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Diesmal alles ruhig. Ein Aufsichtsratmitglied von Lok Leipzig (links) und ein Vertreter des Berliner AK am Sonntag auf der Tribüne des Poststadions.

© Willmann

Willmanns Kolumne: Im Clash der Leipziger Fußballkultur

Unser Kolumnist Frank Willmann hat sich nach Leipzig begeben, wo er Sarah Köhler getroffen hat. Die Betreuerin des Leipziger Fanprojektes kümmert sich um die teils verfeindeten Anhänger der Vereine Lok, Chemie und RB und fördert den Dialog, mit Erfolg. Ein Modell als Vorbild?

Bis auf wenige Wirrköpfe weiß jeder Fußballmensch die segensreiche Wirkung der kommunalen Fanprojekte für den deutschen Fußball zu schätzen. In Leipzig absolviert Fanprojektleiterin Sarah Köhler einen besonders spannenden Job. Sie hat es mit einer Vielzahl untereinander zerstrittener Clubs, mit teils zickigen Fans zu tun. Friedliche Koexistenz ist nicht angesagt. Die Problembärendichte in Leipzig ist hoch. Alle hassen alle, das ist amtlich. Inoffiziell sitzt man aber längst an einem Tisch. Das Fanprojekt arbeitet mit Fans von Lokomotive Leipzig, BSG Chemie Leipzig, RB Leipzig und projektbezogen mit den Fans von Roter Stern Leipzig. Die SG Sachsen Leipzig wird aktuell nicht betreut. Vermutlich ist das bei zirka dreihundert wackeren Restfans um die 50 nicht nötig.

Das Fanprojekt ist stark weiblich aufgestellt. Sarah kümmert sich um Lok, eine weitere Kollegin hat RB unter ihren Fittichen. Der friedenstiftende Einfluss von Frauen ist bekannt. Na gut, nicht im Fußball. DFB, DFL, Fifa und Uefa sind knapp unter einhundert Prozent männlich aufgestellt. Vielleicht erklärt das den Stillstand in den Betonköpfen der Funktionäre.

Seit zwei Jahren ist Sarah Köhler Chefin. Sie bringt die Erfahrung von zwanzig Jahren Fan-Arbeit mit. Sarah ist ihr ganzes Leben schon beim Fußball. Ihre Jugendliebe ist der BVB. Pöbeleien im Stadion begegnet sie mit Routine. Sie weiß, was sie tut.

Jeder Verein hat seine Bezugsperson

Ihrem Leipziger Vorgänger und dessen Projekt warf man zu wenig Abgrenzung gegenüber rechten Gruppen vor. In den zwei Jahren hat Sarah Köhler mit ihren MitarbeiterInnen eine funktionierende Infrastruktur geschaffen. Es gibt für alle Fans Räume, sie werden zu den Spielen ihrer Clubs begleitet. Neben Bildungsarbeit kümmert sich jedes deutsche Fanprojekt um klassische Sozialarbeit. Besonders jüngere Fans werden in der „Ausübung ihres Fan-Seins“  unterstützt. Jeder Verein hat seine Bezugsperson, die als Streetworker und in offener Jugendarbeit arbeitet. Leipzigs Bürgermeister lobt die Einrichtung „Es ist ihnen gelungen, viele Fußballfans zu erreichen, zahlreiche Bildungsprojekte durchzuführen und mit den Vereinen und insbesondere der Polizei eine gute Zusammenarbeit zu entwickeln." 

An den Spieltagen stehen die Mitarbeiter des Fanprojektes sowohl den Fans als auch der Polizei und den Ordnungsdiensten als Ansprechpersonen zur Verfügung, Ziel ist, zwischen den Beteiligten zu vermitteln und deeskalierend zu wirken. Das Fanprojekt berät die Clubs über fanrelevante Zusammenhänge und sitzt in den Stadionverbotskommissionen. Das ist ein besonders wichtiger Punkt, wenn zum Beispiel ein 18-Jähriger wegen eines geringfügigen Delikts zwei Jahre Stadionverbot bekommt. Was kann man dann tun, um diesen jungen Menschen wieder in die Gemeinschaft zu integrieren? Das Fanprojekt arbeitet eng mit der Polizei im Rahmen von Aus-, Fort- und Weiterbildungen zusammen. "Die Zusammenarbeit von Fußballfanprojekt und Polizei ist wirklich sehr gut", sagt Leipzigs Polizeipräsident. "Wir alle wollen, dass die Fans sich friedlich verhalten. Die Sozialarbeit spielt für die Gewaltprävention eine wichtige Rolle." 

Das Setting in Leipzig ist dufte, durch alle Parteien.

Sarah Köhler.
Sarah Köhler.

© Willmann

Hauptanlaufstelle ist die Brandvorwerkstrasse 37. Hier finden die Fans Ansprechpartner, eine wachsende Fußballbuchbibliothek, Platz zum chillen. Die Ladenräume sind ebenerdig, hell, freundlich. Natürlich sind die einzelnen Fanarbeiter auch bei den jeweiligen Clubs unterwegs, alle Szenen haben zudem eigene Räume. Die Zusammenarbeit mit dem „Fanverein“ Chemie Leipzig läuft super, bei RB Leipzig kümmert sich das Fanprojekt um die ständig wachsende Anzahl ultra-orientierter Fans. Der „Verein“ RB lässt die Arbeit zu, sieht aber in den Reihen der eigenen Fans keine Problemfelder. Noch.

Mit Naziklamotten kommt man nicht mehr ins Lok-Stadion

Bei Lok Leipzig war das Fanprojekt zuletzt beratend bei der Entwicklung von Stadionverbotsrichtlinien und einer Stadionordnung behilflich. Ein Fanbeirat wurde gegründet, der den Vorstand unterstützt. Seit August hat wegen diverser Vorfälle die rechtslastige Fangruppierung „Szenario“ ein Auftritts- und Erscheinungsverbot bei Lok. Mit Naziklamotten kommt man nicht mehr ins Lok-Stadion. Sarah ist bei allen Spielen Loks vor Ort. Auf die Frage, ob das nicht mitunter gefährlich sei, lacht sie mich aus. Seit der Rückrunde ist die alte Fankurve im Plachestadion wieder belebt. Vor ein paar Jahren wurden die dort ansässigen Ultras von rechten Schlägern aus dem Stadion geboxt. Sarah sagt, die Zusammenarbeit mit Lok läuft sehr gut, der Verein hat sich gewandelt. Ein neues Präsidium kämpft mit vielen Fans um das Image des einstigen DDR-Spitzenklubs.

Zum Auswärtsspiel beim Berliner AK gibt es angenehme Begleitmusik. Das war beim Hinspiel in Leipzig nicht so. Da war von Angriffen gegen Mensch und Auto die Rede. Letztlich wurde Lok in einem Sportgerichtsverfahren wegen des Zündens eines Böllers aus den Reihen der eigenen Fans zu 1000 Euro Strafe verurteilt. Am Sonntag übernahm der BAK davon 500 Euro. Die gesamte Summe spendeten beide Clubs an United FC aus Leipzig. UFC ist ein integratives Fußballprojekt im Netzwerk blau-gelb. In Leipzig-Grünau. Grünau steht für Plattenbau. Sozialer Brennpunkt. Und es steht für ein Asylbewerberheim. UFC holt die Kinder aus dem Heim auf den Fußballplatz. Auch die aus schwierigen deutschen Familien. Wo kein Kind eigene Fußballschuhe besitzt. Fußball als Portal zur Welt.  

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