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Finnen trinken den Kaffee am liebsten. Und dazu: eine Zimtschnecke.

© Foto stockfood

Die Liebe der Finnen zum Filterkaffee: Kaffepaussi!

Sie trinken ihn nachts, während der Arbeit, eigentlich immer. Er ist Seelentröster und Kitt für die ganze Gesellschaft. Auf ein paar Becher Kaffee mit Experten in Helsinki.

Liebesgeschichten, geschäftliche Besprechungen, intime Gespräche – mit Kaffee fängt in Finnland alles an, mit Kaffee hört alles auf, und zwischendurch trinkt man auch noch reichlich: Die „Kaffepaussi“ ist ein verbrieftes Recht, zweimal eine Viertelstunde pro Arbeitstag. Die halbstündige Mittagspause dagegen geht aufs private Zeitkonto. Viele schwören auf Kaffee als Schlummertrunk, „Decaf“ ist hier kaum zu finden.

Auf diesem Gebiet sind die Finnen Weltmeister. Zwölf Kilo verbrauchen sie pro Kopf im Jahr, danach kommt lange nichts, Österreich steht mit neun Kilo auf Platz zwei. (Die Deutschen trinken 7,3.) Die anderen skandinavischen Länder rangieren in der Statistik zwar auch ziemlich weit oben, aber doch so viele Kilo dahinter, dass Kälte und Dunkelheit allein den finnischen Durst nicht erklären können.

„Kaffee prägt die Kultur des Zusammenkommens“, sagt die junge Schriftstellerin Riikka Pulkkinen beim Gespräch in Helsinkis berühmtem Café Fazer. Das kennen auch jene, die noch nie hier gewesen sind, die in lila Papier gewickelten Schoko-Bonbons des Hauses werden überall zum Kaffee serviert.

Wenn man jemanden besucht, was man vor allem auf dem Land häufig tut, kriegt man als Erstes einen Kaffee und ein süßes Teilchen dazu. Wer stattdessen Tee verlangt, wird zumindest in der Provinz schief angeguckt. (In Helsinki scheint das ein bisschen anders zu sein, da öffnen jetzt auch moderne Teesalons.)

Kaffeetrinken, erklärt Riikka Pulkkinen, ist wie Händeschütteln, ein beruhigendes Umarmen, ohne dass man sich berühren muss. Das, was in England der „cup of tea“ ist (oder zumindest mal war): ein Trost in schwerer Stunde, Erste Hilfe gegen Liebeskummer, Geldsorgen, familiäre Probleme, Ärger im Job. Wenn etwas Schreckliches passiert ist, erzählt Pulkkinen, kommen die Menschen zusammen, trinken, essen, schweigen. Wie in den Kaurismäki-Filmen. Man würdigt die Ernsthaftigkeit der Situation, so die Autorin, aber muss nicht reden darüber. Der Mund ist ja voll. Manchmal hat sie das Gefühl, dass er gestopft werden soll. Damit man nicht über Gefühle spricht.

Die Rede ist hier übrigens von Filterkaffee. Selbst wenn es inzwischen natürlich auch in Finnland Latte & Co im Pappbecher to go gibt – sie heißen noch immer „specialty coffees“. Der Normalfall ist nach wie vor Filterkaffee, die Bohnen hell geröstet. Erst seit ein paar Monaten gibt es einen Starbucks in der finnischen Hauptstadt, die insgesamt angenehm frei ist von der Übermacht globaler Ketten.

Paulig ist überall

Finnen trinken den Kaffee am liebsten. Und dazu: eine Zimtschnecke.
Finnen trinken den Kaffee am liebsten. Und dazu: eine Zimtschnecke.

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Helsinki hat eine reiche eigene Kaffeehauskultur. Da ist das Café Ekberg zum Beispiel, in dem man seit 1852 die allerköstlichsten Zimtschnecken und Zuckerbrötchen aus der eigenen Bäckerei bekommt, serviert von Kellnerinnen mit Schlips, in altmodischem Ambiente. Mittags gibt es ein günstiges Buffet, zu dem sich vor allem Einheimische treffen, dazu Kaffee, so viel man möchte. Das kennt man aus den USA, keine angenehme Erinnerung. Dort stehen die Kannen stundenlang auf der Platte, der Inhalt wird immer schwärzer und ungenießbarer. In Finnland legt man Wert auf einen frischen Trunk. Eine Tankstellenkette wirbt damit, dass ihr Gebräu nie älter als eine Viertelstunde ist, häusliche Kaffeemaschinen stellen sich nach einer halben Stunde automatisch aus.

Im Café Fazer wird die eigene Hausmarke serviert und natürlich Paulig. Paulig ist überall, selbst auf der Helsinki Design Week, bei McDonald’s gibt’s für zwei Euro „Paulig Latte“, im Supermarkt leuchten einem die Packungen der Rösterei grün und rot entgegen. Gustav Paulig war ein abenteuerlustiger Einwanderer aus Lübeck. Erst arbeitete er bei Nokia, dann eröffnete er einen Laden für Kolonialwaren, für den er Kaffeebohnen importierte, die die Finnen damals noch selber zu Hause rösteten. Bis er 1904 seine eigene Rösterei eröffnete.

Die Firma in Familienbesitz beherrscht mehr als die Hälfte des finnischen Markts. 4,69 Euro kostet das Pfund Presidentti im Supermarkt, 3,95 der Juhla Mokka. No name-Produkte gibt es schon für 2,19. Die Preise in den Geschäften sind knapp kalkuliert, sagt Resto Kalsta, Marketing-Manager bei Paulig, da vergleichen die Finnen ganz genau. „Die Läden verdienen nicht viel damit, aber es ist das Produkt, mit dem man die Kunden anlockt.“

Inzwischen hat Paulig Zuwachs bekommen. „Robert’s Coffee“ heißt die Coffeeshop-Kette, auf die man in Helsinki immer wieder stößt, und die auf den ersten Blick sehr amerikanisch wirkt. Aber Robert ist Robert Paulig; der hätte die große Kaffeerösterei gern an die Börse gebracht, dagegen hat sich der Rest der Familie gesträubt. Also ließ er sich auszahlen und gründete seine Coffeeshop-Kette. Vor acht Monaten hat die Firma Paulig „Robert’s Coffee“ gekauft. Man muss mit der Zeit gehen.

"Die ultimative Sicherheit"

Finnen trinken den Kaffee am liebsten. Und dazu: eine Zimtschnecke.
Finnen trinken den Kaffee am liebsten. Und dazu: eine Zimtschnecke.

© Foto stockfood

Auch in Riikka Pulkkinens erstem, preisgekrönten Roman „Die Ruhelose“, der gerade auf Deutsch erschienen ist (bei List), blubbern die Kaffeemaschinen, dient der Kaffee mit Zimtschnecke als Seelentröster, Türöffner. Mit der Schülerin, die er begehrt, trifft der Lehrer sich auf einen Kaffee. Das ist unverfänglich, aber wirkungsvoll. Kurz danach landen sie im Bett.

Pulkkinen, schwarzes Haar, Sommersprossen, Retro-Kleidchen, geht gern mit ihrer kleinen Tochter ins Fazer, das auch in einem ihrer Romane vorkommt. Zwischen den Tischen ist genügend Platz für den Kinderwagen.

Die kleine Marta ist mit Koffein auf die Welt gekommen: Als bei Pulkkinen die Fruchtblase platze, und sie im Krankenhaus anrief, um zu fragen, was sie tun solle, riet man ihr, sich erstmal einen Kaffee zu kochen. Dafür sei immer noch Zeit. Für die 34-Jährige, die das Kaffeetrinken bei den Großeltern gelernt hat, verkörpert der Trank „die ultimate Sicherheit“ – selbst in den schwierigsten Situationen. „Wenn man aufwacht in der Nacht und das Gefühl hat, ganz allein zu sein im Universum, und dann geht irgendwann die Sonne auf und du kannst dir einen Kaffee kochen – da hast du das Gefühl: okay, die Welt geht weiter.“ Allein der Duft beruhigt sie.

Sie schreibt auch am liebsten im Café. Die Stille in der Bibliothek empfindet sie als bedrückend, dort hat sie eine Schreibkrise gepackt. „Im Café habe ich das Gefühl, Teil des Lebens zu sein.“

„Es ist eine wunderbare Art, den Morgen zu beginnen“, sagt auch Joe Lindquist, der sich mit seinen Kollegen von der Stadt, die Straßen und Parks Helsinkis in Schuss halten, jeden Tag im Pausenraum auf dem zentralen Gelände trifft. „It cheers you up.“ Wer als Erster kommt, wirft die Maschine an, an der Wand hängen ihre Becher mit Namen, und wehe, den rührt ein Fremder an. Oder kommt gar auf die Idee, ihn zu spülen. Manche schwören, wie Teetrinker, auf den Belag: Er intensiviere den Geschmack.

Lindquists Großmutter hat bei Paulig gearbeitet, er selbst hat als Dreijähriger angefangen, Kaffee zu trinken. Anfangs mit Milch und Zucker, mit zehn war er reif für den Schwarzen. Heute verschärft er sich am Ende langer Wanderungen das Gebräu mit Wodka.

Die Kaffepaussi ist eine Pause, in der man nicht zu viel über die Arbeit sprechen sollte, da ist Lindquist sich mit den Kollegen einig. Aber das verändert sich, der Druck wächst, und damit das Tempo, im Büro ziehen die meisten mit ihrem Becher an den Schreibtisch zurück. „Wenn Sie Goldman Sachs fragen“, unkt Lindquist, „werden sie Ihnen sagen, dass die Kaffepaussi bald Geschichte ist.“

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