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Fischer Wolfgang Schroeder auf dem Gülper See

© Pablo Castagnola

In vierter Generation: Wie ein Fischer im Havelland die Tradition weiterführt

Am Gülper See, in einer der wildesten Gegenden Deutschlands, hält Wolfgang Schröder das Handwerk des Zugnetzfischens am Leben. Touristen können ihn begleiten.

Stand:

Wenn Wolfgang Schröder zu den Fischen will, dann macht er eine elegante Drehung auf der rostigen Bordwand seines Kutters, als würde er vom Rücken eines Pferdes abspringen, und landet mit einem nicht ganz so eleganten Platschen im Gülper See.

Seine dunkelgrüne Gummi-Wathose reicht ihm fast bis an die Achseln, eine speckige Prinz-Heinrich-Mütze wirft einen kantigen Schlagschatten auf sein Gesicht, das rot, furchig und verschlossen genug ist für einen, der vier Tage die Woche auf dem und im Wasser arbeitet – auf Havel, Elbe, Gülper See und Hohennauener-Ferchesarer See, wie schon der Urgroßvater es tat.

Zwei Frauen und zehn Männer warten auf seine Anweisung

Den Anker auf der Schulter, watet Wolfgang Schröder durchs Wasser. 30 Meter sind es bis zum Ufer, und doch ist es nur knietief. An Bord der drei vertäuten Kähne sitzen zwei Frauen und zehn Männer und warten auf seine Anweisung, um mit anzupacken. In sicherer Entfernung hat sich ein gutes Dutzend Möwen auf dem Wasser niedergelassen, auch sie bereit für ihren Einsatz.

Erlebnisfischerei nennt Schröder das Ereignis, das er an ausgewählten Wochenenden im Frühjahr und Sommer anbietet. Nur wer ihn begleitet, darf den Gülper See vom Wasser aus erleben, denn für Privatboote ist er gesperrt. Er ist alles: Naturschutzgebiet, Fauna-Flora-Habitat-Gebiet, EU-Vogelschutzgebiet. ­Fischen dürfen hier neben Wolfgang Schröder nur noch zwei andere Fischer aus Gewohnheitsrecht, für Angler ist der See gesperrt.

Die Havel mäandert gemütlich durch Wiesen

Jetzt im August haben sich vor dem kleinen Ort Prietzen am Ostufer bereits mehrere hundert Wasservögel im flachen Wasser versammelt, um Energie zu tanken für den bevorstehenden Flug nach Süden. „Im Herbst sind es um die 100.000 Gänse und 15.000 Kraniche“, sagt Schröder. „Dann versteht man sein eigenes Wort nicht mehr.“

Hier bei Strodehne, wo Schröder in vierter Generation einen Fischerbetrieb führt, mäandert die Havel gemütlich durch Wiesen, Felder und Feuchtgebiete bis hoch nach Havelberg, wo sie bald darauf in die Elbe mündet. Es ist eine Landschaft, so dünn von Menschen besiedelt, dass Sternengucker mit ihren Teleskopen von weither anreisen und jene hier Urlaub machen, denen die Natur Erlebnis genug ist.

Die Schröders sind seit 1890 hier ansässig. Damals kaufte Uropa Schröder, aus einer alten Brandenburger Fischhändlerfamilie stammend, den Hof – und den Gülper See gleich mit. 1913 musste die Familie ihn wieder abtreten, doch die Fischereirechte behielt sie. Es war die Zeit der Dampfschifffahrt. Bis Berlin, Stettin und Hamburg fuhren die Schröders, 17 Angestellte arbeiten bis 1920 für sie. „Dann kam die Weltwirtschaftskrise, und alles ging den Bach runter, auch hier“, sagt Wolfgang Schröder.

Alte Tradition des Zugnetzfischens

Er wirft den Anker und richtet zwei der drei Kähne so aus, dass sie die Spitze eines Dreiecks bilden. Vor der offenen Seite liegt das Zugnetz im Wasser, das er kurz zuvor in einem großen Kreis ausgelegt hat – eine 250 ­Meter lange Schlinge an kleinen Bojen, die sich langsam um den Fang des Tages ziehen wird.

Zugnetzfischen mit Wolfgang Schröder als Erlebnis

© Pablo Castagnola/Pablo Castagnola

Mit wenigen Worten verteilt der Chef die Aufgaben: Zwei auf jeder Seite, um das Netz aus dem Wasser zu wuchten, zwei, um es in Schlaufen wieder in den Bootsrumpf zu schichten, zwei weitere, um Flusskrebse und Muscheln aus den Maschen zu pflücken – und die Krebse in den blauen Eimer zu werfen.

Alle anderen: Ab ins Wasser, zwischen die Boote, wo das Netz sich zuziehen wird – „Und los!“, ruft Fischer Schröder und beginnt, mit einem langen Holz-Staken aufs Wasser zu schlagen, dass es spritzt.

Das soll die Fische davon abhalten, durch das offene Ende der Schlinge zu entkommen, damit sie stattdessen aus Respekt vor dem Tumult in den Sack am Ende des Zugnetzes schwimmen – in die Falle. Meter für Meter holen die Hobby-Fischer das Netz ein.

Mittendrin packt unser Autor an (li.)

© Pablo Castagnola/Pablo Castagnola

Normalerweise erledigt Schröder das Zugnetzfischen mit vier oder fünf Leuten, vor allem auf den Seen, aber auch auf den Altarmen und in den Buhnen von Havel und Elbe. Es ist eine sehr alte Technik, sie hat den Vorteil, dass die Fische schonend gefangen werden; anders als bei den Stellnetzen, in denen sie sich oft verletzen. Stellnetze bringt er für den schnellen Fang auch aus, genauso Reusen für Aale, Wollhandkrabben und Flusskrebse.

Er kennt nichts anderes als die Fischerei

Dass er Fischer werden will, war Wolfgang Schröder klar, seit er denken kann. Mit sechs fuhr er zum ersten Mal mit raus, brachte sich die Handgriffe der Fischer spielend bei. Es folgte eine Lehre an der Fischereischule Königswartha in Sachsen und eine praktische Ausbildung zum Binnenfischer in Werder an der Havel.

Damals, zu DDR-Zeiten, war der Familienbetrieb in Strodehne eine Genossenschaft, deren Mitglieder ab 1965 ein festes Gehalt bekamen. „Es wurde festgelegt, wie viel jede Brigade fangen durfte, und zweimal in der Woche kam ein LKW, der die Fische geholt hat“, erzählt Schröder, der noch einige Monate in der Genossenschaft mitgearbeitet hatte, bevor die Wende kam. Seine Familie erhielt die Fischereirechte und Gebäude an der Gülper Havel zurück. Gemeinsam mit Vater Günther baute Wolfgang Schröder den Betrieb neu auf.

Nicht so laut, die Fische sind empfindlich.

Wolfgang Schröder, Fischer

„Nicht so laut, die Fische sind empfindlich!“, ruft er augenzwinkernd in die Gruppe. Dann bellt er ruppige Befehle: „Schneller!“ – „Fisch rausholen!“, ranzt schmunzelnd: „Fürs Rumstehen wirst Du hier nicht bezahlt!“, oder fragt fürsorglich: „Allet jut?“ Er ist einer jener Menschen, die lieber weniger sagen als nötig, aber nicht durchgängig wenig genug, um in die Schublade der wortkargen, grummeligen Fischer zu passen.

Das ist er nicht, kann er aber sein, wenn es ihm zu viel wird vor lauter Fragen und oft gehörten Witzchen seiner Gäste. Im glitzernden Wasser schnürt sich die Schlinge zu. Hunderte Fische zappeln im Netz, silbrige zuckende Körper, Rotfedern, Brassen, Schlei, Zander, Karauschen, Plötzen, ein kapitaler Giebel. „Alles dabei“, sagt Schröder, das meiste jedoch ein Stück zu klein.

Er liebt das Gefühl der Freiheit

Nach und nach hebt eine der Frauen den Fang mit einem Kescher in einen Bottich. Schröder sortiert: die Großen in den im Boden eingelassenen Fischtank, die Kleinen schüttet er mit einem verabschiedenden „Jo!“ wieder ins Wasser. Die Möwen holen sich, was bei drei nicht wieder unter Wasser ist.

Das war kein guter Fang. Es war stürmisch am Tag zuvor, aber der Termin stand nun einmal. Der Fischer setzt sich ans Heck und tuckert zurück zum Westufer. Jetzt, wo endlich der Motor für ihn spricht, lässt er den Blick mit der Hand am Kinn übers Wasser schweifen, wie jemand, der liebevoll musternd eine alte Bekannte anschaut.

Er liebt den See, seinen Job und den Jagdinstinkt, die Fische aufzuspüren, das Gefühl der Freiheit auf dem Wasser. „Man ist ganz anders in der Natur als ein Landwirt, der seinen Acker umpflügt, wir müssen mit dem arbeiten, was uns die Natur gibt.“

Wolfgang Schröder

© Pablo Castagnola/Pablo Castagnola

Als Fischer ist man ziemlich bodenständig.

Wolfgang Schröder, Fischer

Auf dem Fischerhof ist am Wochenende Hochbetrieb. Neben den alten Backsteingebäuden hat Schröder eine Garage zu Hofladen und Küche umgebaut. Gleich dahinter liegt das Ufer der Gülper Havel, eines ruhigen schilfbestandenen Seitenarms der Havel, der mal durch Brandenburg, mal durch Sachsen-Anhalt fließt.

Im Schatten unter Bäumen sitzen Gäste auf selbstgehäkelten Kissen und essen die Fischgerichte, die zwei Ukrainerinnen mit viel Liebe zubereiten, alles regional und Bio, das ist ihm wichtig – Räucherwelsbrötchen etwa, Backfisch oder Matjes, nicht etwa aus Ostsee-Hering, sondern aus Brandenburger Brassenfilets, vor Ort in Salzlake fermentiert.

Fischer Schröder verkauft seinen Fang auch im Hofladen.

© Pablo Castagnola/Pablo Castagnola

Die meisten Fische verkauft Schröder direkt im Hofladen, auch ein paar Restaurants beliefert er, darunter das Landgut Stober bei Ribbeck. Zu Corona-Zeiten, da hätten die Leute wie verrückt seinen Fisch gekauft. Jetzt nicht mehr so, weil sie lieber nach Mallorca fliegen und beim Essen sparen, sagt er.

Er bleibt trotzdem hier an seinem immer flacher werdenden Gülper See, den sie zu DDR-Zeiten schon einmal ausbaggern mussten, weil er verschlammt war von den Nährstoffeinträgen aus der Landwirtschaft. „Als Fischer ist man ziemlich bodenständig“, sagt Schröder. „Du kannst ja dein Wasser nicht mitnehmen, da gehst du nirgendwo hin.“

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