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Der Olympia-Fackellauf in einer Nazi-Kulisse. Die Nationalsozialisten instrumentalisierten den Sport - der sich nicht dagegen wehrte.

© IMAGO/UIG

Verfolgung der Juden im Dritten Reich: Wie sich der Sport den Nazis andiente

Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, begann auch die Drangsalierung der jüdischen Sportbewegung – bis zu ihrer Zerschlagung 1938. Nachzulesen ist dies in einem neu aufgelegten Buch.

Stand:

„Vielleicht ist die Erinnerung an diese Stunden auf dem Sportplatz Grunewald die einzig wirklich angenehme Erinnerung an meine Schulzeit. Alles Bedrückende, das auch in der Schule auf uns lastete, war dort wie weggeweht“, erinnerte sich die Holocaust-Überlebende Inge Deutschkron. „Wenn wir allerdings zur Rückfahrt in den S-Bahn-Zug einstiegen, war diese gelöste Atmosphäre ebenso schnell wieder verflogen.“ Sport als Oase in der Hölle des Nationalsozialismus.

Anlässlich des 80. Gedenktages an die Opfer des Holocaust am 27. Januar sei auf ein Buch hingewiesen, das 1988 erstmals erschien und kürzlich neu aufgelegt wurde: „Mit dem Davidstern auf der Brust – Spuren der jüdischen Sportjugend in Berlin zwischen 1898 und 1938“. Verfasst wurde es vom Berliner Historiker Kurt Schilde, und die Neuauflage enthält ein zusätzliches Kapitel des ehemaligen Potsdamer Professors Hans Joachim Teichler.

Wie Deutschkron beschreibt, konnte der Sport dazu beitragen, die größten Sorgen für kurze Momente zu vergessen. Doch diese Momente waren flüchtig. Das wird nach der Lektüre des Buches klar. Ebenso wird deutlich, dass der Sport – insbesondere die (nicht-jüdischen) Sportverbände und Vereine in Deutschland – wenig bis gar nichts unternahm, um die Situation der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu verbessern.

Im Gegenteil: „Mit vorauseilendem Gehorsam“, wie es bereits im Vorwort heißt, schlossen viele bürgerliche Vereine schon im Frühjahr 1933 ohne staatliche Anordnung ihre jüdischen Mitglieder aus, um sich bei den neuen Machthabern anzubiedern.

Der organisierte Sport, dessen Vertreter gerne die Friedensidee der olympischen Bewegung postulierten, tat sich geradezu hervor, wenn es darum ging, jüdische Mitglieder zu drangsalieren. Diese Haltung führte dazu, dass die jüdische Sportbewegung in den 1930er-Jahren einen starken Zulauf erlebte – mit eigenen Vereinen wie dem Turnverein Bar Kochba.

Zentrum des jüdischen Sports in Berlin war der von Inge Deutschkron beschriebene Sportplatz Grunewald. Dieser wurde 1931/32 in Eigenarbeit ausgebaut und bis 1938 genutzt. Dort fanden große Sportveranstaltungen mit bis zu 5000 Anwesenden statt.

Doch spätestens ab Herbst 1933 waren jüdische Mitbürger auch auf ihrem eigenen Sportplatz nicht mehr willkommen. Bei den deutschen Makkabi-Meisterschaften tauchten SA-Männer auf und schikanierten die Sportlerinnen und Sportler. Veranstaltungen des jüdischen Jugendbundes Makkabi Hazair wurden untersagt. Schilde schreibt: „Unter keinen Umständen könne erlaubt werden, dass Juden im deutschen Wald Aufzüge mit jüdischen Fahnen abhalten, hätten die SA-Leute erklärt.“

Duldung der jüdischen Sportbewegung wegen Olympia

Der jüdische Sport in Deutschland verschwand in den folgenden Jahren nicht völlig von der Bildfläche – aus einem einzigen Grund: die Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Um das internationale Ansehen vor und während der Großveranstaltung nicht zu gefährden, duldeten die Nationalsozialisten offiziell die jüdischen Sportverbände und Vereine in Deutschland.

Aber mit den Novemberpogromen 1938 zerstörten die Nationalsozialisten die jüdische Sportbewegung endgültig. Alle Büros, Turnhallen, Sportplätze und Jugendheime jüdischer Sportvereine wurden beschlagnahmt. Der Sportplatz Grunewald lag brach; in den letzten Kriegsjahren diente das Gelände als Barackenlager für ausländische Zwangsarbeiter.

Und die Sportlerinnen und Sportler? Viele von ihnen wurden deportiert und ermordet. Darunter waren bekannte Größen wie die mehrfache Weltrekordlerin Lilli Henoch, die 1942 nahe Riga erschossen wurde; die Olympiasieger im Turnen, Alfred und Gustav Felix Flatow, die beide im Konzentrationslager Theresienstadt starben; oder der Fußballnationalspieler und Deutsche Meister Julius Hirsch, der im Vernichtungslager Auschwitz wie vermutlich 1,5 Millionen andere Menschen ermordet wurde.

Bis auf wenige kurze Momente konnte der Sport im Dritten Reich keinen Trost spenden. Vielmehr war er eng in den nationalsozialistischen Terror eingebunden. Das macht die Lektüre des Buches deutlich.

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