
© dpa/Patrick Seeger
Frauen im Fußballstadion: „Mindestens einen sexistischen Spruch kriegt man jedes Mal zu hören“
Die Sängerin Mine erlebte sexistische Übergriffe durch mutmaßliche Hertha-Fans. Viele zeigten sich geschockt. Dabei sind solche Vorfälle im Fußball keine Seltenheit, weiß unsere Autorin.
Stand:
Es sind erschreckende Szenen, die die Sängerin Mine, bürgerlich Jasmin Stocker, am Samstagabend auf ihrem Instagram-Profil teilt: In kurzen Videos dokumentiert Stocker, wie sie während einer Bahnfahrt mehrfach von Hertha-Fans belästigt und sexistisch beleidigt wird.
In den sozialen Medien gehen die Clips schnell viral, der Aufschrei ist groß. Dabei dürften vor allem ein Großteil der weiblichen Fußballfans von den Aufnahmen zwar ebenso enttäuscht, aber keineswegs überrascht sein. Ganz im Gegenteil werden sich die allermeisten Frauen, die regelmäßig live Männerfußball gucken gehen, selbst in den gefilmten Szenen wiederfinden.
Dass viele Fans von Stockers Videos aus dem Zug so geschockt waren, zeigt vor allem, wie wenig Bewusstsein auch heute noch für das Thema herrscht.
Innerhalb der Stadien gibt es mittlerweile erste Schutzmaßnahmen
Ich selbst wurde quasi in eine Fußballfamilie hineingeboren und bin seit Jahren eine aktive Stadiongängerin. Wenn ich allerdings überlege, wann ich das letzte Mal ohne jeglichen Übergriff ein Männerspiel vor Ort gesehen habe, muss ich lange zurückdenken. Ob im Stadion selbst oder auf dem Hin- oder Rückweg, ob Fans der gegnerischen Mannschaft oder Fans, die das gleiche Team unterstützen – mindestens einen sexistischen Spruch kriegt man, als weiblicher Fußballfan, eigentlich immer zu hören.
Dass ich die Mehrheit dieser Kommentare mittlerweile mehr oder weniger emotionslos ignoriere, hat besonders zwei Gründe. Zum einen habe ich keine Lust auf ziellose Diskussionen mit meinem meist sowieso uneinsichtigen Gegenüber. Zum anderen, und das ist vermutlich der viel bitterere Grund, habe ich mich schlichtweg daran gewöhnt. Man könnte fast meinen, ich hätte es nie anders gekannt.
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Schließlich habe ich mir schon als kleines Kind auf dem Fußballplatz anhören müssen, dass ich ja eigentlich ganz gut spielen würde und sogar ein bisschen Ahnung hätte. Dafür, dass ich halt ein Mädchen wäre, versteht sich. Überhaupt habe ich oft schon beim Betreten des Platzes, wenn die Jungs realisiert haben, dass ich tatsächlich mitspielen und nicht nur von der Seite aus zugucken wollte, den ein oder anderen ungläubigen Blick kassiert.
Während für die meisten Frauen Vorfälle, wie sie Stocker am Samstag erleben musste, also keine Seltenheit, sondern viel eher die alltägliche Realität darstellen, halten viele Männer sie oft weiterhin für Einzelfälle. In Gesprächen mit männlichen Fans, ob direkt in der Kurve oder auch in meinem privaten Umfeld, sind nicht wenige der festen Überzeugung, dass Sexismus längst aus den deutschen Stadien verbannt sei.
Wie sehr diese fast schon utopischen Behauptungen an der Wirklichkeit vorbeigehen, zeigen nicht zuletzt Stockers Videos, auf welche Hertha BSC bereits am Sonntag reagierte. In einem Statement verurteilte der Klub die Vorfälle scharf und kündigte zudem Gespräche mit den eigenen Fans an.
Und so gibt es trotz dieses erschütternden Ereignisses auch durchaus positive Entwicklungen. In fast allen Stadien gehören sogenannte Awareness-Teams, die Opfern von Diskriminierungen als Ansprechpartner dienen, mittlerweile zum Standard. Je nach Heimspielstätte gelten unterschiedliche Codewörter. Bei Hertha können die Betroffenen beispielsweise durch die Frage „Wo ist Lotte?“ auf sich aufmerksam machen und an das geschulte Personal vermittelt werden.
Unter anderem solche Maßnahmen helfen auch dabei, die breite Zuschauerschaft für die weiterhin stattfindenden Diskriminierungen in Fußballstadien zu sensibilisieren. Denn schlussendlich braucht es vor allem ein stärkeres Bewusstsein für genau diese Übergriffe. Schließlich können sich weibliche Fußballfans beispielsweise auf dem Weg zum Stadion, ganz gleich, ob zu Fuß, mit dem Bus oder, wie bei Stocker, in der Bahn, auch nicht auf die vereinsinternen Schutzmechanismen verlassen.
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