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Es gibt viele Möglichkeiten für Auslandsaufenthalte während des Studiums.

© Montage Tagesspiegel/Foto: Freepik/storyset

Studieren im Ausland: Raus aus der Komfortzone

Mal woanders lernen? Oft hängt das von Fachrichtung oder Studienverlauf ab. Zwei Berliner Experten erklären, warum sich ein Austausch immer lohnt – und wie Hemmschwellen gesenkt werden könnten.

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Ein Semester in Lissabon, ein Praktikum in Stockholm oder gleich ein ganzes Jahr an einer Partner-Uni in Tokio: Die Möglichkeiten, im Studium Auslandserfahrung zu sammeln, waren nie vielfältiger – und doch wagen bei Weitem nicht alle den Schritt ins Unbekannte.

Aktuelle Zahlen des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD) zeigen, dass sich rund 19 Prozent der Studierenden in Deutschland für einen Auslandsaufenthalt entscheiden. Vor der Coronapandemie waren es noch rund 23 Prozent.

Spannend ist, dass es deutliche Unterschiede gibt: Studierende der Geisteswissenschaften gehen doppelt so häufig ins Ausland wie ihre Kommilitonen aus Mathematik und Naturwissenschaften. An Universitäten nutzen mehr Studierende Austauschprogramme als an Fachhochschulen. Und: Etwas mehr Frauen als Männer entscheiden sich für einen Auslandsaufenthalt.

Ähnliche Trends auch in Berlin

Claus Lange, Leiter des International Office der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, bestätigt die Trends auch für die HTW: „Im Bachelor-Studium gehen die Studierenden aus den Wirtschaftswissenschaften häufiger ins Ausland als die aus dem Ingenieurswesen.“ In technischen Studiengängen seien dafür Praktika im Ausland häufiger – „und wir erleben immer wieder, dass Leute ihre Masterarbeit im Ausland schreiben“.

Claus Lange, Leiter des International Office der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW)

© privat

Ähnliches berichtet auch Yoan Vilain, Präsidiumsbeauftragter für Internationales und Europa an der Humboldt-Universität Berlin. „Im Bereich der MINT-Fächer sehen wir, dass die Leute eher während des Master-Studiums oder im Rahmen der Promotion ins Ausland gehen.“

Und wohin zieht es Berliner Studierende? Erasmus in Barcelona? „Tatsächlich gehen viele nach wie vor gern nach Spanien“, sagt Claus Lange. Auch Frankreich sei weiterhin begehrt. Großbritannien, das nach dem Brexit nicht mehr Teil des Erasmus+-Programms ist, hat an Beliebtheit eingebüßt, auch wenn beispielsweise die HU den Austausch über Partner-Universitäten ermöglicht.

Claus Lange von der HTW berichtet, dass Hochschulen in Polen „unheimlich aufgeholt“ und mittlerweile ein breitgefächertes Lehrangebot in englischer Sprache hätten. Auch Brasilien und Mexiko seien beliebt. Und: „Studierende mit türkischen Wurzeln nutzen gern die Möglichkeit, ein Semester in der Türkei zu verbringen“, so Lange.

An welchem Ort auch immer, während des Studiums Erfahrung im Ausland zu sammeln, sei sinnvoll, sagt Lange. „Wer im Studium ins Ausland geht, verlässt die eigene Komfortzone. Die Studierenden müssen sich selbst organisieren, in einer fremden Stadt und einer fremden Sprache, sie müssen eine Unterkunft finden und sich auf andere kulturelle Gepflogenheiten einlassen.“

Und nicht nur das: Oft sieht auch der Hochschulalltag anders aus als in Deutschland. So sei es beispielsweise in Südeuropa üblich, dass die Vorlesungen eher spätnachmittags und abends stattfänden. Wer es schafft, jenseits des vertrauten Umfelds zurechtzukommen, profitiert sowohl akademisch als auch persönlich: „Die Studierenden entwickeln Biss, Organisationstalent und Anpassungsfähigkeit“, so Claus Lange – Qualitäten, die auch am Arbeitsmarkt gefragt sind.

Warum bricht dann trotzdem nur rund ein Fünftel der Studierenden ins Ausland auf? Die Gründe sind vielschichtig. Lange verweist auf das straffe Curriculum: Auch im Ausland müssten die fälligen Leistungen erbracht werden. Immer wieder würden es sich Studierende nicht zutrauen, Prüfungen und Klausuren in einer anderen Sprache zu schreiben. Für Lange ein Grund, auch in Deutschland mehr und mehr englischsprachige Vorlesungen anzubieten und so die Hemmschwelle zu senken.

Yoan Vilain ist Präsidiumsbeauftragter für Internationales und Europa an der Humboldt-Universität Berlin.

© Janina Kusterka

Was hindert noch daran, ins Ausland zu gehen? Yoan Vilain von der HU ordnet die Frage in einen größeren Zusammenhang ein: „Wir stellen fest, dass die größte Hürde bei der Auslandsmobilität der sozio-ökonomische Hintergrund ist.“ Gerade bei Studierenden, die als erste in ihrer Familie eine Universität besuchen, gebe es große Vorbehalte: Da sei die Angst, das Studium durch einen Auslandsaufenthalt in die Länge zu ziehen – oder auch die Sorge, im Ausland nicht nebenher arbeiten zu können, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.

„Es fehlen die Vorbilder“, sagt Vilain. Er weiß, wovon er spricht: Er ist selbst Erst-Akademiker. Trotzdem entschied sich der Franzose im Jahr 2001 dafür, ein Semester in Berlin zu verbringen. Mittlerweile gehört der promovierte Jurist zum Führungsstab der HU und ist in Berlin fest verwurzelt. „Angefangen“, so schmunzelt er, „hat alles mit Erasmus.“

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