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ARCHIV - 11.01.2019, Baden-Württemberg, Neckarsulm: ILLUSTRATION - Tasten einer beleuchteten Tastatur (Aufnahme mit Zoomeffekt). Das Risiko einer flächendeckenden Cyberattacke ist nach Einschätzung der Munich Re mittlerweile so groß, dass ein staatlicher Schutzschirm sinnvoll wäre. (zu dpa: «41-Jährige soll Millionen aus Anlagebetrug überwiesen haben - U-Haft») Foto: Sebastian Gollnow/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Sebastian Gollnow

Krebsmedizin: Daten können Leben retten

Bei der Prävention, Früherkennung, Diagnose und Therapie von Krebs werden Gesundheitsdaten immer wichtiger. EIn Tagesspiegel-Gastbeitrag anlässlich des Kongresses Vision Zero in Berlin.

Von Christof von Kalle

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Ungeachtet der vielfältigen Möglichkeiten, die eine ­umfassende Datenauswertung für die Patien­ten bietet, war eine intensive Gesundheitsdatennutzung in Deutschland aufgrund von Datenschutzbedenken ­lange Zeit versäumt worden. Befeuert durch den offensichtlichen Datennotstand der Pandemie und die ­Erkenntnis, dass die effektive Nutzung digitaler Mittel und vernetzter Datenbestände der Schlüssel zu einem echten Mehrwert für die ­Patienten ist, zeichnet sich mittlerweile ein Umdenken ab. Auf politischer Ebene wurden erste Schritte unternommen, um die Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten zu fördern.

Ein Beispiel: Das im März 2024 in Kraft getretene Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) zielt ­darauf ab, Gesundheitsdaten für die Forschung verfügbar zu machen und die Nutzung dieser ­Daten für gemeinwohlorientierte Zwecke zu erleichtern. Das Medizinforschungsgesetz (MFG) soll die Studienzulassung vereinfachen und zu einer Beschleunigung der Forschungsprozesse führen.

Das sich in Ausarbeitung befindliche Forschungsdatengesetz (FDG), soll den Zugang zu Daten der öffentlichen Hand erleichtern. Ebenso markiert die Einführung der elektronischen Patienten­akte (ePA) ab 2025 gemäß dem Digital-Gesetz ­(DigiG) einen wichtigen Fortschritt und ermöglicht Patienten mehr Kontrolle über ihre eigenen Gesundheitsdaten.

Mehrwert für die Patienten

Die neuen rechtlichen Rahmenbedingungen ebnen den Weg für eine nachhaltige Verbesserung der Diagnose und Behandlung von Krebspatienten. Denn nur durch die effektive Nutzung von digitalen Mitteln und umfang­reicher, unter­einander vernetzter Datenbestände kann ein tatsächlicher Mehrwert für die Patienten geschaffen werden – und zwar von der individualisierten Vorsorge, über die maßgeschneiderte Therapie bis hin zur anschließenden Nachsorge.

Durch eine stärkere informationelle Selbstbestimmung können Patienten ­aktiv entscheiden, wie ihre Gesundheits­daten für Diagnose, Therapie und Forschung verwendet werden. Um diese Entscheidung fundiert zu treffen, ist eine umfassende und verständliche Aufklärung der Patienten über die Chancen und Risiken der Datennutzung unerlässlich. Verantwortliche im Gesundheitswesen müssen die Vor­aussetzungen für eine informierte Einwilligung schaffen, indem sie transparente Informationsstandards etablieren und Patienten aktiv in den Entscheidungsprozess einbeziehen.

Ein modernes Datenschutzverständnis

Entscheidend werden ­dabei nicht nur rechtliche Grund­lagen, sondern auch die tatsächliche Umsetzung der ­Digitalisierung in der Praxis sein. Um den Einsatz der Gesundheitsdaten zu gewährleisten, bedarf es eines modernen Datenschutzverständnisses, das über die reine Datensicherung hinausgeht. Dabei muss die verantwortungsvolle Nutzung von Patientendaten für die bestmögliche medizinische Versorgung im Fokus stehen.

Die bisherige Praxis des asymmetrischen Daten­schutzes, die das Recht auf Verweigerung der ­Datenweitergabe in den Vordergrund stellt, wird Patienten mit lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Krebs nicht gerecht.

Christof von Kalle, VIsion Zero

Die bisherige Praxis des asymmetrischen Daten­schutzes, die das Recht auf Verweigerung der ­Datenweitergabe in den Vordergrund stellt, wird Patienten mit lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Krebs nicht gerecht. ­Gerade für diese Patienten ist nicht die Datenverweigerung, sondern die Datenverwendung oft der sicherste Weg, weil dadurch relevante diagnostische und therapeu­tische Verbesserungen über klinische Forschung und Versorgungsstudien für sie verfügbar werden, von denen sie die Datenverweigerung systematisch ausschließt.

Bei genauer Betrachtung gibt es drei Komponenten des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, die wir bisher vernachlässigt haben. Zunächst haben die Patienten ein affirmatives Recht auf die Nutzung ihrer Gesundheitsdaten, um daraus eine Verbesserung ihrer laufenden Behandlung zu erwirken. Die Präzisions­medizin basierend auf einer umfassenden Analyse von individuellen Gesundheitsdaten hat das Potenzial, die Versorgung von Krebspatienten zu ­revolutionieren. Insbesondere bei Krebserkrankungen, die individualisierte Therapien erfordern, können Daten eine lebensrettende ­Rolle spielen. Eine umfassende Datennutzung ermöglicht zudem einen verbesserten, individualisierten Behandlungsverlauf, einschließlich der risikoadaptierten Früherkennung oder der Erkennung von Medikamentenunverträglichkeiten.

Die elektronische Patientenakte ist essentiell

Als zweites haben die Patienten das Recht, über ihre eigenen Daten zu verfügen und ­diese auch ­außerhalb ihrer laufenden Behandlung ­beispielsweise für digitale Gesundheitsdienstleistungen oder für Forschungszwecke freizugeben. Um dieses Recht durch den Patienten umzu­setzen, ist ein patientenbezogener Daten­raum wie eine elektronische Patientenakte – die auch ­tatsächlich befüllt wird – essentiell.

Je mehr Daten verfügbar sind, desto besser können individualisierte Therapien entwickelt und auf die Bedürfnisse der Patienten zugeschnitten werden. Ein lernendes Gesundheitssystem, das auf dem Austausch und der Analyse von Daten beruht, kann die Zukunft der Krebsforschung und -versorgung maßgeblich zum Besseren verändern. Dies ist den Meisten unserer Patienten ein zentrales Anliegen, und es durchzusetzen ist ihr gutes Recht.

Diese Menschen befinden sich in einer Notlage

Ein dritter Aspekt zur Datenverwendung ist für Patienten mit schweren Erkrankungen oft der wichtigste, aber im Gesundheitssystem am meisten vernachlässigte. Diese Menschen befinden sich in einer Notlage. Sie haben oft nicht die physische oder psychische Kraft, das Detail­wissen oder den Informationszugang um sich ­aktiv um ihre Gesundheitsdaten zu kümmern. Sie brauchen, wenn sie dies wünschen, ein Recht auf Gefundenwerden, sodass sie die aktuellste und für sie beste Gesundheitsinformationen tatsächlich zu ihnen gelangt, auch wenn sie nicht wissen, wo sie suchen sollen oder weit ab von einer Großstadt wohnen.

Dazu zählen auch die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und Möglichkeiten zur Teilnahme an klinischen Studien. Nicht nur bei seltenen Krankheiten kann eine solche Studienteilnahme für Patienten lebensrettend oder zumindest lebensverlängernd sein. So gilt dies heute zum Beispiel auch für viele Patienten mit Lungenkrebs.

Der digitale Wandel im Gesundheitssystem kann auf diese Weise den Zugang zu Gesundheits­wissen demokratisieren. Die beste Diagnostik und ­Therapie brauchen dann nicht mehr vom Wohnort, dem Gesundheitszustand oder der sozialen Schicht abzuhängen. Dazu muss die informationelle Selbstbestimmung der Patienten durch eine umfassende Aufklärung auch zu den Chancen der Datenverwendung ­weiter ­gestärkt werden. Denn die meisten Patienten wollen ­aktiv an der Gestaltung ihrer Versorgung teilhaben und wollen die Chancen der Digitalisierung im Kampf gegen ihre todbringende Krankheit voll ausschöpfen. Menschen in Not wollen ­gefunden werden.

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