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Illustration von Katharina Noemi Metschl

© Katharina Noemi Metschl für Den Tagesspiegel

Das biografische Weihnachtsrätsel 2024: Wer war’s? Erraten Sie zehn Persönlichkeiten

Menschen sind verschieden. Manche wollten in der Masse untertauchen, andere stellten sich bewusst an den Rand. Oder wurden dorthin geschubst. Zehn dieser Außenseiter oder Ausgegrenzten werden gesucht.

Stand:

Manche wollten nicht so leben wie die Mehrheit, andere durften es nicht. Sie wurden ausgeschlossen, waren nicht akzeptiert. Einige kämpften für ihre Überzeugungen, andere für ihre Hoffnungen und Träume. Eins einte diese Menschen: Sie mussten mit ihrer gewählten oder zugewiesenen Rolle zurechtkommen. Das taten sie mutig, stolz, manchmal verzweifelt und wütend.

1 Eine, die Verbündete suchte

Heiraten, Kinder kriegen, Mund halten: Das war der Lebensplan. Nicht ihrer, sondern der ihrer Familie. Als höhere Tochter hat sie geheiratet und Kinder bekommen – und den Mund weit aufgemacht. Sie hatte nichts zu verlieren. In ihrer Kindheit als hässliche Ente bekannt (für ein Entlein war sie entschieden zu groß), später von ihrem Ehemann betrogen, nahm sie sich viele Freiheiten. Ohne ein gewähltes Amt zu haben, das kam erst spät in ihrem Leben, wurde sie zu einer der einflussreichsten Figuren in ihrem Land, progressive Partnerin im Team mit ihrem Mann, nach seinem Tod allein.

Das einst so scheue Mädchen suchte die Öffentlichkeit, schrieb und schrieb, redete und redete und packte ihre Ziele so pragmatisch wie clever an. Es ging ihr darum, die Welt zu einer besseren zu machen. Mit großer Entschlossenheit und Disziplin setzte sie sich für die Rechte derer ein, die kaum welche hatten. Dabei suchte sie für ihre Kämpfe Verbündete, zur Freundschaft hatte sie ein großes Talent. Zur Mutter weniger. Von Neugier und Engagement getrieben, reiste sie durch ihr Land, einmal 65.000 Kilometer in einem einzigen Jahr, später durch die Welt.
 

2 Einer, der mit Türen knallte

Knorrig und sehr eigen war dieser Mann, von den einen als skurril bezeichnet und mitleidig belächelt, von anderen als Vertreter ihrer Seele geschätzt. Griesgrämig konnte er wirken, mürrisch – und hatte das Herz auf dem linken Fleck. Wegen künstlerischer Unbotmäßigkeit ging er ins Gefängnis. Passte ihm etwas nicht, knallte er mit Türen. Zog er Spott auf sich, konnte er noch widerständiger werden. Ja, er fühlte sich auch unverstanden – und hielt doch an der Vergangenheit fest, sammelte leidenschaftlich Ausgesondertes.

So bärbeißig und ungebunden er sich geben konnte – so seltsam einhellig wurde er von staatlicher Seite geehrt. Vereinnahmen ließ er sich trotzdem nicht. Ein Außenseiter? Jedenfalls einer, der gegen den Zeitgeist westlicher Religion lebte, und gegen Wendehälse, die man auch Lumpen nennen könnte. Ein sanftmütiger Rebell? Ein belesener Traditionalist? Eher ein leiser Melancholiker. Seine Physiognomie erinnerte an einen traurigen Clown, Stan Laurel hätte sein Zwillingsbruder sein können. Aber er wurde dreizehn Jahre älter als der Engländer.

3 Eine, die tanzen wollte

Kleine Mädchen haben Träume. Der ihre war es, Tänzerin zu werden. Dass sie Talent hatte, stand fest. Doch lange ließ man sie nicht unter Anleitung üben. Auch andere Türen blieben ihr verschlossen. Die blutjunge Mutter konnte nicht helfen, der Vater war in seine ferne Heimat zurückgekehrt, als sie noch Säugling war. Dabei hatte sie, in einer großen Stadt am Wasser geboren, noch Glück. Wie furchtbar es anderen erging, erfuhr sie bei der Arbeit, zu der man sie verpflichtet hatte. Nie konnte sie das vergessen, es hat ihr Leben geprägt.

Sie half sich später selbst damit, nach vorn zu schauen. Nicht schweigen, sondern den Mund aufmachen, war ihre Devise. Ein Orchester brauchte sie nicht um sich herum. Andere, durchaus berühmte Menschen, stimmten mit ein. Eitel machte sie das nicht, sie blieb bescheiden. Nahm sensibel jede Ungerechtigkeit wahr, mahnte, organisierte, kämpfte. Einige Jahre vor ihrem Tod wurde sie offiziell geehrt. Weggefährten mussten sie dazu drängen, die Ehrung anzunehmen. Geld für festliche Kleidung hatte sie nicht. 

4 Einer, der rauschende Feste gab

Er war eigentlich eine gute Partie aus vornehmem Hause. Als jüngstem Spross der Familie ließ ihm sein ältester, mächtiger Bruder manches durchgehen. Man gab ihm einen Kosenamen, aber keine richtige Aufgabe. Berühmt war er wegen seiner spitzen Zunge, die manche als unterhaltsam empfanden, die ihm aber auch Ärger einbrachte. Mit Kritik sparte er auch nicht an seiner berühmten Schwägerin, mit der er sich anfangs gut verstanden hatte.

In der Hauptstadt seines Landes besaß er ein Palais, in dem er zu rauschenden Festen einlud. Manchmal erkannte man ihn dort nur auf den zweiten Blick. Militärisch schaffte er es sogar bis zum General, aber es gab etwas in seinem Leben, das nach den damaligen Moralvorstellungen nicht zu tolerieren war. Der Gesuchte war in der Hauptstadt nicht mehr zu halten und wurde in die Provinz verbannt. Dort hatte er sich schon zuvor für die Kunst engagiert, spendete viel für Bedürftige und eroberte sich so die Herzen der Bewohner. Er starb mit 76 Jahren isoliert, verwirrt und einsam. 

5 Eine, die kein Grab bekam

Manchen galt sie in ihrer spießigen Kleinstadt als das hässliche Entlein, sie entpuppte sich aber zum farbenfrohen Falter, der viele Menschen begeisterte. Vor ihrem Zuhause rannte sie davon, weil sie sich nach Freiheit sehnte; aus der Schule rannte sie davon, weil sie gehänselt wurde; ihr Leben lang rannte sie davon – um zu beweisen, was in ihr steckte, um die unbändige Wut und den Schmerz herauszuschreien und die Scham der grauen Mehrheit zuzuweisen.

Als sie dann in kunterbunter Aufmachung zu einem Schülertreffen in ihre Heimatstadt zurückkehrte – voller Vorfreude, voller Enthusiasmus – erlebte sie Niederschläge, von denen sie sich nicht mehr erholte. Erst als sie im Feuer der Scheinwerfer verglühte, brach Trauer aus und viele Menschen erkannten, wie sehr sie gerast war, bedauerten, wie früh sie gegangen war. Jüngst wurde sie in einem Roman als das Beispiel einer Außenseiterin bezeichnet, die gegen den Strom lebte, ihre Einzigartigkeit ausdrückte und in Einsamkeit starb. Ein Grab gibt es nicht, ihre Asche wurde verstreut.

6 Einer, dem kurze Hosen gefielen

Er versank in seinen viel zu weiten Jacken, die Hosenbeine waren immer zu kurz, dazu die Stoppelfrisur: Dieses Äußere – doch bei weitem nicht nur das – trug dazu bei, dass er in der Gesellschaft der Hauptstadt, in die er gezogen war, nie ankommen konnte, sein Lebtag nicht. Er galt als einfacher Mensch von bäuerlicher Herkunft, brillant zwar in einem bestimmten Bereich, doch gerade diejenigen, deren Anerkennung er sich vor allem wünschte, sahen in ihm einen Sonderling, einen Kauz. Mit einer Ausnahme, übrigens.

Doch seine mächtige, unverbrüchliche Liebe zum Höchsten ließ ihn alle Anfeindungen überstehen und geradlinig seinen Weg weitergehen. Er schuf Werke, die zu seiner Zeit nicht als das anerkannt wurden, was sie waren: eine zwar eigensinnige, aber konsequente Weiterentwicklung ihres Genres. Und die Kleidung? Einmal nahmen Freunde heimlich Maß und schenkten ihm neue Anzüge. Seine Reaktion: Einweichen, damit die Bügelfalten weggehen, und die Hosen unten abschneiden. Jetzt sei das Zeug bequem, meinte er.

7 Eine, die Kompromisse ablehnte

Manche waren genervt durch ihre Unbedingtheit, auch durch eine Stimme, schwankend zwischen Weinerlichkeit und Hektik. Sie vertrat die reine Lehre, begegnete Kompromissen mit einer Leidenschaft, die die einen mitriss und andere abstieß. „Nein, keine Kompromisse!“, verfügte sie apodiktisch. Sie, geboren an einem tristen Novembertag, verkörperte so etwas wie religiösen Eifer, wirkte missionarisch, visionär, charismatisch. Aber auch idealistisch, kraftvoll (und fragil zugleich), auf der Suche nach dem Sinn, unbeugsam.

Sie schien das Leiden Christi zu verkörpern und das Leid der Welt schultern zu wollen. Und sie überragte, auch das macht eine Mehrheit störrisch, treibt in die Einsamkeit. Zudem war sie aus der Fremde gekommen, hochgebildet, intellektuell, einem dumpfen Deutschtum fremd. Weltbürgerin und Ikone, Lichtgestalt. Ehemalige Weggefährten grenzten sie aus, ließen sie im Stich, verschmähten sie. „Lieber qualitativ ein kurzes Leben als ein langes, was nicht qualitativ ist“, sagte sie. Sie wurde nicht mal fünfzig. Ein Abschiedsbrief fand sich nicht. 

8 Eine, die übel betrogen wurde

Mädchen, so wünschten es Mütter oft in jener Zeit, sollten eine gute Partie machen. Ein Rechtsanwalt, ein Arzt, das wäre passend. Dabei kam die Gesuchte nicht aus ärmlichen Verhältnissen. Mit der Schule hatte sie wenig am Hut, trieb sich immer anderswo herum. Erst in ihrer kleinen Heimatstadt, gern an der frischen Luft. Dann in einer größeren Stadt, mit einem Turm zum Besteigen. Ob sie je oben war, weiß man nicht.

Sonst konnte es ihr nicht hoch genug sein. Manche bewunderten das, jenen, die das Sagen hatten, passte es nicht. Zwar wollten sie, wenn die Welt zuschaute, viele Ehrungen einheimsen. Aber nicht allen zujubeln. Die Gesuchte hatte ihrem Heimatland eh schon den Rücken gekehrt. Nur, um Schlimmes, wie angedroht, zu verhindern, kam sie zurück. Und durfte doch nicht zeigen, was sie konnte, wurde übel betrogen. Ein Mann lief stattdessen los und scheiterte. Am Ende war ein Schiff für sie die Rettung. Erst viele Jahrzehnte später kehrte sie für einen Besuch in die Heimat zurück. Sie wurde sehr alt.  

9 Einer, der Frauen mied

Er, aus reichem, angesehenem Elternhaus, hätte ein Leben in Saus und Braus führen können. Doch er lernte und las, wollte sich den Kopf zerbrechen. Das Material, um einiges schwungvoll zu Papier zu bringen, hätte er in Hülle und Fülle gehabt. Doch ihn machte das Denken groß. Griechische und lateinische Werke las er im Original. Dabei war er auch ein Praktiker durch und durch, er war geschickt, hatte die Hände eines Arbeiters. Einen Job, der ihm im Grunde lag und gefiel, schmiss er hin. Was dort geregelt war, mochte er nicht akzeptieren.

Unrecht sah er auch anderswo und prangerte es an. Wegen seiner Überzeugung, die in seiner Heimat nur wenige teilten, landete er sogar mal hinter Gittern. Weil ihn eine Umworbene einst abgewiesen und verletzt hatte, mied der Sensible Frauen, sein Leben lang. Ihre Sache war nicht seine, doch das wurde ihm von ihnen erstaunlicherweise verziehen. Sein stilles Glück fand er an einem See. Die Ruhe dort ist auch seinetwegen längst dahin. Er wurde nur 44 Jahre alt.    

10 Einer, der einfach leben wollte

Der Mann hatte gute Gründe, von seinen Mitbürgern nichts mehr wissen zu wollen. Die nämlich hatten seinen Sohn unnachgiebig verfolgt, vieles sprach für eine Intrige. Der Vater also, der hier gesucht wird, zahlte viel Geld, um seinem Sohn das Schlimmste zu ersparen, und zog es fortan vor, ein einfaches Leben zu führen, von seinen Mitbürgern durch den Fluss getrennt. Dabei waren seine Verdienste und seine Fähigkeiten unbestritten. Und als der Feind nahte, erinnerte man sich ihrer. Sie baten ihn zurückzukommen und ihr Anführer zu sein.

Er ließ Haus und Hof zurück und dank seines energischen Eingreifens gelang der schnelle Sieg. Natürlich wollten sie ihn zum Bleiben überreden, in Amt und Würden. Er wollte davon nichts wissen und entschied sich wieder für sein einfaches Leben, drüben auf der anderen Seite. 19 Jahre später holten sie ihn ein zweites Mal, wieder ließ er die mögliche Karriere nach kurzer Zeit sausen. Sein Bürgersinn aber gilt manch einem heute noch als Beispiel. Boris Johnson etwa hat sich mit ihm verglichen, dabei galt der nun gerade nicht als tugendhaft.  

Zusammengestellt von Hella Kaiser, Andreas Austilat, Udo Badelt, Stefan Berkholz, Rolf Brockschmidt und Susanne Kippenberger.

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