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Chaddad verteilt Salat in Jerusalem.

© privat

Rafram Chaddad: Ein Grenzgänger

Rafram Chaddad ist: Israeli und Tunesier, Künstler und Koch, Freigeist, Genießer und Ex-Häftling. Nun pflanzt er in Leipzig Gerste an – und serviert Couscous.

Nur einmal gab es Probleme mit dem Gepäck. Rafram Chaddad hatte in Tunesien 20 Kilogramm Fisch gekauft und flog über Frankreich zu seiner Familie nach Israel. „Die französischen Zöllner durchleuchteten meinen Koffer – und schauten auf hunderte Fischskelette“, sagt er. „Ich war ihnen unheimlich. Aber sie haben mich gehen lassen.“

Wenn Chaddad unterwegs ist, und er ist oft unterwegs, hat er immer Essbares dabei, meist sind es Zutaten, auf die er auch beim Kochen im Ausland nicht verzichten möchte. Als der Künstler vor kurzem nach Deutschland aufbrach, packte er sein Lieblings-Olivenöl ein. Und guten Knoblauch. Und Kaffee aus Ost-Jerusalem. Und Zatar, eine Gewürzmischung. Und Zitronen, die er einen Monat zuvor eingeweckt hatte. Und palästinensische Tahina, eine Sesampaste, ganze zwei Kilo davon.

Chaddad ist mit seiner mobilen Vorratskammer gerade in Leipzig eingetroffen. Dort ist der 37-Jährige Stipendiat der „Halle 14“, dem Zentrum für zeitgenössische Kunst, das in einer früheren Baumwollspinnerei im Stadtteil Lindenau zu Hause ist – dort, wo sich auch das Atelier des Malers Neo Rauch befindet. Die Herbstausstellung des Zentrums trägt den Titel „The Politics and Pleasures of Food“ und ist noch bis zum 17. November zu sehen. Neben Chaddad, der für drei Monate auf dem Gelände lebt und ein Projekt verwirklicht, zeigen 15 weitere Künstler Arbeiten, die sich mit Ernährung beschäftigen.

Rafram Chaddad scheint der perfekte Mann für dieses Thema zu sein. Politik und Genuss spielen eine große Rolle in seinem Leben. Seine Biografie verrät den Freigeist, sein runder Bauch den passionierten Kulinariker. Andererseits kann Chaddad wenig anfangen mit der oft beschworenen Verbindung von Essen und Kunst. Für ihn sind es unterschiedliche Welten. „Essen sollte gut schmecken“, sagt er. „Kunst muss giftig sein.“ Küchenchefs, die kleine Gemälde auf Tellern schaffen? So ein Unsinn! Trotzdem taucht Nahrung in jüngster Zeit immer öfter auf in Chaddads Arbeit. Vergangenes Jahr hat er am Rande der Jerusalemer Altstadt Salatblätter verteilt, und in Leipzig pflanzt er derzeit Gerste an – von beiden Aktionen wird noch die Rede sein. „Was mich interessiert, sind Bräuche und Gewohnheiten. Essen ist ein Material für mich, weil es oft verknüpft ist mit Erinnerungen.“

Chaddad kommt an diesem Nachmittag aus seinem Atelier im ersten Stock der „Halle 14“ geschlurft. Er hat lockige, schwarze Haare, trägt ein T-Shirt. Im Café der Baumwollspinnerei bestellt er einen Teller Borschtsch – obwohl er osteuropäisches Essen nicht übermäßig mag. Und deutsche Küche? „Wurst und Kartoffeln, das geht höchstens drei Tage lang“, sagt er und grinst.

Er ist eben ein Mann des Mittelmeers. Geboren in Tunesien, als Kleinkind mit den jüdischen Eltern ausgewandert, aufgewachsen in Jerusalem, wo er später Kunst studierte, ausgebrochen aus der israelischen Gesellschaft und kulinarisch erweckt auf Reisen nach Italien. Heute teilt er seine Zeit hauptsächlich auf zwischen der tunesischen Insel Djerba, wo die Verwandtschaft wohnt, und Israels mediterraner Metropole Tel Aviv.

Chaddad irgendwo einzuordnen, ist schwer. Obwohl er jüdisch ist, habe er auch eine arabische Identität, sagt er. Politisch steht er links. Drei Mal weigerte er sich, Wehrdienst in Israel zu leisten – ungewöhnlich, denn Einwanderer aus dem arabischen Raum sind oft besonders patriotisch –, drei Mal musste er dafür ins Gefängnis. „Ich kann Israel immer nur einige Monate ertragen, die Atmosphäre ist zu aufgeheizt.“ Und doch liebt er das Land, war dort Chef von Slow Food.

Rafram Chaddad, der Grenzgänger. Als er vergangenen Sommer seinen Stand mit frischem Salat und Wasser vor dem Damaskustor im arabischen Teil Jerusalems aufbaute, waren die Leute irritiert. Es war ein Abend im muslimischen Fastenmonat Ramadan, Fleisch wurde verkauft, Rauch vom Grillen waberte durch die Luft, Menschenmassen schoben sich durch die Straßen. Wer ist dieser seltsame Israeli?, werden sich viele gefragt haben. Die Verwirrung wurde nicht kleiner, als Chaddad begann, in seiner Muttersprache Arabisch zu plaudern. „Die Leute haben sofort erkannt, dass ich aus dem Maghreb stamme.“

Den Brauch, als Erfrischung Salat und Wasser zu verteilen, hatte der Künstler bei einem Syrienaufenthalt kennengelernt. „Palästinensische Städte hatten früher eine starke Verbindung nach Syrien“, erzählt Chaddad, „aber wegen der politischen Situation ist die seit 50, 60 Jahren unterbrochen.“ Dass ausgerechnet ein Jude eine arabische Sitte aus der Region wiederbelebte, sorgte für Erstaunen, Chaddad war zwei Stunden lang eine Attraktion, und das Damaskustor wurde zum Umschlagplatz von Geschichten.

Im Essen spiegele sich so viel, sagt Chaddad. Die Israelis wollten lange kein Teil des Nahen Ostens sein. „Selbst kulinarisch ging der Blick nach London oder New York und vielleicht noch nach Frankreich oder Italien, erst in den 90ern wurde das Essen lokaler, wirklich mediterran.“ Die Restaurantszene werde nun auch immer besser.

Tunesien, die Heimat seiner Familie, hat sich Chaddad auch kochend erschlossen. Als er mit Mitte 20 das gute Essen für sich entdeckte, begann er, seiner irritierten tunesischen Tante („Du bist doch ein Mann!“) am Herd über die Schulter zu schauen. Tunesisch-jüdische Küche, das ist vor allem Fisch, auch Pasta isst man in Nordafrika, es gibt verschiedenste Saucen und Gewürze wie Safran, Ingwer, Zimt. Für das Kochbuch „Jerusalem“ (Dorling Kindersley) seines guten Freundes Yotam Ottolenghi, ein israelischer Starkoch, der in London lebt, steuerte der Künstler kürzlich tunesisch-jüdische Rezepte bei: gebratene Meerbrasse mit Harissa und Rosenblüten sowie Teigröllchen mit Pistazienfüllung.

In Tunesien lernte Chaddad auch, dass es traditionell zwei Arten von Couscous gibt. Hellen, der früher ein Symbol von Wohlstand war, und dunklen, für Tiere und arme Leute. Da der dunkle gesünder ist, haben sich die Vorzeichen im Zeitalter der Bioläden inzwischen umgekehrt, der weiße ist billiger geworden und hat an Prestige eingebüßt. Chaddad faszinierte die Geschichte, deshalb hat er in den Leipziger Hallen nun unter erschwerten Bedingungen („man braucht Lampen wie für Marihuana“) Gerste angepflanzt, aus der er am Ende dunklen Couscous zubereiten und diesen bei einer Performance am 28. November servieren will.

In Israel war Chaddad zwischenzeitlich ein Prominenter, dem die Medien auflauerten. Allerdings nicht wegen seiner Kunst, sondern wegen einer albtraumhaften Episode, aus der er jetzt ein Buch gemacht hat. 2010 flog er im Auftrag einer privaten Organisation nach Tripolis, um in Gaddafis Libyen Synagogen und Friedhöfe der jüdischen Minderheit zu fotografieren, die vor Jahrzehnten aus dem Land geflohen ist. Mit seinem tunesischen Pass war die Einreise kein Problem, seine israelische Staatsbürgerschaft verheimlichte Chaddad. Mit seiner Kamera aber sah er verdächtig aus, und so wurde er kurz vor seiner Rückreise verhaftet. Man verhörte und folterte ihn, er gab zu, Israeli zu sein, und wurde wegen Spionage in ein berüchtigtes Gefängnis geworfen.

Nach sechs Monaten führte man den gefesselten Chaddad nach draußen. „Ich war sicher, dass ich nun getötet werde.“ Stattdessen wartete ein Privatjet, an Bord gab es Wein. Der österreichisch-jüdische Milliardär Martin Schlaff hatte Chaddad, unter Mithilfe eines der Gaddafi-Söhne, freigekauft. Warum, das weiß der Israeli bis heute nicht so genau.

Auch in Libyen hatte sich Chaddad nach gutem Essen umgesehen, Restaurants und Läden fand er enttäuschend. Was es im Gefängnis gab, Kamelfleisch mit Couscous zum Beispiel, war nicht besser. Doch der Künstler hat gute Erinnerungen daran. Denn mit den Wärtern ein paar Worte übers Essen zu wechseln, war die einzige Möglichkeit, die Einsamkeit der Einzelhaft zu durchbrechen. Und so überstand Rafram Chaddad den libyschen Knast auch deshalb, weil er mit einem großen, brutalen Söldner aus dem Tschad plaudern konnte – über Rezepte.

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