Kritik an "Wendehälsen"
Die Bereitschaft der DDR-Bürger, für Reformen und freie Wahlen auf die Straße zu gehen, hat auch nach dem Fall der Mauer nicht nachgelassen. Immer häufiger fordern die Demonstranten nicht mehr nur die Abschaffung des in der Verfassung verankerten Führungsanspruchs der SED. Viele fordern jetzt auch die Bestrafung der an der Krise Schuldigen. Im Fokus steht vor allem Staatschef Egon Krenz, der in der Bevölkerung kein Vertrauen genießt. Die angekündigte "Wende" sei kaum glaubhaft, solange sie von diesem Staatsratsvorsitzenden proklamiert werde. Auch das Verhältnis der Regierung zu Krenz steht unter genauer Beobachtung.
Bei den Demonstrationen, an denen zum Beispiel in Frankfurt/Oder 10.000 und in Dresden sogar 100.000 Menschen teilnehmen, wird auch scharfe Kritik an so genannten "Wendehälsen" geübt - Politikern, die vor kurzem noch stramm auf Parteilinie lagen, nun aber schon seit langem Reformen gefordert haben wollen.
In Ost-Berlin gehen Tausende auf die Straße und demonstrieren für freie Wahlen, eine neue Verfassung und demokratische Reformen. Auf Transparenten stehen Losungen wie: "Die Mauer hat Löcher, aber die Bretter vor dem Kopf bleiben" und "Wo kämen denn die Reformen her, wenn das Volk nicht auf den Straßen wär". Die Vereinigte Linke fordert die "Aufdeckung aller Stasi-Spitzel". Die Umbenennung des MfS in ein Amt für Nationale Sicherheit bedeute noch keine neuen Inhalte.
Demokratischer Aufbruch wird Partei
Wie ihr Vorsitzender Wolfgang Schnur mitteilt, plant die Bürgervereinigung Demokratischer Aufbruch für den 16. und 17. Dezember einen Gründungskongress als politische Partei in Leipzig. Die Bürgerrechtler wünschen die Abhaltung freier und geheimer Wahlen in der DDR im September 1990.
Acht Millionen Besucher in zehn Tagen
Der Besucherstrom aus der DDR reißt nicht ab. Zehn Tage sind seit dem Fall der Mauer vergangen und bereits mehr als acht Millionen Ostdeutsche waren auf Stippvisite in der Bundesrepublik oder in West-Berlin. Das ist fast die Hälfte der Bevölkerung der DDR. Zwischenzeitlich wurden 70 Übergänge an der innerdeutschen Grenze geöffnet. West-Berlin ist über 22 Übergänge erreichbar. Die Erwartungen für die einstige Frontstadt des Kalten Krieges sind am Wochenende noch übertroffen worden. Fast zwei Millionen der knapp drei Millionen Grenzgänger der letzten beiden Tage haben den Weg nach West-Berlin gesucht. Die Innenstadt ist voller Menschen. Der Ladenschluss wurde aufgehoben. Im Unterschied zur Vorwoche haben diesmal viele Besucher den öffentlichen Nahverkehr genutzt.
NVA wird entpolitisiert
In Zukunft sollen Verantwortung und Kompetenzen der SED-Parteiorganisationen klar von den staatlichen Führungsgremien getrennt sein. Das Verteidigungsministerium beschließt, die Sekretariate der Partei in der Verwaltung der Nationalen Volksarmee aufzulösen.
Großdemo in Prag
Trotz massiven Polizeiaufgebots haben sich in der tschechoslowakischen Hauptstadt Prag wieder Zehntausende auf die Straße gewagt. Sie protestieren vor allem gegen den brutalen Polizeieinsatz vom Freitag (17.11.), bei dem gerüchteweise eine oder vier Personen ums Leben gekommen sein sollen. Zwar wird der Tod von Demonstranten von den staatlichen Medien dementiert. Deren Glaubwürdigkeit hat allerdings einen Tiefststand erreicht. Öffentlich wird für die Toten gebetet.
Die Demonstranten fordern das Ende der Einparteienherrschaft in der CSSR und den Rücktritt von KP-Chef Miloš Jakeš. Öffentlich wird zu einem Generalstreik am 27. November aufgerufen. Künstler und Belegschaft der Prager Theater befinden sich schon in einem einwöchigen Streik. Ihre Bühnen werden für offene Diskussionen geöffnet.
Nach den Vorfällen vom Freitag herrscht unter den Demonstranten hohe Angespanntheit. In den Seitenstraßen sind die Sicherheitskräfte konzentriert.
Währenddessen schließen sich mehrere unabhängige Bürgerrechtsgruppen zusammen. In der tschechischen Landeshälfte bilden sie die Sammlungsbewegung Bürgerforum. In der Slowakei wird als Äquivalent die Bewegung "Öffentlichkeit gegen Gewalt" ins Leben gerufen. Beide Gruppen bieten der Regierung Gespräche über Reformen an. Zuvor müssen aber erst alle Politiker zurücktreten, die an der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 beteiligt waren.
Das trifft unter anderem auf KP-Chef Jakeš zu. Alexander Dubček dagegen, KP-Chef in der Zeit des Prager Frühlings, wird zum Nestor der so genannten Samtenen Revolution, die in den nächsten Tagen durch das Land rollt.
- 28. November 1989: Kohls Zehn-Punkte-Plan
- 24. November 1989: KP-Führung in Prag tritt zurück
- 20. November 1989: Samtene Revolution in der CSSR.
- 19. November 1989: Demokratischer Aufbruch wird Partei.
- 18.November 1989: Bundesrepublik bekennt sich zur Westbindung.
- 17. November 1989: DDR-Künstler wollen Mauer bemalen.
- 16. November 1989: Bundestag will sich nicht einmischen.
- 15. November 1989: Gorbatschow warnt vor Wiedervereinigung.
- 14. November 1989: Grenzöffnung offenbart auch Probleme.
- 13. November 1989: Modrow ist neuer Regierungschef.
- 12. November 1989: Schießbefehl an der Mauer aufgehoben.
- 11. November 1989: Grenzer besetzen die Mauer am Brandenburger Tor.
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