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Das Projekt Campus Natur

© privat

Biodiversitätsmanagerin im Interview : Feldarbeit vor der Haustür

Die Freie Universität erklärte 2024 zu ihrem Jahr der Biodiversität. Was gelang, wo es hakt und wie geht es weiter?

Von Marion Kuka

Stand:

Frau Rongstock, was hat das Jahr der Biodiversität an der Freien Universität bewirkt?
An der Universität arbeiten viele Abteilungen und Menschen nun effektiver zusammen, um die Natur auf dem Campus besser zu schützen und zu fördern. Das verdanken wir der gemeinsamen Arbeit an der Biodiversitätsstrategie und den zahlreichen Treffen, etwa beim Tag der Biodiversität im Mai im Botanischen Garten.

Ehrenamtliche, Forschende, die Verwaltung und die Hochschulleitung verfolgen nun gemeinsame Ziele und Pläne. Besonders erfreulich ist, dass wir viele Studierende und Beschäftigte zum Mitmachen motivieren konnten – so haben sich beispielsweise 70 Personen an einem Think Camp beteiligt.

Wir haben eine Strategie und Leitlinien beschlossen. Weitere Konzepte, etwa zum Umgang mit invasiven Pflanzenarten, werden bald fertig sein. Parallel haben wir mit der Umsetzung begonnen. Nur ein Beispiel: Das Gebäude- und Grundstücksmanagement hat die Ausschreibung zur Pflege der Grünflächen angepasst.

Darin wird jetzt – im Sinne der Biodiversität – vorgegeben, welche Maschinen, Pflegezyklen und -techniken die Firmen einsetzen sollen. Einige gängige Geräte, wie etwa der Mulchmäher, sind eine Gefahr für Insekten und kleine Wirbeltiere, die in Wiesen leben.

Auch in der Lehre spielt die Biodiversität auf dem Campus nun eine größere Rolle. Am Institut für Biologie entwickeln wir Ideen, wie wir Studierende besser in das Monitoring von Arten auf dem

Campus einbinden können: Sie lernen, wie man systematisch Daten über Tier- und Pflanzenarten erfasst und auswertet. Diese Feldarbeit vor der Haustür können sie sich dann für ihr Studium anrechnen lassen. In einigen Modulen wird das bereits erprobt, und im Sommersemester gab es zum ersten Mal ein Modul, dass sich hauptsächlich mit der Natur auf dem Campus beschäftigt hat.

Welche besonderen Momente haben Sie im Jahr der Biodiversität erlebt?
Ein Highlight war für mich, im vergangenen November mit vielen Helfenden einen rund 100 Quadratmeter großen Mini-Wald zu pflanzen. Dieser kleine Wald fungiert nicht nur als natürlicher Luftfilter und als Klimaanlage, sondern auch als Wasserspeicher, Hotspot der Artenvielfalt und als inspirierender Begegnungs- und Lernort. Inspiriert hat mich auch, was Studierende in meinem Seminar zur Campus-Natur geleistet haben, ebenso die Arbeit mit Kindern von Beschäftigten in der Gruppe „Feuerwanzen“.

Außerdem freut es mich, dass Studierende, Beschäftigte und Ehemalige aus allen Bereichen der Universität bei unseren Projekten mitmachen. Unser wichtigster Handwerker ist ein ehemaliger Mensa-Koch, und ein über 90-jähriger Tierarzt bringt sich regelmäßig ein.

Ein besonders schönes Gefühl ist es, wenn unsere Arbeit auch außerhalb der Universität Anerkennung findet. Die Gold-Plakette der Kampagne „Tausende Gärten – Tausende Arten“ für unseren Gemeinschaftsgarten „Blätterlaube“ und der mit 3000 Euro dotierte Zukunftspreis der PSD-Bank für den Blühenden Campus waren echte Höhepunkte. Kürzlich wurde unsere Arbeit zudem vom International Sustainable Campus Network, einem globalen Netzwerk für Nachhaltigkeit an Universitäten, ausgezeichnet.

Wie geht es nun weiter – nach dem offiziellen Jahr der Biodiversität?
Für mich und viele andere ist jedes Jahr ein Biodiversitätsjahr. Es geht also mit vielen Projekten weiter. Das Living Lab Multispecies Campus wird unter anderem Zielarten ermitteln, die stellvertretend für Ansprüche von Pflanzen und Tiere an ihre Umwelt stehen und dann auf unserem Campus gefördert werden sollen.

Das Team erforscht außerdem derzeit, ob Naturerfahrung das Wohlbefinden von Studierenden steigert, und wird im Sommer einen Aktionstag mit Kunstausstellung zum Thema Biodiversität veranstalten. Auf einer Tagung werden wir uns im Februar mit unseren Partneruniversitäten des Una-Europa-Netzwerks über ökologisches Monitoring auf dem Campus austauschen.

Inzwischen werden wir auch häufiger von der Politik eingeladen, um an Diskussionen darüber teilzunehmen, wie der Schutz der Stadtnatur vorangetrieben werden kann. Ich finde es besonders interessant zu sehen, wie sich das Thema auf Bezirks- und Landesebene weiterentwickelt.

Auf welche Hindernisse oder Konflikte stoßen Sie?
Uns fehlen vor allem Zeit und Wissen. Es gibt so viel zu tun! Da hilft es natürlich, wenn Projekte sich auf viele Schultern verteilen. Doch dazu ist auch Fachwissen nötig – oder zumindest das Wissen, wo man sich erkundigen kann, wenn etwa neue Pflanzen ausgebracht oder Habitate für Insekten geschaffen werden sollen. Konflikte können zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Naturschutz entstehen. Wir wollen Biodiversität für alle erlebbar machen, aber Natur braucht auch geschützte Flächen, um sich ungestört zu entwickeln. Also müssen wir gute Kompromisse finden.

Den Gedanken, dass Biodiversität nett, aber nicht notwendig sei und nichts kosten dürfe, müssen wir aus den Köpfen bekommen.

Rebecca Rongstock, Biologin, Freie Universität Berlin

Ansonsten ist die Akzeptanz für unsere Maßnahmen erstaunlich hoch. Anstelle von Beschwerden über wilde Wiesen bekommen wir besorgte Anrufe, wenn eine Fläche gemäht werden musste – was ein- bis zweimal im Jahr notwendig ist, um die Artenvielfalt zu fördern.

Die Beschäftigten des Weiterbildungszentrums haben sogar toleriert, dass es in ihrem Foyer gelegentlich etwas streng roch, weil ein Turmfalkenpärchen im Fahrstuhlschacht genistet hat. Für die nächste Brutzeit werden wir den Vögeln in Zusammenarbeit mit der Technischen Abteilung eine alternative Nistmöglichkeit schaffen.

Wie wirken sich die Haushaltskürzungen auf Ihre Pläne aus?
Im Moment noch gar nicht. Die Aktivitäten sind bisher vor allem durch freiwilliges Engagement geprägt. Zwar hat die Stabsstelle für Nachhaltigkeit und Energie uns stets finanziell unterstützt, und dank der neuen Strategie und Leitlinien sind die Rahmenbedingungen dafür nun besser als je zuvor. Allerdings kommen mit mehr Struktur, Qualität und Professionalisierung auch neue Kosten auf uns zu. Hier kann ein Blick auf externe Förderprogramme helfen. Den Gedanken, dass Biodiversität nett, aber nicht notwendig sei und nichts kosten dürfe, müssen wir aus den Köpfen bekommen.

Was tun Menschen, die sich für Biodiversität engagieren, im Februar?
Wer im Naturschutz tätig ist, verbringt diese Zeit möglicherweise in Vernetzungs-, Diskussions- oder Planungstreffen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler analysieren wahrscheinlich gerade ihre Feldforschungsdaten oder schreiben an Publikationen. Und diejenigen, die sich zusätzlich oder ausschließlich privat für Natur begeistern, beobachten vielleicht Wintervögel, beschäftigen sich mit Flechten oder lesen Fährten im Schnee. Aber viele von uns warten natürlich sehnlichst auf die ersten Frühblüher!

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