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Grundwasser erforschen und bewahren: „Der unsichtbare Schatz unter unseren Füßen“
Berlin hat ein Geheimnis. Die Hauptstadt trinkt nicht aus dem Müggelsee, nicht aus der Havel, sondern aus einem unsichtbaren Vorrat unter der Erde.
Stand:
„In Berlin funktioniert die Trinkwasserversorgung zu nahezu hundert Prozent über das Grundwasser“, sagt Nadine Göppert, „bundesweit liegt der Anteil immerhin bei rund 70 Prozent.“
Nadine Göppert ist seit 2024 Professorin für Hydrogeologie an der Freien Universität Berlin. Zuvor forschte sie am Karlsruher Institut für Technologie sowie am Weizmann Institute of Science in Israel. Ihr Blick richtet sich auf etwas, das im Alltag verborgen bleibt: Woher kommt eigentlich unser Trinkwasser? Wohin bewegt es sich, und was geschieht, wenn Schadstoffe in das System gelangen?
Spurensuche
Antworten finden Forschende der Hydrogeologie mit Methoden, die ungewöhnlich klingen, etwa mit Markierungsversuchen, dem sogenannten Tracing. Dabei wird Farbstoff ins Grundwasser gegeben. Göpperts Favorit ist Natriumfluorescein, der Stoff sei „für den Menschen und ökotoxikologisch unbedenklich“ und leuchte in hoher Konzentration neongrün.
Am Saint Patrick’s Day hat er schon ganze Flüsse gefärbt, auch bei Umweltprotesten kam er zum Einsatz. Im Grundwasser selbst bleibt er jedoch unsichtbar: Nur an der Eingabestelle, etwa an einer Versinkungsstelle, zeigt sich das Grün, danach verraten allein Labormessungen seine Spur. So lassen sich die Fließgeschwindigkeit des Wassers bestimmen, Verzweigungen im Untergrund erkennen und Stofftransport sichtbar machen. „Man muss sich das wie eine Wolke vorstellen, die durch das Grundwasser geht.“
Was spielerisch klingt, hat sehr konkrete Anwendungen. Tracing macht es möglich, Lecks in Abwasserkanälen zu erkennen und zu verfolgen, wie Bakterien oder Partikel unterschiedlicher Größe durch den Untergrund wandern. „Abrieb von Autoreifen, winzige Plastikteilchen, fäkale Keime oder Tonpartikel, all das kann natürlich in unserem Grundwasser landen“, warnt Göppert.

© Nadine Göppert
Um solche Belastungen rechtzeitig zu erkennen, setzen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch auf modernes Monitoring. Sensoren an Quellen erfassen in Echtzeit Temperatur, Leitfähigkeit oder mikrobielle Belastung, ohne dass dafür tiefe Bohrungen nötig sind. Die Testgebiete reichen von Brandenburg, wo Wasserknappheit ein Problem ist, bis in die Alpen, wo das Wasser in Hochgeschwindigkeit fließt. „Gelangen dort Schadstoffe ins System, können sie das Grundwasser sehr schnell kontaminieren“, erläutert Nadine Göppert.
Eine Frage der Balance
Doch die Qualität des Wassers ist nur ein wichtiger Aspekt. Mindestens ebenso relevant ist die Frage, wie viel Wasser sich im Untergrund überhaupt neu bildet. Ein Verbundprojekt der Freien Universität Berlin und Humboldt-Universität zu Berlin, Start-ups aus Berlin und München sowie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, an dem auch Nadine Göppert beteiligt ist, setzt auf Gravimeter. Diese Geräte registrieren winzige Schwankungen im Schwerefeld der Erde und liefern so Hinweise darauf, wie viel Wasser sich im Untergrund neu bildet.
Warum ist das entscheidend? Laut globalem Wassernutzungsindex sollte die Nutzung von Grundwasser höchstens 20 Prozent der neu entstehenden Wassermenge beanspruchen. Deutschland liege im Schnitt bei etwa zehn Prozent und verzeichne einen „Abwärtstrend“, der Verbrauch sinke also sogar, sagt Göppert.
Abrieb von Autoreifen, winzige Plastikteilchen, fäkale Keime oder Tonpartikel, all das kann natürlich in unserem Grundwasser landen.
Nadine Göppert, Professorin für Hydrogeologie an der Freien Universität Berlin
Ein großes „Aber“ liege jedoch in den regionalen Unterschieden. Denn die Neubildung von Grundwasser hängt direkt von der klimatischen Wasserbilanz ab, es zählt, wie viel Niederschlag fällt und wie viel durch Verdunstung wieder verloren geht. Nur das restliche Wasser sickert durch den Boden und das Gestein, bis es das Grundwasser erreicht.
Göppert warnt, dass hierbei insbesondere der Osten Deutschlands vor größeren Herausforderungen stehe, da hier mit etwas niedrigeren Niederschlägen und einer erhöhten Verdunstung zu rechnen sei. Sinkende Grundwasserspiegel könnten hier die Folge sein.
Vorsorge für die Zukunft
Berlin hat beim Trinkwasser einen Standortvorteil. „Wir haben eine sehr gute Wasserqualität“, sagt Nadine Göppert. Die Wasserwerke liegen meist außerhalb der Stadt, wo das Rohwasser sauberer ist. Dadurch bleibt die Aufbereitung vergleichsweise einfach, anders als in vielen Regionen, die schon heute aufwendig filtern müssen. „Doch die Folgen des Klimawandels werden sich auch hier bemerkbar machen. Man geht davon aus, dass die Jahresmenge in etwa gleich bleibt, sich aber die Verteilung verändert“, sagt die Hydrogeologin.
Trockenere Sommer stehen dann häufigerem Starkregen gegenüber, und nur selten trägt dieser dazu bei, dass sich neues Grundwasser bildet. Ist der Boden im Winter gefroren, fließt das Wasser nur oberflächlich ab. Im Sommer wiederum regnet es oft so schnell und heftig, dass das Wasser kaum versickern kann. Das belaste Infrastruktur und Verkehrswege und könne, erklärt Göppert, die Grundwasserqualität verschlechtern, weil „bei solchen Ereignissen sehr viele Mikroorganismen mobilisiert werden“.
Dennoch sei Deutschland beim Trinkwasserschutz gut aufgestellt, sagt Nadine Göppert. Ein sogenanntes Multi-Barrieren-System sorgt dafür, dass mehrere Schutzkonzepte ineinandergreifen. Am Anfang steht das Wassereinzugsgebiet selbst, denn dort setzen die Schutzmaßnahmen an, um zu verhindern, dass Schadstoffe überhaupt ins Grundwasser gelangen können.
Darauf folgen technische Barrieren wie die Aufbereitung in den Wasserwerken und eine engmaschige Kontrolle. „Wenn wir es schaffen, unsere Einzugsgebiete zu schützen, haben wir weiterhin Grundwasser in einwandfreier Qualität“, sagt Göppert.
Das „beste“ Lebensmittel
Die Trinkwasserversorgung der Zukunft werde keine einfache Standardlösung kennen, sondern auf einem Mix beruhen, erläutert die Wissenschaftlerin. Hierfür bedürfe es einer frühzeitigen und langfristigen Planung. Dabei treffen Konzepte der Stadtplanung wie die Schwammstadt, die Regenwasser speichert und versickern lässt, auf technische Maßnahmen, von der potenziellen Wiederinbetriebnahme alter Wasserwerke bis hin zum Bau von Fernleitungen, die zusätzliche Reserven erschließen. Hinzu kommen klare politische Rahmenbedingungen und die wissenschaftliche Forschung, damit all diese Ebenen ineinandergreifen können.
Im Ergebnis ist Trinkwasser in Deutschland das am strengsten überwachte Lebensmittel und zugleich eines der günstigsten. Ein Kubikmeter, also 1000 Liter, kostet im Durchschnitt kaum mehr als zwei Euro. Wer den Preis mit Mineralwasserflaschen vergleicht, erkennt schnell den Wert unseres Leitungswassers. Doch gerade, weil es jederzeit so selbstverständlich aus dem Wasserhahn läuft, wird seine Bedeutung oft unterschätzt. Sichere Trinkwasserversorgung ist kein Automatismus, sondern das Resultat vorausschauender Planung.
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