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Sport: Weltverein gegen Werksklub

Es laufen die letzten Sekunden, Reiner Calmund ist von der Ehrentribüne in den Innenraum gekommen. Sein Puls bollert wie ein Dieselmotor.

Es laufen die letzten Sekunden, Reiner Calmund ist von der Ehrentribüne in den Innenraum gekommen. Sein Puls bollert wie ein Dieselmotor. Der Schlusspfiff. Bayers Manager springt Toni Schumacher in die Arme, Klaus Toppmöller sinkt auf die Knie, Michael Ballack, der in der dritten Minute mit einem Schuss aus 24 Metern den einzigen Treffer erzielt hat, nimmt Ulf Kirsten in den Arm. Auf den Rängen brennen weiße Fahnen: Bayer Leverkusen hat die Champions League gewonnen. So könnte es sein, heute, um kurz nach halb elf im Hampden Park zu Glasgow.

Vermutlich wird es anders kommen. Vermutlich wird der Favorit das Finale gewinnen, die Millionärsvereinigung aus Madrid, der Klub, der mehr Meisterschaften gewonnen hat, als Leverkusen Lizenzspieler unter Vertrag hat. Der Weltverein, der eine Niederlage gegen den Werksklub als Besudelung der königlichen Würde auffassen würde.

Real Madrid hat in dieser Saison alles verspielt – den Pokal, die Meisterschaft. Das verbindet die Mannschaft mit dem heutigen Gegner Bayer Leverkusen, der das Scheitern auf hohem Niveau inzwischen zur Perfektion getrieben hat. Aber während die Dauerzweiten vom Rhein von trüben Gedanken geplagt werden, tut Real so, als hätte der Klub in seinem Tresor ein offizielles Schreiben der Uefa liegen: „Hiermit bestätigen wir Ihnen, dass Sie in Ihrem Jubiläumsjahr zum 100. Geburtstag des Vereins auf jeden Fall die Uefa-Champions-League gewinnen werden. Zu diesem Zwecke wird Ihnen für das Finale ein unbedeutender Gegner zugewiesen.“

Nach menschlichem Ermessen kann Bayer das Endspiel nicht gewinnen. Die Möglichkeit des Scheiterns ist für Real einfach nicht vorgesehen. Das ist Bayers einzige Chance. Real muss diesen Wettbewerb gewinnen. Für Bayer ist schon der Finaleinzug ein unschätzbarer Erfolg, auch wenn eine weitere Niederlage die Freude verständlicherweise grau einfärben und hämische Kommentare über die Dauerverlierer provozieren würde.

Für Real aber wäre eine Niederlage mehr als eine Katastrophe. Nur zur Erinnerung: Bayer mag einige gute bis sehr gute Fußballer beschäftigen; bei Real spielen die besten und teuersten der Welt: Zidane und Figo, Raul und Morientes, Roberto Carlos und Solari. Kann sich jemand vorstellen, Zidane und Figo müssten vor Zivkovic und Sebescen aufs Podest treten, um sich die Silbermedaillen um den Hals legen zu lassen? Nein.

Real Madrid ist der Klub, der dem Stolz einen n gegeben hat. Gestern in Glasgow auf dem Flughafen wurde der Tross zum Unmut der Spanier von schottischen Sicherheitskräften durch den Hintereingang aus dem Flughafen geführt. „So etwas sind wir nicht gewohnt“, protestierte Sportdirektor Jorge Valdano. „Bei uns in Spanien verlässt die Mannschaft die Flughäfen immer durch den öffentlichen Terminal.“ Sollte Real heute verlieren, wären die Spieler wahrscheinlich froh, wenn sie durch den Hintereingang verschwinden dürften.

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