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Rouzbeh Taheri ist vom Zulauf seiner Initiative überrascht.

© Kai-Uwe Heinrich

Volksinitiative in Berlin: Der Mann, der die Deutsche Wohnen enteignen will

Rouzbeh Taheri geht drastisch gegen einen Immobilienriesen vor. Was anderswo ignoriert würde, fällt in Berlin auf fruchtbaren Boden. Der Senat ist unter Druck.

Ein Altbau der vorletzten Jahrhundertwende, schmaler Flur, Fliesen mit Blumendekor neben einer Briefkasten-Zeile. Auf den Holzdielen des Treppenhauses liegt ein schmaler roter Teppich. Ein einfaches, gepflegtes Haus der Genossenschaft Wohnungsbau Verein Neukölln. Lucy Redler öffnet die Tür im zweiten Stock, das Baby Julia auf dem Arm. Ja, Rouzbeh Taheri sei auch da. Der Mann, der Berlins Wohnungswirtschaft in Angst und Schrecken versetzt. Das Baby lächelt – „Ja, schööön enteignen – das findet Mama auch gut“, sagt Lucy Redler, die auch im Parteivorstand der Linken ist.

Das Jahr hat noch nicht richtig angefangen, da tobt in der Stadt schon eine Debatte, die in gewisser Weise typisch ist für Berlin. Aus einem halben Dutzend Initiativen gegen steigende Mieten hat sich eine Gruppe Aktivisten gebildet, die durch eine Volksinitiative den größten städtischen Wohnungseigentümer – die Aktiengesellschaft Deutsche Wohnen – enteignen will und dazu jede Firma mit mehr als 3.000 Wohnungen.

Und was anderswo als radikale Forderung linker Sektierer links liegen gelassen bliebe, fällt in Berlin politisch auf fruchtbaren Boden – noch bevor überhaupt der erste Verfahrensschritt auf dem Weg zu einem Volksentscheid, die Sammlung von 20.000 Unterschriften, getan ist.

Von „Notwehr“ der Mieter spricht Antje Kapek, die Fraktionschefin der mitregierenden Grünen. In der Partei werden mit Rechtsexperten die Chancen der Initiative diskutiert und ein Parteitag wird wohl schon im März dazu Beschlüsse fassen. Das hat die Linke, ebenfalls Regierungspartei, bereits im Dezember getan: Sie unterstützt den Volksentscheid. Der Regierende Bürgermeister, von den Koalitionspartnern in die Zange genommen, kündigt an, Wohnungen zurückkaufen zu wollen, die seine Partei vor einem Jahrzehnt zu Zehntausenden verkauft hat.

Heute Wohnungskonzerne, morgen wir?

Im bürgerlichen Lager fragen manche: Heute sollen Wohnungskonzerne enteignet werden – und morgen vielleicht wir? Quasi nur ein bisschen enteignen, bloß Immobilienunternehmen, und von denen lediglich die besonders großen – kann man das machen? Gefährdet das nicht die soziale Marktwirtschaft als Ganzes?

Eine „Verschiebung der politischen Koordinaten in Berlin“ sieht der Generalsekretär der CDU Stefan Evers in der Initiative und will am morgigen Donnerstag im Abgeordnetenhaus die Parteien dazu aufrufen, sich „klar gegen Enteignungen“ auszusprechen, sie auf „Verfassungstreue“ und das „Grundrecht auf Eigentum einschwören“.

Aber wer ist dieser Mann, der die Verhältnisse ins Wanken bringt? Sich auf die Macht der Straße beruft. 45 Jahre alt, groß, kurzes lichtes dunkles Haar – Rouzbeh Taheri Blick geht aus dem Küchenfenster auf zwei Seitenflügel der Mietskaserne. Gab es ein Schlüsselerlebnis für sein mietenpolitisches Engagement?

Ja, sagt er, eine Modernisierungsankündigung für seine Mietwohnung im Jahr 2011: „Die haben versprochen, dass ich Heizkosten sparen würde.“ Doch es habe sich gezeigt, dass die Umlage für die Modernisierungsarbeiten höher gewesen wäre als die komplette Wärmerechnung vor der Modernisierung. Taheri wehrte sich. Und wendete einen Teil der Forderungen ab. Andere nicht. „Das hat mich sehr geärgert.“ Und weil er das Mietrecht im Bund und die Mietenpolitik in Berlin sowieso schlecht fand, schloss er sich letztlich der Mieterbewegung an.

Er kam als unbegleiteter Flüchtling

Als 14-Jähriger kam Taheri aus dem Iran nach West-Berlin, ohne Begleitung. Das war 1988, der Iran war im Krieg mit dem Irak. Mit 15 drohte dort die Musterung – doch für einen Staat kämpfen, der seiner Familie übel zusetzte, wollte er nicht. Sein Vater, Unternehmer mit freiheitlicher Gesinnung, habe wiederholt neu anfangen müssen und Jahre in Haft verbracht. Während des Schah-Regimes, später auch unter den Mullahs. Zuletzt baute er eine Chemiefabrik auf, die einer seiner fünf Söhne nach seinem Tod weiter führte. Zwei weitere gingen wie Taheri nach Deutschland. Einer ist Arzt, der andere Ingenieur.

Taheri wird zum Schulsprecher gewählt, später ist er bei der WASG aktiv, dann in der Linken. Nach seinem Volkswirtschafts-Studium an der Humboldt-Universität gründet er ein Internet-Versandhaus, das über Portale wie Amazon CDs und Technik-Produkte vertreibt. „Im Iran wäre ich heute möglicherweise nicht mehr am Leben“, sagt er. In Deutschland sei er in der glücklichen Lage, zu leben „ohne große Repressalien befürchten“ zu müssen. Kleine vielleicht: Als Volkswirt mit linken Überzeugungen sei es in den frühen 2000er Jahren, als Neuer Markt und Hartz-IV-Gesetze den Zeitgeist prägten, ausgeschlossen gewesen, einen Job zu bekommen.

Das hat sich geändert. Taheri übergibt seine Internetfirma gerade an einen Mitarbeiter. Aus Politik und Verwaltung werden ihm Jobs angeboten. Er hat sich einen Namen gemacht als Aktivist und Querdenker. Aus der Linken trat er aus, als die in der Koalition mit der SPD die Privatisierung kommunalen Eigentums vorantrieb.

Und als die Folgen der Privatisierungen bei den Menschen durch Mieterhöhungen und Modernisierungswellen ankamen, stand er da: glaubwürdig, weil ungebeugt, überzeugt, dass die „soziale Infrastruktur für alle Menschen da sein sollte“: Strom, Wasser, Bildung, Gesundheit – und eben Wohnen.

Wenn der Staat zugreift, ist Entschädigung fällig

2015, bei der Organisation des „Mietenvolksentscheids“ über ein neues Wohnraumversorgungsgesetz stellte Taheri sein Verhandlungsgeschick unter Beweis. Zum Entscheid kam es letztlich nicht – der Senat übernahm die Forderungen der Initiative vorab.

„Radikalen Realismus“, nennt Taheri das, was er tut. Weder Eitelkeit noch Ideologie stehen ihm im Wege.

Die Enteignung einer Aktiengesellschaft ist der wohl kühnste Angriff auf die bundesrepublikanische Marktwirtschaft: Klingt nach Staatswirtschaft, Sozialismus, Dirigismus. Tabubruch.

„Die haben keine Chance, diesen Prozess möchte ich führen“, sagt Karlheinz Knauthe, einer der Topanwälte der Berliner Immobilienwirtschaft. „Enteignung ist die Ultima Ratio, wenn vorher alle Wege beschritten wurden.“ Seien sie aber nicht. Vorher könnten die Mietgesetze verschärft werden, der Staat gegen Auswüchse am Markt verwaltungs- oder strafrechtlich vorgehen. Deshalb, sagt Knauthe, habe es eine „Vergesellschaftung“ nach Artikel 15 des Grundgesetzes, wie die Initiative fordert, „seit Gründung der Bundesrepublik noch nie gegeben. Und es wird sie auch nie geben.“

Knauthe warnt auch vor den Folgen eines solchen Eingriffs. Wenn der Staat zugreife, dann sei eine Entschädigung fällig. Die Wohnungen müsste das Land Berlin zum Marktwert kaufen. Völlig überteuert, sagt Knauthe. Das würde die kommunalen Wohnungsunternehmen zu Sanierungsfällen machen.

Nie zuvor war eine rot-rot-grüne Regierung so unter Druck

Steuert Taheri also mit einer kleinen Truppe unbelehrbarer Sozialisten in die Sackgasse? Der späte Vater, er hat bereits einen erwachsenen Sohn aus erster Ehe, zündet sich eine Zigarette an. „Wir haben das von einem Verfassungsrechtler und von einem Verwaltungsrechtler prüfen lassen.“ Der dreiseitige Aufsatz „Zur Höhe der Entschädigung bei der Vergesellschaftung“ zitiert ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Hamburgischen Deichordnungsgesetz. Demnach ist eine „starre, allein am Marktwert orientierte“ Enteignungsentschädigung dem Grundgesetz fremd. Taheri liest daraus, Berlin könne im Fall einer „Vergesellschaftung“ von Firmen mit mehr als 3000 Wohnungen deren Eigentümer „deutlich unter dem Verkehrswert entschädigen“.

Noch nie berief sich ein Bundesland auf Artikel 15 des Grundgesetzes um Eigentum, das ja ebenfalls verfassungsrechtlich geschützt ist, zu „vergesellschaften“. Andererseits war auch noch nie eine rot-rot-grüne – und sich zudem besonders weit links verortende – Regierung so stark unter Druck wie in Berlin.

Taheri kann sich auf mehr als ein Dutzend Initiativen stützen, protestierende Mieter aus Häusern, die privatisiert und teuer modernisiert werden. „Kotti & Co“ etwa sowie "NKZ", gebildet von Mietern der knapp 300 Wohnungen im „Neuen Kreuzberger Zentrum“, die durch Proteste die Rekommunalisierung der Wohnblöcke erreichten. Sie treffen sich in Hinterzimmern von Cafés, in der „gecekondu“ am Kottbusser Tor oder in privatisierten Häusern. Gemeinsam haben sie das Netzwerk „Zusammen gegen Mietenwahnsinn“ gestrickt, das im September eine Großdemonstration und den „Alternativen Wohngipfel“ veranstaltete. Dazu kommen außerparlamentarische Politik- und Verwaltungsexperten mit ausgeprägtem Sachverstand.

Spektakuläre Erfolge

Da ist zum Beispiel der im Clinch mit den „Realos“ ausgetretene Ex-Grüne Jan Kuhnert, der am Gesetz für die Mieteninitiative mitgeschrieben hatte und seinen früheren Parteifreunden im Bundestag das Programm für eine „Neue Wohnungsgemeinnützigkeit“ aufschrieb. Kuhnert berät und saniert Wohnungsunternehmen. Nun ist er Vorstandsmitglied der „Wohnraumversorgung Berlin“, ein Kontroll- und Mieter-Mitsprache-Gremium für die landeseigenen Wohnungsunternehmen. Das hatte der Senat auf Druck der Mietenvolksinitiative installiert.

Da sind außerdem Mitstreiter der Volksinitiativen-Dachorganisation „Mehr Demokratie“, die niedrigere Schwellen für Volksbegehren fordert und damit gleichsam die Demokratie weiterentwickeln will. In Berlin konnten Volksbegehren spektakuläre Erfolge feiern und sogar den Regierenden Bürgermeister in die Schranken verweisen, dessen Baupläne am Tempelhofer Feld verhindern.

Wobei Taheri dem „Wassertisch“ – dem Kampagnenzentrum beim Rückkauf privatisierter Anteile der Berliner Wasserbetriebe – noch größere Wirkung beimisst. „Jeder braucht Wasser“, sagt er, „jeder muss dafür bezahlen.“ Vorausgegangen war wiederum ein erfolgreicher Volksentscheid. Seitdem sanken die Wasserpreise. Und siehe da, die „Rekommunalisierung“ steht nun sogar auf der Agenda konservativerer Sozialdemokraten wie Finanzsenator Matthias Kollatz.

„Wir haben da etwas neu entdeckt“, sagt Taheri zum nun geplanten Coup. Dass der Artikel 15 des Grundgesetzes zur Vergesellschaftung noch nie angewandt wurde, bedeute ja nicht, dass er nicht angewandt werden dürfe.

Draußen scheint die Sonne am wolkenlosen Himmel. Der Hof ist still, er liegt im Berlin-grauen Schatten umliegender Brandmauern. Taheri redet schnell, pointiert, schnörkellos, aber ohne Emphase. Durchdacht wirkt das. Doch worin unterscheidet sich diese Bewegung von der radikalen Linken in den 1970er Jahren?

Das Gesetz soll die Politik selber entwerfen

„Wir sind nicht extrem in dieser Form.“ Aber die Ziele und Auswirkungen seien radikaler und extremer als früher – „weil sie die Bevölkerung erreichen“. Die Initiative begreife sich nicht als Avantgarde, es gehe um die konkreten Bedürfnisse der Menschen.

Fast täglich klingelt das Telefon bei der „Deutsche Wohnen enteignen“-Initiative. Anrufer wollen helfen bei der Sammlung von Unterschriften. „Wir ziehen jetzt den Start der Unterschriftensammlung vor.“ Am 6. April soll die Aktion mit einer Berlin-weiten Demonstration starten.

Wie Wellen schwappten Mieterhöhungen und Sanierungsankündigungen über die Quartiere, sagt Taheri. „Einige werden weggeschwemmt, andere können sich festhalten und werden von der nächsten Flut weggerissen.“ Diese Erfahrung machten immer mehr Menschen. Und wenn nicht selbst, dann deren Freunde, Kinder oder Enkel. „Das macht die Stärke unserer Bewegung aus.“

Die Langzeitrecherche „Wem gehört Berlin“ ist eine Kooperation des Tagesspiegels mit dem gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv. Auf unserer Plattform wem-gehoert-berlin.de können Sie uns mitteilen, wer Eigentümer Ihrer Wohnung ist, und welche Erfahrungen Sie mit Ihrem Vermieter gesammelt haben. Mithilfe der Daten suchen wir nach unverantwortlichen Geschäftspraktiken und machen den Immobilienmarkt transparenter. Eingesandte Geschichten werden nur mit Ihrer Einwilligung veröffentlicht.

Hat aber eine Truppe von Aktivisten, und sei sie noch so gut vernetzt, wirklich realistische Chancen, einen Präzedenzfall zu schaffen?

Auch das Problem, die komplexe Rechtsmaterie zu Lasten des Rechts auf Eigentum anzuwenden, haben sie durchdacht – und entschieden sich für einen Trick: Sie wollen es nicht selbst mit ihren begrenzten Mitteln richten, die ganze Rechtsexpertise des Landes Berlin soll es tun. Anders als beim Votum um Tempelhof sind die Berliner beim Volksentscheid „Deutsche Wohnen enteignen“ nicht aufgerufen, über ein fertiges Gesetz zu entscheiden. Mit ihrem Kreuz erzwingen die Menschen, dass der Senat einen „Beschluss“ herbeiführt, ein entsprechendes Gesetz zu erarbeiten und zu beschließen.

Immobilien werden absichtlich heruntergewirtschaftet

Wörtlich heißt es: „Daher wird der Senat von Berlin zur Erarbeitung eines Gesetzes zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung nach Artikel 15 Grundgesetz aufgefordert.“ Taheri sagt, „wir wollten unser Ziel nicht dadurch gefährden, dass die Rechtmäßigkeit eines Gesetzentwurfes jahrelang vor dem Berliner Verfassungsgericht verhandelt wird.“ Nun also müssen er und seine Mitstreiter nur Stimmung machen.

Dazu eignet sich der ausgewählte Gegner ausgezeichnet: Die Deutsche Wohnen geht nicht pfleglich mit ihrer Mieterschaft um. Sie hat wiederholt die Gültigkeit des Mietspiegels für einige ihrer Bestände angezweifelt. Dabei gilt der als Instrument des Ausgleichs zwischen Vermietern und Mietern und Mittel zur Befriedung des Wohnungsmarktes. Die Firma zog vor Gericht gegen Mieter, die sich dagegen zur Wehr gesetzt hatten. Dazu beschweren sich viele Mieter, dass die Firma die Instandhaltung ihrer Häuser vernachlässige. Linke Volkswirte sehen darin eine Strategie: Erst werden die Immobilien heruntergewirtschaftet, denn das rechtfertige später deren grundlegende Modernisierung. Die Kosten der Modernisierungen können, anders als Aufwendungen für Instandhaltung, durch Mieterhöhungen auf die Nutzer umgelegt werden.

Die Deutsche Wohnen hat 100.000 Wohnungen in Berlin, jeder Mieter ist eine potenzielle Stimme für die Initiative. Dazu kommen viele andere in der Mieterstadt Berlin. Deshalb könnte die Rechnung der Aktivisten aufgehen.

Der Senat müsste tätig werden. Deshalb die Nervosität, die Anspannung beim Senat und der Wohnungswirtschaft. Deshalb auch die heftige Diskussion. Die Sorge, hier kommt etwas ins Rutschen, sie ist sehr real.

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