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Nimm du ihn, ich hab ihn sicher. Maximilian Mittelstädt (l.) und Bundesligadebütant Luca Wollschläger vergaben kurz vor Schluss die Riesenchance zum 2:0 für Hertha BSC. Ein Menetekel für den Abstiegskampf?

© IMAGO/Ulrich Hufnagel

Und Felix Magath gibt die Kassandra: Ein Fehlschuss als Menetekel für Hertha BSC

Hertha BSC kassiert in Bielefeld kurz vor Schluss den Ausgleich, hat im Abstiegskampf aber alles in eigener Hand. Trotzdem mahnt und warnt Trainer Magath.

Der 30. April 2022 hat Luca Wollschläger in seinem noch jungen Leben einige neue Erfahrungen beschert. Der 19 Jahre alte Offensivspieler aus der A-Jugend von Hertha BSC hat an diesem Samstag sein Profidebüt in der Fußball-Bundesliga gefeiert; zum ersten Mal in seinem Leben stand er gleich im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit, und Erfahrungen mit der Medienöffentlichkeit hat er auch gemacht.

Sie waren fürs Erste noch recht bequem und gut gepolstert.

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Wollschläger, sichtlich nervös bei seinem Debüt vor der Kamera, wurde nach dem 1:1 von Hertha BSC bei Arminia Bielefeld lediglich von der vereinseigenen Medienabteilung vernommen. Das hatte den Vorteil, dass ihm unbequeme Fragen zu jener Szene erspart blieben, die ihn am Samstag auch einem größeren Publikum schlagartig bekannt gemacht hatte – und für die sich Wollschläger wohl schuldiger fühlte als geboten. „Ich habe keine Ahnung, warum er bedröppelt sein sollte“, sagte sein Trainer Felix Magath. „Mit seiner Leistung war ich so was von zufrieden, das können Sie sich gar nicht vorstellen.“

Etwas mehr als zwei Minuten waren am Samstagnachmittag auf der Bielefelder Alm regulär noch zu spielen, 1:0 führte Hertha durch ein Kopfballtor von Lucas Tousart, als Wollschläger kurz hinter der Mittellinie einen vielversprechenden Konter startete. Seinen Bielefelder Gegenspieler hielt er sich geschickt vom Leib, und plötzlich hatte er nur noch Torhüter Stefan Ortega vor sich. Wollschläger traf eine Entscheidung, die man in dieser Situation durchaus treffen kann: Er passte den Ball nach links zum mitgelaufenen Maximilian Mittelstädt.

Felix Magath und sein Hang zum Fatalismus

So weit, so gut. Aber auch Mittelstädt passte noch einmal zurück – womit nicht nur Wollschläger nicht gerechnet hatte, sondern vermutlich auch sonst niemand im Stadion. „Ich war überrascht, dass man in so einer Situation auf die Idee kommt, quer zu spielen“, sagte Herthas Trainer Magath. „Ich dachte, Maxi versenkt den.“

Am Ende versenkte Mittelstädt nicht den Ball, sondern die glänzende Chance für Hertha BSC, sich im Abstiegskampf deutlich besser zu positionieren. Zum Klassenerhalt hätte auch das 2:0 kurz vor Schluss nicht gelangt, aber zumindest der direkte Abstieg wäre mit einem Sieg in Bielefeld ausgeschlossen worden. Doch statt 2:0 hieß es kurz darauf 1:1. „Damit müssen wir dann jetzt alle leben“, sagte Magath in einem Anflug von Fatalismus.

Man müsse schon ein bisschen schmunzeln über die spektakulär vergebene Chance kurz vor Schluss, erklärte Herthas Trainer. Aber zum Lachen war ihm nicht zumute. So wie er sich in den vergangenen Tagen in der Öffentlichkeit gegeben hat, als Mahner und Warner, dürfte ihn der Fehlschuss in seiner Einschätzung der Situation bestätigt haben: Für die Kassandra Felix ist es noch nicht vorbei. Wer das glaubt, für den wird es ein böses Erwachen geben.

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„Der späte Ausgleich hat uns ins Mark getroffen“, sagte Herthas Sportgeschäftsführer Fredi Bobic über das 1:1 der Bielefelder in der Nachspielzeit. „Aber wenn man auf die Tabelle schaut, sieht man, dass eigentlich nichts passiert ist.“ Hertha hat den Vorsprung auf die beiden Konkurrenten Stuttgart und Bielefeld gewahrt, und weil beide nun ein Spiel weniger haben, um diesen Vorsprung noch aufzuholen, ist sogar nicht nur nichts passiert. Eigentlich hat sich Herthas Situation sogar verbessert.

Der direkte Abstieg könnte sich für die Berliner am Freitagabend kurz vor dem Zähneputzen endgültig erledigt haben – falls Bielefeld in Bochum nicht gewinnt. Und die Rettung ist am Sonntagabend möglich, wenn der VfB Stuttgart bei den Bayern antreten muss. Hertha hat aber auch alles selbst in der eigenen Hand und muss nicht auf die Ergebnisse der Konkurrenz schielen. Ein Punkt aus den beiden Spielen gegen Mainz und in Dortmund reicht, um nicht mehr direkt absteigen zu können. Ein Sieg macht den Klassenverbleib, ohne Wenn und Aber, perfekt.

Ein Sieg beseitigt alle Zweifel

Aber Felix Magath kennt die Geschichte der Bundesliga zu gut, um sich schon in Sicherheit zu wiegen. Vor dem Spiel in Bielefeld hat er auf den Ausgang der Saison 1993/94 verwiesen, als der 1. FC Nürnberg bereits so gut wie gerettet schien und Aufsteiger Freiburg als sicherer Absteiger galt.

Drei Spieltage vor Schluss hatte der Club vier Punkte Vorsprung. Doch die Freiburger gewannen alle noch ausstehenden Begegnungen und blieben dank der um elf Treffer besseren Tordifferenz am Ende in der Bundesliga.

Bei Magath weiß man nie, was wirklich ernst gemeint ist – und was nur gut gespielt. In jedem Fall spielt er seine Rolle konsequent. Dazu gehörte auch die öffentlichkeitswirksam vorgetragene Klage gegen den FC Bayern, der in Mainz sehr überraschend 1:3 verloren hatte. Die Münchner haben vor einer Woche den Meistertitel perfekt gemacht und schienen es nun ein bisschen lockerer angehen zu lassen.

„Die Saison geht halt bis zum letzten Spieltag für alle Mannschaften“, klagte Magath bei Sky mit Blick auf das nächste Spiel der Bayern gegen Herthas Konkurrenten Stuttgart. „Ich weiß nicht, warum dann eine Mannschaft sagen kann, wir spielen diesmal die Saison nicht bis zum Ende, wir machen drei Spiele vorher Schluss.“

Eins hat Magath in seiner Sorge und trotz seiner profunden Kenntnis der Bundesligageschichte übrigens vergessen: den Bayernbesiegerfluch. Wer die Bayern schlägt, wird das nächste Spiel ganz sicher nicht gewinnen. Am Samstag trifft der Bayernbesieger Mainz im Olympiastadion auf Hertha BSC.

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