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© dpa

WM-Lehrgang: Wahnsinn oder Pflicht?

Der Treff der Nationalmannschaft in Stuttgart stößt nicht bei allen Bundesliga-Klubs auf Gegenliebe. Bundestrainer Joachim Löw versucht nun, Missverständnisse auszuräumen.

Jerome Boateng probierte den dunklen Ausgehanzug einfach über der Spielkleidung der deutschen Fußball-Nationalelf an. Der 21-Jährige vom Hamburger SV brauchte für diese Übung nur wenige Momente: Passt, und weiter geht’s. Jeder aus dem erweiterten WM-Kader bekam gestern in einem Stuttgarter Hotel einen Laufzettel in die Hand, der abgearbeitet werden musste. Ein ganzer Tag war gefüllt für Marketingaktivitäten und Fotoaufnahmen. Aber auch die Gegenleistung kann sich sehen lassen. Rund 40 Millionen Euro jährlich erlöst der Deutsche Fußball-Bund (DFB) von seinen Sponsoren. Und ganz nebenbei steht noch ein Fitnesstest auf dem Programm. "Wir stehen in der Pflicht bei unseren Sponsoren", sagte Joachim Löw, der obendrein seine Bundesligakollegen zu einer Tagung eingeladen hatte. Und so konnte der Bundestrainer den Tag nutzen, das eine oder andere Missverständnis auszuräumen.

Es hatte vor dem mehrtägigen Treff der Nationalmannschaft in Stuttgart einigen Ärger gegeben. Insbesondere Bayern Münchens Trainer Louis van Gaal hatte sich beschwert und die Abstellung seiner deutschen Nationalspieler als Wahnsinn bezeichnet. Der Holländer blieb der Tagung fern. Neben van Gaal waren auch andere Trainer wie beispielsweise Thomas Schaaf nicht persönlich anwesend. Sie verwiesen auf die momentane Situation in ihren jeweiligen Vereinen, schickten Vertreter und ernteten Verständnis von Löw. Was der Bundestrainer allerdings nicht verstehen wollte, war die Kritik von van Gaal. "Es gibt immer mal wieder unterschiedliche Interessen und Meinungen. Ich halte van Gaals Reaktion für normal, aber dieser Termin war lange abgesprochen“, sagte Löw.

Rückendeckung erhielt der Bundestrainer von Jupp Heynckes. Beide Seiten, also die Klubs und der DFB, würden von einer Weltmeisterschaft enorm profitieren, sagte der Trainer des Tabellenführers aus Leverkusen und sicherte Löw alle Unterstützung zu: "Jeder Spieler, der für eine WM in Frage kommt, ist doch noch motivierter und konzentrierter.“ Das sei gut für jeden Trainer, sagte Heynckes. "Die Bundesliga will, dass die Nationalmannschaft erfolgreich in Südafrika abschneidet, da kann man nicht kurzfristig aufschreien.“ Allerdings lieferte Heynckes, der lange in Spanien als Trainer arbeitete, auch den möglichen Grund für van Gaals Kritik. Dass Nationalspieler für Werbemaßnahmen und Fitnesstest abgestellt werden, "ist er wohl nicht gewohnt“, sagte Jupp Heynckes. „Ich kannte es aus Spanien auch nicht.“

Tatsächlich aber hat der Stuttgarter WM-Lehrgang eine Vorgeschichte. Diesem Termin zugrunde liegt eine Vereinbarung zwischen den Bundesligaklubs und dem DFB. Weil der Verband die Nationalmannschaft im vergangenen Sommer nach Asien schickte und dort mit zwei Länderspielen eine Werbeoffensive der Deutschen Fußball-Liga (DFL) in China und den Vereinigten Arabischen Emiraten flankierte, war dem Bundestrainer eine Gegenleistung zugesichert worden. Diese bestand darin, in diesem Januar die Spieler für WM-Werbespots und einen Fitnesstest abzustellen.

Dass den gestrigen Marketingtermin Michael Ballack und Lukas Podolski, die beiden wichtigsten Werbeträger des deutschen Fußballs, nicht wahrnehmen konnten, hat die Partner des DFB zwar gestört, dennoch wurde auf die Bereitstellung von Doubles verzichtet, wie es überlegt worden war. Womöglich gibt es da noch mal einen Termin zwischendurch. Den muss van Gaal ja nicht kennen.

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