
© ZDF/Christian Schoppe
Ukraine-Talk bei „Maybrit Illner“: „Dann werden wir auch gefressen“
Während in Brüssel über die Nutzung russischen Vermögens verhandelt wird, wirft Precht bei „Illner“ mit steilen Thesen um sich. Sigmar Gabriel wagt einen martialischen Vergleich.
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Kommen ein ehemaliger Vizekanzler, ein ehemaliger Kanzlerkandidat und ein selbsternannter Philosoph ins Fernsehstudio: Was klingt wie der Anfang eines Witzes mit Potenzial, ist die männliche Seite der Gästeliste bei „Maybrit Illner“ am Donnerstagabend. Neben Armin Laschet (CDU), Sigmar Gabriel (SPD) und Richard David Precht sind die Politikwissenschaftlerin Liana Fix und die ukrainische Verlegerin Kateryna Mishchenko zu Gast.
„Land verlieren, Partner behalten - welche Wahl hat die Ukraine noch?“, fragt Illner ihre Gäste. Die ZDF-Sendung in der TV-Kritik.
Wie in einer Zeitmaschine
Wer ein Gefühl dafür bekommen möchte, wie sich die Debatte über Russlands Krieg gegen die Ukraine hierzulande verändert hat, muss bloß „Illner“ einschalten. Wurde vor nicht allzu langer Zeit in den Talkshows über kaum etwas anderes diskutiert als die Lieferung weiterer Waffensysteme an Kyjiw, geht es an diesem Abend zurück in die Vergangenheit. Plötzlich ist wieder auffällig häufig von „russischen Sicherheitsinteressen“ die Rede.
Die EU habe in den vergangenen Jahren „keine rühmliche“ Rolle gespielt, beklagt sich Richard David Precht: „Es ist von Europa keine einzige diplomatische Großoffensive gegenüber Russland erfolgt.“ Das habe wohl auch daran gelegen, dass „man auf die russischen Sicherheitsinteressen und die russischen Bedürfnisse ohnehin nicht vorhatte einzugehen“, vermutet Precht. „Wir sagen nie, was sind wir bereit, den Russen zu geben.“
Was kann Europa Russland dafür geben, dass russische Soldaten seit fast vier Jahren ukrainische Zivilisten ermorden, ukrainische Städte zerbomben und ukrainische Kinder entführen? Die Autorin und Verlegerin Kateryna Mishchenko hat einen pragmatischen Vorschlag: Was Europa Putin anbieten könne, sei ein „Sondertribunal“.
Das klinge vielleicht pathetisch, räumt sie ein, aber Putin hinterherzulaufen, ihn gar „anzulocken“, wie es im Moment geschehe, sei der falsche Weg. Man dürfe nicht aus einer Position der Schwäche heraus denken und sich selbst kleinmachen, sagt Mishchenko. „Ich merke hier in Deutschland, dass die Menschen – Entschuldigung – manchmal zu viel jammern.“
Verhandeln, bis die Landschaften blühen
Precht ist an diesem Abend der Antreiber der Debatte. Weite Teile der Sendung bestehen daraus, dass sich die anderen Gäste an seinen Thesen abarbeiten. Gabriel etwa hält Precht entgegen, dass vor 2022 sehr wohl Vereinbarungen zwischen Europa und Russland bestanden hätten – die von Russland gebrochen worden seien. „Es ist doch nicht wahr, dass es keine Diplomatie gegeben hat“, ruft der ehemalige SPD-Chef empört.
Dass die Europäer „direkt mit Moskau“ verhandeln, wie Precht es fordert, sei Unsinn: „Putin wird doch nicht mit uns verhandeln. Das ist eine Illusion“, sagt Gabriel. Nur die Amerikaner würden von Russland als Verhandlungspartner akzeptiert. Und die, betont Politikwissenschaftlerin Fix, seien russlandfreundlicher denn je.
„Die sind bereit, Russland das Blaue vom Himmel zu versprechen, blühende Landschaften, nur um einen Frieden zu erhalten“, sagt sie. Aber: „Selbst Trump läuft gegen die Wand bei Wladimir Putin.“
„Ich glaube, Trump wird hier nicht richtig verstanden“, findet Precht. Dabei sei das nicht schwer, „wenn man Ahnung von Immobilienwirtschaft und so weiter hat“. „Die haben Sie hoffentlich“, kommentiert Illner. Sie kann sich ein Lachen nicht verkneifen.
Ob Precht nicht nur „einer der ganz, ganz großen Philosophen“ ist, wie es CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann einst großzügig formulierte, sondern auch ein gewiefter Immobilienunternehmer? Das erfährt der Zuschauer leider nicht.
Schmeicheleien für Laschet
Während die Runde bei Illner zusammensitzt, geht es in Brüssel hoch her. Dort diskutieren die Staats- und Regierungschefs der EU, ob eingefrorene russische Vermögenswerte indirekt zur finanziellen Unterstützung der Ukraine genutzt werden sollen.
Armin Laschet, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, nimmt wie meist in der Sendung auch in dieser Frage eine Art Mittelposition ein. Eine „Schwarz-Weiß-Sicht“ sei „immer falsch“, sagt er. „Es ist ein Preis, dass wir notfalls für das Vermögen einstehen müssen.“ Doch wenn es gelänge, die Ukraine in großem Maß weiter zu finanzieren, „dann wird das am Ende schon Putin beeindrucken“.
Precht wiederum scheint von Laschets Auftritt so beeindruckt zu sein, dass er dem ehemaligen Kanzlerkandidaten gehörig schmeichelt. „Ich würde mir in der Situation, ich sag’s ganz ehrlich, lieber Armin Laschet als Kanzler wünschen als Friedrich Merz“, sagt er. Laschet schaut interessiert, verzieht aber keine Miene.
Von einer Nutzung des eingefrorenen russischen Staatsvermögens für die Ukraine hält Precht erwartungsgemäß wenig. „Wir ruinieren unsere Volkswirtschaft mit der Entscheidung“, behauptet er mit Blick auf mögliche Ersatzzahlungen, vor denen die EU stehen könnte.
Die russischen Vermögenswerte zu nutzen, sei keine gute Option, sagt Politikwissenschaftlerin Fix. „Aber wenn man die Wahl hat zwischen einer schlechten und einer noch schlechteren Option, dann muss man sich irgendwann für die schlechte statt für die schlechteste Option entscheiden“, sagt sie. Das allerschlechteste Szenario sei ein „Kollaps der Ukraine“.
Gabriel pflichtet ihr bei: Wenn die EU jetzt nicht handele, „dann verliert die Ukraine, und das wird teurer“. Sollte Europa zur Finanzierung der Ukraine nicht in der Lage sein, so Gabriel, „dann sind wir die letzten Vegetarier in der Welt der Fleischfresser, und dann werden wir auch gefressen“. Mit dieser optimistischen Einschätzung neigt sich die Sendung ihrem wohlverdienten Ende zu.
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