
© ALI GHANDTSCHI
Exiljournalistin aus dem Iran: „Heimat ist wie ein grausamer Liebhaber“
Wir haben die Pflicht, für die zu sprechen, die nicht frei sprechen können: Gedanken einer Iranerin im Flugzeug nach Istanbul.
Stand:
Ich schwebe zwischen Erde und Himmel, irgendwo zwischen Deutschland und dem Iran. Es ist nun schon über ein Jahr her, seit ich mein Land verlassen habe. Jetzt sitze ich in einem Flugzeug nach Istanbul: dem Ort, der einem Land am nächsten liegt, das ich nicht mehr betreten kann.
Heute ist der Iran ein Land der Verbote, der Angst und der Unterdrückung. In diesem Land bedeutet „Heimat“ Gefängnis, soziale Ausgrenzung, die Gefahr, dass die Revolutionsgarden mein Haus stürmen und meine Mutter zu Boden werfen. Heimat bedeutet dort Diktatur, wirtschaftliche Not, Zwangsverschleierung und ein Verbot, die Wahrheit zu sagen.
Das Exil hat mich zu einer müden Version meiner selbst gemacht.
Mahtab Qolizadeh, Journalistin aus dem Iran
Ich fliege in Richtung Iran, aber nur bis zur Grenze. In Istanbul, am Rande des Nahen Ostens, bin ich näher denn je und doch noch Welten entfernt. Von Berlin aus habe ich die Tage verstreichen sehen, während diese Entfernung mich allmählich zu einer stillen und müden Version meiner selbst gemacht hat.
Die Depression schlich sich langsam in mein Leben, denn dort, im Iran, sind die Menschen, die ich liebe: meine Mutter, Siamak, Noushin, Alireza, Sina und andere. Dort sind die Städte, die ich kenne: Isfahan, Garmsar, Persepolis. Dort sind die Dichter, mit denen ich aufgewachsen bin: Hafez, Saadi, Rumi, Ferdowsi. Dort sind die Feste und Rituale, zu denen ich gehöre: Nowruz und Yalda. Mein kulturelles Gedächtnis ist iranisch, unauslöschlich und unumkehrbar.
Und was am meisten schmerzt, ist, dass diese Distanz nicht nur geografischer Natur ist. Es ist ein existenzielles Exil, eine Trennung von meiner Identität. Die unerwiderten Protestgesänge sind nicht nur Erinnerungen. Sie sind Wunden. Mein Exil ist nicht nur ein Exil vom Ort, sondern auch von der Sprache, der Erinnerung und einer Klanglandschaft, die noch immer in meinen Knochen nachhallt.
Wenn man Journalist ist und sich in seiner täglichen Arbeit mit Menschenrechten, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit befasst, ist „Heimat“ nicht mehr nur der Ort, an dem man geboren wurde. Es wird zu einer Beziehung, einer lebendigen, organischen Verbindung zu einem Land, das einen geprägt und verletzt hat. Ich habe den Iran nicht verlassen, weil ich es wollte. Ich bin gegangen, weil ich keine andere Wahl hatte.
Und dennoch bleibt die Frage: Was ist Heimat? Ist es der Ort, an dem man geboren wurde, oder der Ort, der einem Sicherheit und Freiheit gibt? Ist es nur ein geografischer Ort oder ein Gefühl? Ein Ort der Sehnsucht? Der Trauer? Der Zugehörigkeit? Oder ist es das Land, in dem man den Preis der Freiheit bezahlt hat?
Manchmal denke ich, dass die Heimat wie eine Mutter ist. Selbst wenn sie dich verbannt, selbst wenn du sie verlassen musst, um zu überleben, bleibt sie ein Teil von dir. Sie lebt in deiner Sprache, deinen Träumen, deinem Schweigen.
Manchmal ist die Heimat eher wie ein grausamer Liebhaber: Je mehr sie dich wegstößt, desto tiefer nistet sie sich in deinem Herzen ein. Vielleicht ist die Heimat weder das eine noch das andere. Vielleicht ist sie beides.
Ein Leben ohne Masken, ohne Angst
Ich lebe nun seit einem Jahr in Berlin. Ich habe angefangen, Deutsch zu lernen. Ich habe politische Parteien verfolgt, Kulturschocks erlebt und mich langsam daran gewöhnt. Berlin ist keine einfache Stadt, aber sie ist ehrlich. Hier muss ich nicht lügen, um zu überleben. Hier kann ich die Wahrheit schreiben. Hier werde ich nicht inhaftiert, weil ich eine Diktatur anprangere.
Diese neue Heimat hat mir Schutz geboten, aber gleichzeitig meine Sehnsucht nach der alten noch verstärkt.
Ich habe gelernt, dass Schutz nicht nur aus Wänden und Dächern besteht. Freiheit selbst ist eine Form von Schutz. Schutz vor Zensur. Schutz vor Abhörmaßnahmen, vor Überwachung, vor der Angst, dass ein falsches Wort einen ins Gefängnis bringen könnte. Hier in Berlin kann ich ohne Masken leben. Aber diese Freiheit erinnert mich jeden Tag an diejenigen, die sie nicht haben.
„Ein Haus, das man liebt, ist nie wirklich verloren.“ Vielleicht ist Heimat letztendlich genau das: ein Haus. Ein Ort, an den man immer zurückkehren möchte, selbst wenn er brennt. Vielleicht bin ich unter Milliarden von Menschen eine der wenigen Glücklichen, die zwei Heimatländer haben. Zwei Länder, zwischen denen mein Herz ständig hin- und herpendelt.
Wir müssen für die sprechen, die es nicht können.
Mahtab Qolizadeh, Exiljournalistin aus dem Iran
Meine zweite Heimat – Deutschland – ist nicht nur ein Ort der Zuflucht. Sie ist zu einem Laboratorium des Werdens geworden. Hier habe ich neu definiert, was es bedeutet, eine Frau, eine Journalistin, ein Mensch in einer grenzenlosen Welt zu sein. Ich habe verstanden, dass Freiheit Verantwortung mit sich bringt. Und dass diejenigen, die frei sind, für diejenigen sprechen müssen, die es nicht sind.
Ich habe gelernt, für meine beiden Länder einzustehen: für das Land, das mich großgezogen hat, und für das Land, das mich gerettet hat. In dem einen werde ich abgelehnt. In dem anderen werde ich akzeptiert. Dennoch trage ich beide in mir. Ich schreibe für den Iran, aus der Freiheit heraus, die mir Deutschland gegeben hat. Ich kämpfe für Menschenrechte, auf beiden Seiten dieser Grenze.
Vielleicht ist Heimat letztendlich nicht nur ein Ort. Vielleicht ist sie eine Pflicht.
Ich wurde in einem Land geboren, in dem ich weiß, dass ich bis zu meinem letzten Atemzug dafür kämpfen werde, dass die religiöse Diktatur ein Ende findet.
Und ich werde meine Kinder in einem Land zur Welt bringen, das vor vielen Jahren den Preis der Freiheit bezahlt hat und heute ein sicherer Ort für liberale Werte ist. Ich wurde in einer Nation geboren, deren Erklärung der Menschenrechte 2.500 Jahre zurückreicht.
Meine Kinder werden in einem Land aufwachsen, das heute die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt ist. Ich bin stolz auf beides. Und ich bin entschlossen, die Werte beider Länder zu ehren. Ich habe gelernt, dass Freiheit Verantwortung mit sich bringt und dass diejenigen, die frei sind, im Dienste dieser Verantwortung leben müssen.
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