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Maria Furtwängler spielt in dem Kinofilm "Das Wetter in geschlossenen Räumen" die Entwicklungshelferin Dorothea. Der Film startet am 28.01.2016 in den deutschen Kinos.

© dpa

"Das Wetter in geschlossenen Räumen" im Kino: Vom Dilemma des Helfens

Maria Furtwängler beeindruckt in dem Film „Das Wetter in geschlossenen Räumen“ – auch weil ihr das aktuelle Thema Entwicklungshilfe sehr am Herzen liegt.

Heute kommt ein Film ins Kino, der im Arthouse-Genre angesiedelt ist. Kein großer Film, aber brisant in diesen Tagen, in denen hitzig diskutiert wird über Flüchtlinge, über Helfer und Hilfe vor Ort in den Herkunftsländern und hier bei uns. Über Egoismus und Empathie, über das Versagen von Politikern und das Engagement von Privatpersonen.

„Das Wetter in geschlossenen Räumen“ (Buch und Regie: Isabelle Stever) ist ein eher skurriler, spannender, gesellschaftskritischer Psychothriller aus dem Milieu der Entwicklungshilfe, akribisch recherchiert und mit kleinem Budget gedreht zwischen 2012 und 2014, also bevor die Flüchtlingskrise im deutschen und europäischen Alltag ankam und seitdem die ganze Thematik der Sinnhaftigkeit von Entwicklungshilfe vor Ort, besonders in Ländern mit instabilen und korrupten Regierungen, heftig hoch kocht.

Maria Furtwängler, 49, spielt in dem heute in den Kinos anlaufenden Film „Das Wetter in geschlossenen Räumen“ die Hauptrolle. Als promovierte Ärztin und langjährige Präsidentin des Kuratoriums von German Doctors kennt sie sich in dem Metier aus, seit sie in den Krisengebieten in Afrika und Asien vor Ort gearbeitet hat und gemeinsam mit ihrer 24-jährigen Tochter Elisabeth 2010 auf den Philippinen ein Wohnheim für junge Frauen gründete, die Opfer von häuslicher Gewalt und Zwangsprostitution wurden. Im Bündnis gegen Gewalt gegen Kinder und als Jurymitglied des Roland-Berger-Preises für Menschenwürde setzt sie sich für nachhaltige Problemlösungen ein. Zudem ist sie seit 2014 Botschafterin für Kindergesundheit und Frauen der Kampagnenorganisation One.

In „Das Wetter in geschlossenen Räumen“ spielt sie nun Dorothea Nagel, eine kapriziöse PR-Frau und attraktive Spenden-Animateurin einer internationalen Hilfsorganisation im Einsatz im Nahen Osten. Befriedigung sucht die schicke Dorothea, eine Frau in Erwartung ihrer Midlife-Krise, in beträchtlichem Alkoholkonsum und in teuren Designerklamotten – bis sie sich in einer heißen Affäre mit Alec verliert, einem jungen mittellosen arabischen Flegel (genial gespielt von Mehmet Sözer). Während draußen die Panzer rollen und ein Großteil der vom Bürgerkrieg betroffenen Bevölkerung gerade dabei ist, potenziell künftige Flüchtlinge zu werden, treibt Dorothea es mit ihrem Lover in der Hotelsuite eines Luxushotels. Der nutzt sie schamlos aus, verschleudert ihr Geld, zertrümmert das Mobiliar, verführt sie zum Drogenkonsum und vögelt sie an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Betrunken steht Dorothea schließlich im Mittelpunkt eines Charity-Dinners, bei dem sie der ortsansässigen Diplomatie und High Society Spenden für ein Ausbildungsprojekt für junge Flüchtlinge aus den Taschen ziehen soll, gibt lallend ein Fernsehinterview. Ihr Leben ist aus den Fugen geraten. Am Ende kriegt sie gerade noch die Kurve, bricht auf in ein anderes Leben.

Maria Furtwängler entpuppt sich in dem Film als außergewöhnlich leidenschaftliche Schauspielerin

Beachtung findet der Film wohl zunächst, weil da eine Frau die Hauptrolle spielt, die eine der bekanntesten Schauspielerinnen Deutschlands ist, deren Image allerdings bisher nachhaltig durch die Erfolgsrolle als spröde Tatort-Kommissarin Charlotte Lindholm geprägt wird – und die sich nun in „Das Wetter in geschlossenen Räumen“ zum ersten Mal als eine außergewöhnlich leidenschaftliche Darstellerin entpuppt und so überzeugend spielt, dass man irritiert zweimal hinguckt: Ist das tatsächlich die Furtwängler? Diese Intensität, die Schonungslosigkeit, dieser Mut zur Fratze, das hat ihr wohl niemand zugetraut. Nicht als Schauspielerin, nicht als Frau des Verlegers Hubert Burda, nicht als prominente Persönlichkeit, über die fast täglich irgendetwas meist Oberflächliches in den Medien steht.

Maria Furtwängler sagt, dass die Dreharbeiten anstrengend bis zur Erschöpfung waren, so insistierend forderte die Regisseurin sie immer wieder heraus, ihre Grenzen auszuloten. Sie habe in ihrer Garderobe geweint und getobt – nur ans Aufgeben habe sie nie gedacht. Nicht die Sexszenen oder die Alkohol- und Drogenexzesse waren es, die sie so forderten, es war der unerbittliche Kampf, den Dorothea mit sich selbst ausficht, diese Leere, die von ihr Besitz ergriffen hat, dieses sich eingestehen müssen ihrer Unfähigkeit, sich zu lösen von ihren persönlichen Problemen, dieses Lavieren zwischen Mitleid, Glaubwürdigkeit und Pflichterfüllung, dieser permanente Druck, Erfolge vorweisen zu können, diese Mauer im Herzen, die davor schützen soll, sich vom Elend der anderen fressen zu lassen.

Das ist für mich die eigentliche Aussage des Films: diese schizophrene Situation, in der sich die Frauen und Männer befinden, die in den Metropolen der Krisengebieten arbeiten, besten Willens und bestens ausgebildet, mit dem Ziel, die Situation der benachteiligten Menschen zu verbessern, ihnen den Weg in eine lebenswerte Zukunft zu ebnen. Und die dennoch oft an den Gegebenheiten und an ihren eigenen Schwächen scheitern. Mitarbeiter von internationalen Institutionen, von Nichtregierungs- und Regierungsorganisationen, Experten, die aus den unterschiedlichsten Motiven diesen beruflichen Weg gewählt haben. Und das oft nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern aus schierem Egoismus.

Neulich sagte ein Experte zu mir: Ich kann eh nichts ändern, aber es ist ein interessanter und exzellent bezahlter Job. Den Luxus, den ich mir hier in einem Entwicklungsland leisten kann, das schaff’ ich nie in Deutschland. Selbstverständlich sind solche Menschen die Ausnahme, wie auch der Film die Situation absurd überspitzt darstellt. Aber es ist ein Tabu, mit dem der Film bricht: Menschen, die in Entwicklungsländern als Helfer unterwegs sind, sind nicht per se gute Menschen mit hehren Zielen. Wie eben auch nicht jeder Flüchtling ein guter Mensch ist. Egoisten, Schmarotzer, Idioten sind überall unterwegs.

Ich weiß, wovon ich rede, lebe und arbeite ich doch seit Jahrzehnten in Äthiopien mit Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, und habe einen interessanten internationalen Freundeskreis aus diesem Umfeld. Vor allem aber habe ich vor mehr als 35 Jahren am eigenen Leib erfahren, wie das ist, in einer vollkommen fremden Welt zu leben, zu arbeiten, sich zu bewähren, zu wachsen und nicht zu versagen. Meine Motivation war damals vor allem Neugier und Abenteuerlust. Einmal wurde unser Haus vom Militär durchsucht, wir wurden 24 Stunden unter Hausarrest gestellt, man fand bei uns Maschinengewehre, die einer unserer Mitbewohner in einem Kamin versteckt hatte; er war kein Entwicklungsexperte, er war ein CIA-Agent. Ich fand das abenteuerlich und war mir der Gefahr überhaupt nicht bewusst, naiv wie ich damals war.

Neulich berichtete mir eine Bekannte, die fast zwanzig Jahre als Sozialarbeiterin auf verschiedenen Posten in Subsahara- Afrika gearbeitet hatte, in Flüchtlingslagern, in Kinderheimen, mit Aids-Kranken, mit Alten und Frauen, mit den am meisten Benachteiligten der Benachteiligten, dass sie dabei sei, selbst vor die Hunde zu gehen. Die Einsamkeit, die sie empfindet, weil sie nicht in der Lage gewesen ist, sich einen stabilen einheimischen Freundeskreis aufzubauen, die Abstumpfung gegen das Leid, diese Wut, wenn ein Projekt, das auf dem besten Wege war, nicht fortgesetzt werden kann, weil ein Verwaltungsmensch in Deutschland beschlossen hat, es für nicht mehr förderungswürdig zu empfinden.

Ein Professor, dessen Frau, Wissenschaftlerin wie er, keinen Job in seinem Einsatzland gefunden hat und nun wieder in Deutschland lebt, fürchtet um seine Ehe. Die junge Lehrerin, die voll Elan in einer Grundschule arbeitet, kommt nicht mit ihren Kollegen klar, die sie als Freiwild betrachten und ihr so penetrant nachstellen, dass sie um Versetzung gebeten hat. Ein Arzt, den ich sehr schätze, weil er hervorragende Arbeit leistet, gestand mir gerade in einer Mail, dass er an seine Grenze gestoßen sei. Er habe keinen Respekt mehr vor sich selbst, weil auch nach mehreren Jahren sein Hauptmotiv immer noch der Egoismus überwiege, hier ist er der Lebensretter, in Deutschland wäre er ein x-beliebiger Oberarzt, wenn überhaupt. Natürlich sind das nur subjektive Beispiele, und wahrscheinlich könnte ich genauso viele, wahrscheinlich sogar mehr positive Geschichten erzählen. Aber das Dilemma ist da, und in „Das Wetter in geschlossenen Räumen“ verkörpert Maria Furtwängler diesen Typ sehr eindringlich.

Maria Furtwängler bewegt die Missachtung der Frauen

Maria Furtwängler bewegt persönlich am meisten die Missachtung der Frauen, die Ungerechtigkeit, die Chancenlosigkeit, die Gewalt, die ihnen angetan wird, überall auf der Welt, nicht nur in Entwicklungsländern, nicht nur in islamischen Kulturen, nicht nur in sozialen benachteiligten Schichten, auch bei uns und auch in den sogenannten besseren Kreisen. Insofern habe sie an dem Film auch die Reduzierung der Figur Dorothea auf ein Sexobjekt in den Händen eines Machos und Ausbeuters interessiert. Einer nach außen hin so stark erscheinenden Frau, die klein gemacht wird und ihre Existenz zu verlieren droht.

Neulich bei einer internationalen G-7-Konferenz, zu der die Bundeskanzlerin 70 Frauen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Entwicklungszusammenarbeit eingeladen hatte, gehörte Maria Furtwängler zu den fünf Teilnehmerinnen aus Deutschland, deren Expertise gefragt war. In der Arbeitsgruppe Gesundheit diskutierte sie auch mit Ellen Johnson, der Friedensnobelpreisträgerin und Präsidentin von Liberia, die Direktorin der Weltgesundheitsorganisation WHO, Margaret Chan und Melinda Gates über die wichtigsten Gesundheitsthemen, Familienplanung, Selbstbestimmung von Frauen.

Maria Furtwängler sagte dabei, dass alle Entwicklungsmaßnahmen nicht wirksam sein können, wenn Frauen nicht endlich ohne körperliche und seelische Gewalt leben dürfen, angstfrei und gleichberechtigt. Sie tat dies so eindringlich, dass in die Schlussresolution der Konferenz das Thema Beendigung von Gewalt gegen Frauen als besonders wichtig aufgenommen wurde – obwohl vorher in der Agenda nicht ein einziges Mal von Gewalt gegen Frauen die Rede gewesen war.

Insofern ist „Das Wetter in geschlossenen Räumen“ nicht nur ein aktuell brisanter Film, sondern auch ein wichtiger Film für Maria Furtwängler persönlich. Egoismus, sagt sie, sei einfach kein guter Ratgeber, Mitleid auch nicht, aber es sei unsere Pflicht als Menschen, die wir selbst alle Möglichkeiten haben, gefälligst nicht aus den Augen zu verlieren, dass jeder in seinem persönlichen Umfeld etwas tun kann, etwas tun muss, um die Situation von Benachteiligten zu verbessern.

Beate Wedekind, 64, war Chefredakteurin von „Elle“ und „Bunte“ und arbeitet mit einem Kreis von Journalistinnen zum Thema Gewalt gegen Frauen. Sie verantwortet das Portal http://www.thenewafrica.inf und lebt in Berlin und Addis Abeba, Äthiopien.

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