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Christian Wolters Buch "Arbeiterfußball in Berlin und Brandenburg: 1910-1933" ist im arete-Verlag erschienen.

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Willmanns Kolumne: Arbeiterfußball in Berlin

Frank Willmann hat einen Buchtipp für alle Nostalgiker. "Arbeiterfußball in Berlin und Brandenburg: 1910 - 1933" heißt das Werk von Christian Wolter, das unser Kolumnist heute wärmstens empfiehlt.

Christian Wolter`s Lebensglück befindet sich in muffigen Archiven und in den Händen feinnerviger Bibliothekarinnen und Historiker. Er hat es sich zur schönen Aufgabe gemacht, uns mit entzückenden Geschehnissen aus der Kinderstube des Berliner Fußballs zu versorgen. Nachdem Wolter bereits mit Rasen der Leidenschaften ein formidables Werk zur Geschichte der Berliner Fußballplätze auftischte, folgte nun mit Arbeiterfußball in Berlin und Brandenburg: 1910-1933 der zweite Streich des fleißigen Bienchens.

Letztes Wochenende nutzten Herr Wolter und ich die ersten Sonnenstrahlen. Wir beschenkten uns mit einem Ausflug in die Berliner Victoriastadt. Diese liegt im Südwesten von Lichtenberg und ist ein nettes Ensemble von Gründerzeithäusern, benannt nach der einstigen englischen Königin. Das Gebiet der ursprünglichen Colonie Victoriastadt kam 1889 zur Gemeinde Boxhagen-Rummelsburg. Das könnte einer der Gründe sein, warum die Freizeitmannschaft von Traktor Boxhagen so heißt, wie sie heißt. Denn in der Victoriastadt befindet sich ein alter Fußballplatz, der zu Zeiten des Arbeitersports eine der wichtigsten Stätten des Arbeiterfußballs war. Dort kickte früher Sparta Lichtenberg, heute wird der etwas in die Jahre gekommene Kunstrasenplatz gern von den Traktorkickern bespielt, die sich am Sonntag ein heißes Aufstiegsduell mit Sportfreunden aus dem Prenzlauer Berg lieferten (3:1). Herr Wolter und ich promenierten ein wenig ums Stadion, während fünf sonnenbebrillte Zuschauer Traktor nach vorn peitschten. 1924 wurde der Platz an der Hauffstrasse vom SV Sparta 1911 Lichtenberg und anderen Arbeitersportvereinen angelegt. SV bedeutete Sportliche Vereinigung. Die Bahnstrecke führte damals wie heute im Rücken der Spieler nach Mitte oder JWD.

Sparta war in den Zwanzigern einer der erfolgreichsten Arbeiterklubs. Neben dem als bürgerlich verschrienen DFB gab es den ATSB (Arbeiter Turn und Sportbund), der eigene Meisterschaften und sogar eigene Länderspiele durchführte. 1910 wurde der Arbeiterfußball begründet und schon 1911 hieß der erste Meister Freie Turnerschaft Charlottenburg. Im Berliner Osten wurde Sparta später fünfmal hintereinander Meister. Die Arbeiterfußballer kickten auf solider Schlacke, hoben zum Gruß ihre schwieligen Arbeiterfäuste und orientierten sich bei der Namensfindung ihrer Vereine, ähnlich wie DFB-Klubs, an bestimmten historischen Orten, Göttern und angesagtem nationalen Gedöns.

Die SPD war in den 1920er der Hauptfeind der Kommunisten

Christian Wolters Lieblingsplatz ist das Stadion Lichtenberg. Heute ein Landschaftspark mit friedlich grasenden Langhaarrindern, bot das 1920 eröffnete Stadion im Jahr 1923 die Kulisse für ein Spiel der Lichtenberger Arbeitersportler gegen eine sowjetische Fußballauswahl. Beim ersten deutsch-sowjetischen Sportkontakt wurden die Berliner von elf wohlgenährten sowjetrussischen „Berufsamateuren“ mörderisch verbimmst. Mit 0:6 schlich der deutsche Arbeiter nach Hause, über 10.000 Zuschauer waren zugegen und träumten von einem Sowjetdeutschland nach russischem Vorbild. Die Sowjets kamen nach einer Propagandatournee in Skandinavien kurz in Berlin vorbei.

Die SPD, der eigentliche Bestimmer im deutschen Arbeiterfußball, verlor in diversen Gegenden Deutschlands in den Zwanzigern den Machtkampf im ATSB gegen die moskautreuen Kommunisten. Die deutschen Kommunisten hatten aus Moskau Anweisung bekommen, im ATSB flächendeckend kommunistische Zellen zu errichten. Die SPD war der Hauptfeind, der bürgerliche DFB wurde in Ruhe gelassen. Bis 1928 tanzten die Kommunisten der SPD auf der Nase herum, dann entschloss sich die ATSB-Führung aus ideologischen Gründen, die kommunistisch geprägten Vereine auszuschließen. Drei Viertel der Berliner Arbeitersportvereine gründeten nun die Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit. Auch im Ruhrgebiet, im Mansfelder Land und in Sachsen spaltete sich der Arbeitersport.  Ab 1930 existierte neben dem DFB und dem ATSB nun auch die Kampfgemeinschaft mit jeweils eigenen Ligen, Pokalen und Nationalmannschaften. 1931 und 1932 ermittelte die Kommies ihren eigenen Reichsmeister. Seltsame Bezeichnung, hätte es nicht korrekt Deutscher Sowjetmeister heißen müssen? Wahrscheinlich hinkten die Fußballer gesellschaftlich etwas hinterher und waren konservativer als der kommunistische Rest (wie heute). Trotzdem gefällt mir die Konkurrenz von drei Verbänden gut. Sparta Lichtenberg schloss sich übrigens sofort der Kampfgemeinschaft an und wurde 1931 Vizemeister.

Fußball in den 1920er war in Lichtenberg eine Arbeitersache.
Fußball in den 1920er war in Lichtenberg eine Arbeitersache.

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In den unteren Ligen kamen zwischen fünfzig und eintausendfünfhundert Zuschauer zu den Spielen, in höheren Ligen und bei Meisterschaftsspielen wurden solide vierstellige Zahlen erreicht. Pankow, Lichtenberg und Neukölln hießen die Hochburgen der Kampfgemeinschaft, der berühmte kommunistische Sportler Werner Seelenbinder spielte bei Sparta Lichtenberg Fußball als Ergänzungssport. 1933, nach der faschistischen Gleichschaltung, wurde Sparta wie alle Arbeiterklubs (egal, ob Kommunisten oder ATSB) verboten und als SC Empor Lichtenberg mit Eid auf die NSDAP und den Führer neu gegründet. Allerdings saßen zu diesem Zeitpunkt die meisten linken Arbeiterführer entweder im Exil in Moskau, in Nazigefängnissen oder waren ermordet. Nach 1945 wurde der Verein als Lichtenberg-Süd neu gegründet. Ab 1949 begannen die DDR-üblichen munteren Umbenennungsorgien. Aus SG Lichtenberg-Süd wurde ZSG Sparta-Siemens Lichtenberg und ab November 1950 hieß der Verein plötzlich SG Sparta Lichtenberg, später BSG Sparta Berlin sowie BSG Sparta Lichtenberg. Nach der Wende wurde der Verein in SV Sparta Lichtenberg umbenannt.

Folgende Arbeitervereine spielten einst in der Victoriastadt: Lichtenberger SC Brandenburg 02, Lichtenberger FV Hertha 22, FC Oststern Lichtenberg, SC Sparta 1911 Lichtenberg, SV Stralau 1910, FC Britannia Lichtenberg 21. Mehr dazu im wunderbarem Buch: Arbeiterfußball in Berlin und Brandenburg: 1910-1933, Christian Wolter, 232 Seiten, arete Verlag 2015, ISBN:978-3942468497, 19,95 Euro

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