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Breaking Barriers Veranstaltung Volontäre Tagesspiegel, German Dream

© Tagesspiegel/Nassim Rad

Stipendien für mehr Diversität in den Medien: „Journalistin war als Berufswunsch völlig absurd“

Der Tagesspiegel und die Bildungsinitiative GermanDream kooperieren, um mehr junge Menschen mit Migrationsgeschichte oder ohne akademischen Abschluss für den Beruf zu begeistern.

Stand:

Die eigentliche Prominenz ist jung und zu Dritt, sie sind ein bisschen aufgeregt, aber voller Tatendrang. Und sie sagen alle Drei sinngemäß: Wir wollen unsere Erfahrungen und Kompetenzen in den Journalismus einbringen und ihn repräsentativer machen.

Hyvin Barim, 22 Jahre, geboren in Aleppo, Syrien, Dawud Yildirim, 23 Jahre, und Selin Amil, 21 Jahre, beide in Deutschland geboren, stehen am Dienstagabend selbstbewusst in den mit rund 100 Gästen gefüllten Räumlichkeiten des Tagesspiegels. Sie feiern nicht nur eine neue Kooperation, sondern wollen mit anderen, älteren Medien-Multiplikatoren unter dem Motto „Breaking Barriers“ über die Frage diskutieren, wie mehr Diversität im Journalismus gelingen kann.

Ich bin gerührt, dass wir dieses Projekt an den Start bekommen haben.

Lorenz Maroldt, Chefredakteur des Tagesspiegels

Eingeladen haben der Tagesspiegel und die Bildungsinitiative GermanDream, die gemeinsam ein Stipendium ins Leben gerufen haben, um Menschen mit Migrationsgeschichte oder aus bildungsferneren Familien Wege in den Journalismus zu öffnen. Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt sagt gleich zu Beginn des Abends: „Ich bin ehrlich darüber gerührt, dass wir dieses Projekt so schnell an den Start bringen konnten und euch Drei jetzt hier begrüßen dürfen.“

Der Chefredakteur führt aus: „Wir wollen ja nicht nur über die Gesellschaft breit berichten, sondern sie auch bestmöglich abbilden. Menschen mit unterschiedlichen sozialen Biografien bringen neue Perspektiven in die Redaktionen, davon profitiert auch der Journalismus.“

Düzen Tekkal, Gründerin von GermanDream, und Lorenz Maroldt, Tagesspiegel-Chefredakteur führen ins Programm ein.

© Tagesspiegel/Nassim Rad

Die Journalistin, Autorin und Gründerin von GermanDream und der Menschenrechtsorganisation Háwar, Düzen Tekkal, sieht das ähnlich und sagt, dass es darum gehe, junge Talente zu fördern, die nicht den klassischen Lebenslauf haben und die mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert seien. Hürden sollen abgebaut und Chancen eröffnet werden. „Es gibt viel zu wenig Möglichkeitsräume für Gemeinsamkeit in der Gesellschaft.“

Wie viele Talente würden verschwinden, ohne diese Räume. Deshalb brauchen wir solche Kooperationen.

Düzen Tekkal, Journalistin und Gründerin GermanDream

Sie fragt dann in die Runde, vor ihr sitzen die drei Stipendiaten: „Wie viel Talente würden wohl verschwinden, ohne diese Räume? Deshalb brauchen wir solche Kooperationen.“

Tekkal sagt, auch mit Blick auf das weitere Erstarken der AfD nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen: „Nur ein vielfältiger Journalismus kann die Gesellschaft in all ihren Facetten abbilden und unsere Demokratie stärken.“

Diskussion auf dem Panel - Moderator Frank Joung, Alma Laiadhi, Iris Sayram, Shila Behjat und Azadê Peşmen (v.l.n.r.)

© Tagesspiegel/Nassim Rad

Zu diesem Zeitpunkt haben die drei Stipendiaten schon zwei Tage in der Tagesspiegel-Redaktion hinter sich. Sie haben die Redaktionskonferenz nach den Landtagswahlen erlebt, sie haben ihre Arbeitslaptops bekommen und sind in das Redaktionssystem eingewiesen worden. Und am Dienstag, noch vor der Veranstaltung, haben sie im Workshop gelernt, warum das Genre „Nachricht“ so existenziell für den Journalismus ist, und warum, wie das Bundesverfassungsgericht einst urteilte, „in der repräsentativen Demokratie die Presse zugleich als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung steht“.

Hyvin Barim, die 2015 mit ihrer Familie aus Syrien nach Deutschland flüchtete, sagt nach diesen Eindrücken: „Ich fühle mich geehrt, dass ich das Stipendium bekommen habe.“ Sie wolle die Möglichkeit nutzen, über ihre eigenen Erfahrungen mit Krieg und Flucht zu berichten. „Diese Erfahrungen will ich in den Journalismus einbringen.“

Ich fühle mich geehrt, dass ich das Stipendium bekommen habe.

Hyvin Barim, Stipendiatin

Aber das ist gar nicht so einfach. Und über die Schwierigkeiten können die weiteren Podiumsteilnehmerinnen viel berichten. Moderator und Podcaster Frank Joung führt alle ein: Alma Laiadhi, Büroleiterin des Regierungssprechers Steffen Hebestreit und Mitbegründerin des Netzwerks für Vielfalt im Bundespresseamt, Azadê Peşmen, Journalistin und Podcast-Host, Iris Sayram, Korrespondentin im ARD-Hauptstadtstudio sowie die Publizistin und Journalistin Shila Behjat.

Azadê Peşmen erinnert sich daran, wie anfangs in ihrem Volontariat zwei Personen „sehr langsam“ mit ihr redeten, weil sie dachten, sie könne nicht so gut Deutsch. Iris Sayram, die Jura studierte, erinnert sich daran, „wie völlig absurd“ ihr ein Berufswunsch wie Journalistin vorkam oder auch ein Jura-Studium. Niemand, einschließlich sie selbst, habe ihr das zugetraut, „never ever“, und doch habe sie es geschafft.

Dawud Yildirim, einer der Stipendiaten mit kurdischen, aramäischen und armenischen Wurzeln, sagt angesichts dieser Diskussionsrunde, deren Teil er ist: „Ich fühle mich total gestärkt, Teil dieses Projektes zu sein.“ Er findet, dass benachteiligte Gruppen in den Medien nach wie vor nicht ausreichend repräsentiert seien. Es fehlten deshalb die Perspektiven dieser Gruppen. „Deswegen ist das Misstrauen in der Gesellschaft gegenüber solchen Minderheiten groß. Ich will helfen, dieses Misstrauen abzubauen.“

Rapper Nomé (li.) und Sängerin TAM

© Tagesspiegel/Nassim Rad

Da hilft es allen im Saal, dass im Rahmenprogramm Sängerin TAM und Rapper Nomé einen brandneuen Song („Trip“) performen, der unter anderen die Zeile trägt: „My time to shine.“

Selin Amil, die aus dem Schwarzwald stammt und nun in Gelsenkirchen studiert, strahlt, auch wenn sie sich noch von der Stadt und dem Medienhaus „leicht überfordert“ fühlt. Gleichzeitig sei sie stolz darauf, dass sie durch das Stipendium schon so weit gekommen sei, in ihrem Wunsch, Journalistin zu werden. Sie sagt: „Ich will meine Expertise und meine Persönlichkeit einbringen und versuchen, auch schwere Themen mit einer gewissen Leichtigkeit zu erzählen, ohne unseriös zu sein.“

Die Praktika beim Tagesspiegel werden durch ein GermanDream-Mentoring-Programm begleitet. Auf Grundlage ihrer bisherigen Erfahrungen, Interessen und der Biografie werden den Stipendiaten erfahrene Wertebotschafter von GermanDream zur Seite gestellt, die als Mentorinnen und Mentoren Orientierung bieten und Wissen und Kontakte vermitteln. Das nächste Stipendienprogramm wird 2025 starten.

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