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Traumexperte Christoph Eissing: „Wie ein Sturm im Gehirn“
Die einen können sich nicht erinnern, die anderen wachen schweißgebadet auf. Die Traumphase ist ein rätselhafter Zustand und ein Wettstreit widerstrebender Kräfte, sagt der Berliner Facharzt.
Stand:
Herr Eissing, können Träume wahr werden?
Das ist ja fast schon eine poetische Fragestellung. Ich bin aber Spezialist für Traumdeutung im psychoanalytischen Sinne. Ihre Frage berührt eher den Bereich der Vorsehung, wo man Träume gedeutet hat als göttliche Eingebung oder als Blick in die Zukunft. Auf diesem Gebiet sollten wir nicht landen.
Was passiert eigentlich, wenn man träumt?
Das ist ebenfalls eine sehr komplexe Frage, mit der sich die Neurobiologen, die Neuropsychologen und überhaupt die ganzen Neurowissenschaften ausgesprochen intensiv beschäftigen. Seit etwa den 50er-Jahren gibt es die sogenannten Schlaflabore. Damals hat man die berühmte REM-Phase entdeckt, eine Schlafphase, in der die meisten Träume auftreten. REM steht für Rapid Eye Movement. Was da wirklich passiert, glaube ich, das kann Ihnen wohl niemand mit Gewissheit sagen, aber sagen wir mal: Es ist ein Sturm im Gehirn.
Sie haben selbst schon mehrfach bei der „Langen Nacht der Wissenschaften“ über Traumdeutung gesprochen. Wie deutet man denn Träume?
Dass man überhaupt versucht, Träume zu deuten, hat eine lange Vorgeschichte. Wir haben gerade über den göttlichen Traum oder den Traum als Vorsehung gesprochen. Dabei ging es eigentlich nie um die Individualität des Träumenden, sein Inneres. Die Träume wurden ja als von außen kommend angesehen. Und jetzt kommt Sigmund Freud mit seinem Jahrhundertbuch „Die Traumdeutung“ ins Spiel. In dem Buch beschäftigt er sich zunächst mit der Geschichte und den Formen der Traumdeutung vor ihm, tituliert dann aber den großen Unterschied: dass er ganz auf das Individuelle schaut.
Weg von der göttlichen Vorsehung?
Ja genau. Also, keine Eingebung von außen, sondern ein innerseelischer Prozess, der zu deutend ist und den man deuten kann. Freud hatte eine Ausbildung als klassischer Nervenarzt. Er merkte aber, dass er mit seinem Rüstzeug nicht weiterkam. Er hat auch mit Hypnose experimentiert, doch das hat ihn ebenfalls nicht richtig weiter gebracht. Daraufhin hat er, das muss man so sagen, die psychoanalytische Methode erst erfunden. Also statt der Hypnose die freie Assoziation. Damit praktizieren wir auch heute noch.
Wie funktioniert das?
Die Patienten liegen auf der Couch, weil diese Lage Assoziation-fördernd ist. Der Analytiker sitzt dahinter und manipuliert nicht wie in der Hypnose, sondern er hört einfach zu. Mit seiner sogenannten gleichschwebenden Aufmerksamkeit hört er quasi in die Assoziationen der Patienten hinein. Der Ausdruck „gleichschwebende Aufmerksamkeit“ stammt von Freud. Bei dieser Art des Zuhörens hatte er dann gemerkt, dass die Patienten ihm auch Träume erzählen. Die geschilderte Situation auf der Couch hat durchaus eine Parallele zum Schlaf. Die Patienten schlafen zwar nicht, liegen aber und sind eigentlich mit nichts weiter beschäftigt als mit sich selbst. Das Kopfkino hat dort sozusagen einen geschützten Raum, das psychoanalytische Setting. Dabei kommen Dinge hoch, die sonst so nicht hochkommen.
Aus dem Unbewussten?
Ja, genau daher. Was wir als Assoziationen hören, ist eigentlich das Produkt von widerstrebenden Kräften. Da kommt was hoch und dann kommt eine Gegenkraft, die das nicht will. Das ist wie im Traum. Freud nennt diese Kraft den Zensor. Dann beginnt das, was er die Traumarbeit nennt. Die Dinge werden gefiltert, unkenntlich gemacht und verformt. Das Ergebnis ist das, was Sie als Traum erinnern. Oder auch, was wir als Assoziationen hören. Es ist eine Art Oberfläche, unter der sich Anderes verbirgt.
Warum suchen Patienten Sie auf?
Weil sie mit dem Repertoire, das sie haben, nicht mehr weiterkommen. Jeder bildet im Laufe seines Lebens einen ganzen Komplex von Abwehrmechanismen aus. Das, was wir unsere Persönlichkeit nennen, wie man selber sich sieht. Das besteht aber aus einem ganz labilen Gleichgewicht. Und tagtäglich ist man damit beschäftigt, dieses Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Wenn das nicht mehr richtig funktioniert, kommen die Leute zu mir.
Die kommen also nicht wegen der Träume?
Nein. In der Regel nicht. Es sei denn es kommt einer wegen Alpträumen, die ihn plagen, aus dem Gleichgewicht bringen und die er nicht versteht.
Warum kehren manche Träume immer wieder zurück?
Das ist wahrscheinlich ein Anrennen gegen etwas, das nicht erledigt ist.
Jeder träumt jede Nacht. Die Frage ist nun, was erinnern Sie und was nicht.
Christoph Eissing, Facharzt für Psychotherapeutische Medizin Psychoanalyse
Kann man beeinflussen, was man träumt?
Wie wollen Sie das machen?
Indem man sich vielleicht bewusst mit etwas ganz intensiv beschäftigt?
Es gibt ja Tagtraumfantasien, denen Sie sich bewusst hingeben können. Aber der Traum kommt einfach, ob Sie es wollen oder nicht. Ganz abgesehen davon, träumen Sie so oder so. Das ist ja, wie schon gesagt, in den 50er-Jahren in den Schlaflaboren entdeckt worden: Jeder träumt jede Nacht. Die Frage ist nur, was erinnern Sie und was nicht. Was also der Zensor durchlässt und was nicht. Der sorgt auch für das Vergessen.
Ich frage mich manchmal morgens selbst, ob ich überhaupt was geträumt habe.
Sie können sich natürlich abends einen Zettel und einen Stift auf den Nachttisch legen und sich sofort notieren, was sie geträumt haben, bevor es verblasst. Man kann schon beeinflussen, ob man nicht doch etwas erinnert. Das hängt auch davon ab, wie viel Interesse man seinen Träumen schenkt.
Was macht einen Traum zu einem Albtraum?
Da kommen wir wieder zur Traumarbeit zurück, also diese psychische Funktion, die die seelischen Inhalte, die im Schlaf an die Oberfläche drängen, umformt, damit sie den Zensor passieren können. Diese Traumarbeit hat natürlich ihre Grenzen. Albträume entstehen, wenn das Material dermaßen erschreckend und beunruhigend ist, dass die Traumarbeit damit nicht mehr fertig wird und der Schläfer aufwacht. Freud sagt ja, der Traum ist der Hüter des Schlafes.
Träumen Sie selbst noch oft und können Sie sich immer erinnern?
Für mich gilt genau das gleiche wie für jeden anderen. Mal erinnere ich mich, mal nicht. Aber es gab auch Phasen in meinem Leben, in denen ich meinen Träumen etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt habe. Und da habe ich diesen Trick mit dem Zettel entwickelt.
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