall."

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