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US-Turnerinnen trumpfen in Paris auf: Simone Biles gewinnt mit dem Team gähnend-locker Gold bei Olympia
Die US-Amerikanerinnen liefern eine große Show im Turn-Mehrkampf ab. Für Simone Biles ist es die fünfte Goldmedaille bei Olympia.
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Edith Piaf ertönte am Dienstag in der Bercy-Arena in Paris. Kurz darauf führte ein junger Mann einen Moonwalk auf, bei dem der posthum in Ungnade gefallene Michael Jackson errötet wäre. Die rund 10.000 Zuschauer jubelten laut auf. Man wollte fragen: Was soll nun noch kommen?
Es betrat Sekunden später Simone Biles die Arena, und die Leistung des formidablen Vortänzers war in der Sekunde vergessen. Die US-Amerikanerin ist der wohl größte Stern bei diesen Olympischen Spielen. Vor dem Mehrkampffinale der Turnerinnen hatte sie bereits sieben Medaillen bei Olympia gewonnen, davon vier goldene. Am Dienstag sollte mit dem US-Team eine weitere Goldmedaille dazukommen (171.296 Punkte), Silber ging an Italien (165.494), Bronze an Brasilien (164.497)
Biles wirkte in der Qualifikation entspannt wie selten. Auch beim Finale kehrte sie ihre neu gefundene Entspanntheit fast schon ostentativ nach außen. Vor der zweiten Übung, dem Stufenbarren, gähnte sie sekundenlang – wohl wissend, dass die Kameras auf sie gerichtet waren. Die Zuschauer lachten, Biles tat es auch – und absolvierte danach eine fehlerfreie Übung.
Biles mag der große Star der Turnerinnen sein, so dominierend wie früher ist die 27-Jährige aber nicht mehr. Am Dienstag wurde sie manches Mal von ihren Landsfrauen übertrumpft, etwa von der eleganten Sunisa Lee am Stufenbarren und Schwebebalken.
Nach den ersten beiden Disziplinen (Sprung und Stufenbarren) führten die US-Amerikanerinnen bereits deutlich. Zur Halbzeit schien schon fast alles entschieden – wenngleich im Geräteturnen ein Sturz alles zunichtemachen kann. Aber das passierte nicht. Im Gegenteil, die US-Amerikanerinnen machten genauso weiter. Mit wenigen Fehlern und viel Enthusiasmus.
So war die Goldmedaille für Biles – wie es im Sportjargon heißt – Formsache. Dabei ist genau dies das Stichwort bei der außergewöhnlichen Turnerin. Es ist bemerkenswert, dass sie ihre Form wiedererlangt hat.
Die 1,42 Meter große Sportlerin hatte in der Vergangenheit mit vielen Rückschlägen zu kämpfen, vor allem mentaler Art. Auf dem Weg zum Superstar musste sie vieles durchmachen. Ihre Mutter Shanon war alkohol- und drogenabhängig, immer wieder im Gefängnis. Ihr Vater Kelvin Clemons verließ die Familie früh. „Ich erinnere mich noch“, sagte Simone Biles einmal, „dass ich in den ersten Jahren immer hungrig und ängstlich war. Ich hatte keine Mutter, zu der ich gehen konnte.“
Die Kinder, insgesamt vier, kamen in eine Pflegeunterkunft in ihrer Geburtsstadt Columbus im US-Bundesstaat Ohio. Als Biles drei Jahre alt war, wurden sie und ihre Geschwister von den Großeltern Ron und Nellie Biles adoptiert. Sie bezeichnet ihre Großeltern seit vielen Jahren als ihre Eltern. „Sie haben mich gerettet“, sagte Biles.
Gerettet auch von Erfahrungen, die sie im US-Turnverband machen musste. Sie war eines der Opfer des früheren Teamarztes Larry Nasser, der wegen massenhaften sexuellen Missbrauchs im Gefängnis sitzt.
Dass Biles es geschafft, noch einmal zurückzukommen, ist fürwahr ein kleines sportliches Wunder. Inzwischen ist Biles vielleicht nicht mehr auf dem Zenit ihrer Karriere. Aber sie hat offensichtlich mehr Freude denn je an ihrem Sport. Das könnte ihr auch bei den Einzelfinals helfen, die am Donnerstag beginnen.
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