
© Andreas Hocke, Charité
Hightech aus Stammzellen statt Laborratte?: „Ziel ist es, Tierleid zu minimieren“
Lassen sich Tierversuche durch Hightech-Alternativen ersetzen? Fragen an den Mediziner Stefan Hippenstiel, der hier auf ein neues Forschungskonzept setzt.
Stand:
Tierversuche sind ein kontroverses Thema. Sie forschen am Einstein-Zentrum 3R an Alternativen. Was bedeutet 3R-Forschung konkret?
„3R“ steht für „Replace, Reduce, Refine“. Replace meint den Ersatz von Tierversuchen, Reduce deren Reduktion, Refine die Verringerung von Tierleid. Unser Fokus liegt auf „Replace“. Ziel ist es, Tierleid zu minimieren und gleichzeitig den wissenschaftlichen Fortschritt zu fördern. Alternative Methoden, etwa mit menschlichem Gewebe, können für die Erforschung menschlicher Krankheiten aussagekräftiger sein – abhängig von der Fragestellung.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Wir arbeiten vor allem mit Organoiden – winzigen Mini-Organen aus menschlichen Stammzellen. Diese bilden in 3D verschiedene Zelltypen ab und erlauben uns, Krankheitsverläufe oder Medikamentenwirkungen realistisch zu untersuchen.
Wie entstehen diese Organoide?
Stammzellen werden unter speziellen Bedingungen dazu gebracht, sich zu organähnlichen Strukturen zu entwickeln. Im Einstein-Zentrum wurden zum Beispiel Herzmuskelzellen gezüchtet, die schlagen und Kraft entwickeln – ideal zur Medikamententestung ohne Tierversuche. Auch neuromuskuläre Organoide, in denen Nervenzellen Muskelzellen aktivieren, zeigen das Potenzial dieser Technologie. Ziel ist, diese Modelle weiter zu standardisieren, zu automatisieren und für die Forschung nutzbar zu machen.
Welche Herausforderungen gibt es?
Die Technik ist vielversprechend, aber noch nicht perfekt. Vielen Organoiden fehlen noch wichtige Zelltypen wie Immun- oder Nervenzellen. Auch die Reifung aus pluripotenten Stammzellen ist komplex. Um zuverlässig einsetzbar zu sein, müssen die Modelle weiterentwickelt und standardisiert werden. Dennoch sind sie ein riesiger Fortschritt in Richtung tierversuchsfreie Forschung bei gleichzeitiger Innovation in der Forschung.
Welche Rolle spielt Berlin?
Berlin ist ein führender Biomedizinstandort mit vielen Tierversuchen – das bringt Verantwortung mit sich. Mit dem Einstein-Zentrum 3R wollten wir ein Zeichen setzen und Alternativen fördern. Der Berliner Senat hat dieses Potenzial erkannt, sowohl für den Tierschutz als auch für den wissenschaftlichen Fortschritt.
Welche wirtschaftlichen Chancen birgt 3R?
3R-Forschung bringt technologische Innovationen voran – etwa in Mikroskopie oder Datenanalyse. Ausgründungen der TU Berlin wie „Cellbricks“ und „TissUse“ zeigen das wirtschaftliche Potenzial. Pharmaindustrie und akademische Forschung haben unterschiedliche Anforderungen, beide profitieren. Wichtig sind Investitionen und die Ausbildung junger Forschender. Je mehr mit Humanmodellen gearbeitet wird, desto stärker entwickeln sich diese weiter.
Können Tierversuche in Zukunft ganz ersetzt werden?
Nein, nicht vollständig. In bestimmten Bereichen, etwa bei Verhaltensstudien, bleiben Tierversuche notwendig. Aber sie lassen sich durch neue Technologien deutlich reduzieren. Dass selbst große Anbieter von Tierversuchsmodellen in Alternativen investieren, ist ein starkes Signal.
Wo sehen Sie die Zukunft der 3R-Forschung?
Berlin bietet ideale Bedingungen für die Weiterentwicklung menschlicher Krankheitsmodelle. Die Integration von KI, die enge Vernetzung von Forschung und Industrie – all das fördert Innovation. Meine Vision: Das Einstein-Zentrum 3R wird selbst zu einem Modell für wissenschaftlichen Wandel. Entscheidend ist, junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen einzubinden, die offen für neue Wege sind. Dafür braucht es Mut, gewohnte Pfade zu verlassen.
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