Melbourne - Die australische Boulevardzeitung „Herald Sun“ hatte gestern auf der letzten Seite in großen Druckbuchstaben einen Auftrag an jeden Leser: „Hebe die Hände hoch, wenn du ein Gewinner bist“. Man musste es einfach nur den vier Frauen in ihren gelben Trainingsjacken nachmachen, die auf der gleichen Seite riesengroß abgebildet waren. Die hoben ihre Hände auf dem Foto: Denn die 4-x-100-Meter-Freistilstaffel hatte ja nicht bloß den ersten Titel für Australien bei der Schwimm-Weltmeisterschaft in Melbourne gewonnen, die vier hatten vor allem in einem grandiosen Finish die USA hinter sich gelassen.
Am Morgen danach, ein paar Stunden nach dem Finale, steht Örjan Madsen am Beckenrand und sucht nach Erklärungen. Vergeblich. Die deutsche Weltrekordstaffel landete nur auf dem vierten Platz hinter den Niederlanden. „Ich kann das nicht begründen“, sagt Madsen. Er könnte jetzt von mentalen Problemen reden wie drei seiner Staffel-Schwimmerinnen, aber das ist ihm zu einfach. „Britta hat bewiesen, dass sie mit Druck umgehen kann“, sagt Madsen. Britta Steffen, Weltrekordlerin über 100 Meter Freistil, schwamm 52,65 Sekunden, so schnell war noch nie eine Frau in einer Staffel. Es nützte nichts, die anderen waren zu schlecht. „Wir müssten eigentlich sowohl psychisch als auch physisch weiter sein als in Budapest“, sagt Madsen. In Budapest, bei der EM, schwammen die Deutschen ihren Weltrekord (3:35,22 Minuten).
Es kam noch schlimmer, die deutsche 4-x-100-Meter-Staffel der Männer kam mit katastrophalen 3:19,00 Minuten nicht mal ins Finale. Ausgerechnet die Staffeln, die Herzstücke des deutschen Schwimmens, haben gepatzt. Dabei sollten die Frauen für den großen Knall zum Auftakt sorgen, sie sollten die anderen aufputschen. So war der Plan. Dass er nicht aufging, hat aber vielleicht auch damit zu tun, dass Bundestrainer Manfred Thiesmann nur noch einer von vielen ist. Viele Jahre lang hatte er Staffel-Aufstellungen ausgeklügelt, gegnerische Taktiken studiert und Informationen über die Konkurrenz eingeholt. Irgendwann war er so fit, dass er viele Aufstellungen der Gegner richtig voraussah. Thiesmann feierte spektakuläre Erfolge.
Madsen stufte ihn zurück. Jede Staffel hat jetzt einen betreuenden Trainer. Der darf die Aufstellung vorschlagen, Madsen hat das letzte Wort. Der Norweger will damit Verantwortung breiter verteilen. Für die Frauenstaffel vom Sonntag war somit Stefan Döbler verantwortlich. Zuvor hatte Thiesmann generell Vorschlagsrecht. Am Sonntag erklärte er, wie alle anderen Trainer, seine Vorstellungen von der Besetzung. Döbler hatte andere Vorstellungen.
Australien startete mit der sehr schnellen Lisbeth Lenton. „Das war vorherzusehen“, sagt Thiesmann. Die Australier schicken immer ihre besten Leute am Anfang ins Wasser. Auch die USA würden schnell beginnen, das war klar. Für so einen Fall gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder man stellt ebenfalls seine beste Athletin auf die Startposition oder man schickt sie spätestens als Zweite. Denn der Abstand zu den Gegnern darf nicht zu groß werden. Eine Länge Rückstand in einem Weltklassefeld bedeutet, dass die Nächste in hohe Wellen springen muss. Damit verliert sie Geschwindigkeit. Vor allem aber frustriert ein großer Rückstand jene, die auf dem Block stehen. „Nur wenn es knapp ist, kannst du dich in ein Hoch schwimmen“, sagt Thiesmann. In einer direkten Duellsituation sind schon viele deutsche Athleten über sich hinausgewachsen.
Doch Petra Dallmann als Startschwimmerin hatte fast zwei Sekunden Rückstand auf Lenton, Annika Lurz konnte direkt danach den riesigen Rückstand nicht wettmachen, weil sie, gemessen an ihrer Bestzeit, nur ungefähr gleich schnell ist wie Dallmann. Als Britta Steffen als letzte Deutsche ins Wasser sprang, war der Rückstand zumindest auf Australien und die USA uneinholbar. Andererseits garantiert Thiesmanns Wissen nicht automatisch Erfolge. Für die 4-x-100-Meter-Freistil-Staffel der Männer war er verantwortlich. Aber die Staffelmitglieder schwammen so schlecht, dass Taktik hier kaum Bedeutung hatte. Und da ging es dem Bundestrainer so wie Madsen. Thiesmann sagt: „Ich habe für diese Leistung keine Erklärung.“
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: