zum Hauptinhalt
Bjarne Mädel

© Mike Wolff

Schauspieler Bjarne Mädel: „Ich hatte lange Sehnsucht nach Afrika“

Als Junge lebte Bjarne Mädel in Nigeria, später verkaufte er Putzmittel in Hollywood. Er mag gesunde Eitelkeit und das Tempelhofer Feld – aber bitte unbebaut.

Von Andreas Austilat

Herr Mädel, der „Spiegel“ nennt Sie den lustigsten Mann Deutschlands.

Das grenzt ja schon an Mobbing, wenn man so einen Stempel kriegt. Bei allem, was ich jetzt mache, denkt doch jeder, das muss superlustig werden. So eine Erwartungshaltung ist fatal. Ich habe zum Beispiel ein Hörbuch aufgenommen, da stand leider auch auf dem Cover: „von einem der lustigsten Schauspieler Deutschlands“.

Und, war das nicht lustig?

Es war unterhaltsam, das lustigste Hörbuch Deutschlands war es sicher nicht. Ich denke, als Konsument wäre ich nach dieser Ansage der Verpackung beim Hören enttäuscht. Mein Beruf ist ja auch nicht Comedian, ich bin gelernter Schauspieler. Gut, ich habe nichts gegen lustig. Ich versuche gern, eine komische Wirkung zu erzielen, aber eben nur, wenn das verlangt ist.

Jetzt kommen Sie als Berthold „Ernie“ Heisterkamp mit Stromberg in die Kinos. Es heißt, Sie hätten das ursprünglich abgelehnt, weil Sie nicht auf die Rolle des Bürotrottels festgelegt werden wollen.

Ich habe nicht den Ernie abgelehnt, sondern in einem anderen Kinofilm eine Rolle, die im Grunde eine Kopie von Ernie war. Warum sollte ich mich so wiederholen? Eine Serienfigur zu spielen, ist schon gefährlich genug. Nehmen Sie mal den drogenaffinen Jesse Pinkman aus „Breaking Bad“, angenommen, der würde mal einen Anwalt spielen, dann denkt doch jeder, gleich setzt der sich einen Schuss. Und ich wollte eben nicht, dass die Leute bei mir denken, guck mal, Ernie trägt jetzt eine Uniform – sollte ich zum Beispiel jemals einen Polizisten im Deutschen Fernsehen spielen.

Sie spielen Ernie mit sichtlicher Liebe zum Detail. Das Trottelige macht Ihnen Spaß.

Du kannst da Szenen anbieten, die gehen in Richtung Slapstick. Das mit großem Ernst zu verkaufen, macht Spaß. Auch das Spiel mit Requisiten – man sitzt im Konferenzraum, alle sind mit großem Ernst dabei, Kaffee wird eingeschenkt, und Ernie fällt der Deckel in die Tasse, das gibt dann ein Riesenchaos. Ich mag diesen Kampf mit dem Objekt. Ich mag aber auch die Komik der kleinen Geste.

Seit Ihrer Rolle als Dietmar Schäffer in „Mord mit Aussicht“ nennt Sie die „Brigitte“ den Tollpatsch der Nation. Wollen Sie nicht mal jemanden wie Goebbels spielen?

Warum nicht? Vielleicht sagen die Leute dann nicht mehr, da steckt doch bestimmt viel von dir in der Rolle… Hoffe ich jedenfalls.

Hat Ihr Vater Sie eigentlich als Kind mal beiseite genommen und gesagt, Junge, es kann sein, dass dir mit dem Nachnamen einer dumm kommt?

Ich bin gewaltfrei erzogen worden, trotzdem hat mein Vater mir beigebracht, dass man sich wehren darf. Du kannst rangeln, raufen, schubsen. Es gibt nur ein Tabu: Du darfst nie ins Gesicht hauen. Umso schlimmer war es, als ich verprügelt wurde.

Wann ist das passiert?

Ich war 13. Zwei ältere Jungs haben mich auf einer Brücke in Hamburg-Bergedorf festgehalten und auf die Brüstung gedrückt, der Dritte schlug mir ins Gesicht. Sie wollten meinen Pullover. Ich war total geschockt, weil ich doch gelernt hatte, das darf man gar nicht. Ich dachte, wenn der mir ins Gesicht haut, bringt der mich auch um.

Niemand hat Ihnen geholfen?

Da waren schon Passanten, die haben sich nur nicht um uns geschert. Bis so ein Zwei-Meter-Mann kam und fragte, was denn hier los sei? Das war der Moment, in dem ich mich losreißen konnte. Ich bin in einen Bus gesprungen, der gerade losfuhr.

Wegen Ihres Namens wurden Sie nie gehänselt?

Wenn ich „Mädel“ gerufen wurde, habe ich das nicht als schlimm empfunden. Ich hatte als Kind lange Haare, es kam vor, dass ich in der Bäckerei gefragt wurde, „was will denn die Kleine?“ Das hat mich nie aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich war jedenfalls nicht der Ernie-Typ, falls die Frage daraufhin zielt, ich gehörte eher zu den Beliebten, über deren Witze gelacht wurde.

Sie waren der Klassenclown.

Sie meinen, der kleine Blasse, der nur durch seine Witze überleben kann? Nein, ich war beliebt.

Und wenn Ihr Vater nach Hause kam, hat er aus dem Büroalltag Geschichten erzählt, die Sie heute vor Augen haben, wenn Sie Ernie spielen?

Mein Vater ist ein ganz anderer Typ. Er hat als Ingenieur auch nicht ausschließlich im Büro gearbeitet, sondern war eher auf Baustellen unterwegs. Zunächst in Hamburg und Umgebung und dann auch im Ausland, zum Beispiel in Afrika.

Hat er Ihnen gefehlt?

Ich bin hinter ihm her, habe ihn dort besucht und wollte bleiben. Fremdes Land, Hitze, Palmen, Schwimmbad, mit 14 fand ich das aufregend.

Was war das für ein Ort, in dem Sie da landeten?

Das war kein wirklicher „Ort“. Das war eine Riesenbaustelle für ein Stahlwerk und drum herum die Camps für die Angestellten. Eines für 200 Deutsche, eines für 600 Franzosen, eines für 3000 Russen und dann noch die Wohnsiedlung der 30 000 Afrikaner, die auf der Baustelle gearbeitet haben. Ich dachte, ich würde meinen Vater dort besser kennenlernen, der war ja immer sehr viel weg. Ja, und in Afrika haben wir uns regelrecht angefreundet.

Sie sind dort zur Schule gegangen?

Es gab eine deutsche Schule, immer zwei Jahrgangsstufen zusammen in einer Klasse. Wir waren in der „Neuntenzehnten“ zwölf Schüler.

Würden Sie sagen, das hat Ihnen etwas fürs Leben mitgegeben?

Ich habe gelernt, dass es Menschen gibt, deren Problem nicht nur darin besteht, einen Markenpulli verteidigen zu müssen. Ich habe dort mit 14 zum ersten Mal in der Öffentlichkeit einen Toten gesehen. Der lag in Lagos einfach so auf der Straße, weil sich keiner um ihn gekümmert hat. Die Stadt ist für 700 000 Menschen gebaut, nur leben da zwölf Millionen. Ich habe verkrüppelte Menschen gesehen, die versuchen, tote Ratten zu verkaufen, und andere, die stehlen, um zu überleben. Dann werden sie erwischt, verprügelt, in Autoreifen gesteckt und wenn sie Pech haben, angezündet. Das sehen Sie in Hamburg-Bergedorf eher nicht.

Als Sie aus Nigeria zurückkamen, waren Sie da erleichtert?

Ich war erst einmal sehr alleine. Ich hatte in Nigeria meine erste Freundin, die ich zurücklassen musste. Dadurch, dass wir in dem Camp so eng aufeinander hockten, waren wir als Gemeinschaft auch sehr zusammengeschweißt, das habe ich vermisst.

Sind Sie jemals zurück nach Afrika?

Ich hatte lange so eine Sehnsucht. Wir haben mit der Clique von damals überlegt, genau dort noch einmal hinzufahren. Ich glaube, das hätte all das Schöne, all unsere Erinnerungen kaputtgemacht. Aber meinen 21. Geburtstag, den habe ich in Afrika gefeiert, als wir einen Wüstentrip machten.

Wüstentrip?

Ja, mit meinem Cousin und ein paar Freunden von ihm haben wir in Hamburg vier alte Peugeots gekauft. Mit denen sind wir von Genua rüber nach Afrika, durch die Wüste in Algerien und dann weiter durch Niger, Benin, Togo, Ghana, um die Dinger zu verkaufen. Ich hätte diese Reise wohl nie unternommen, wenn ich nicht diesen Traum im Kopf gehabt hätte, noch mal auf diesen Kontinent zurückzukommen. Außerdem redete mir meine damalige amerikanische Freundin zu, mach es, sonst denkst du später immer, du hast was verpasst.

Wie kamen Sie an eine amerikanische Freundin?

Ich habe nach der Schule zwei Jahre in Kalifornien gelebt und studiert.

Sie wollten nach Hollywood.

Nee, ich wollte Schriftsteller werden. Ich dachte, ich lese erst einmal alle großen Russen, Dostojewski und so, dann alle großen Deutschen und schließlich die Amis. Ich wollte Geschichten sammeln und habe das dann auch in verschiedenen Jobs getan. So war ich unter anderem auch für ein paar Wochen Putzmittelvertreter.

Sie haben sich in den USA also schon mal auf Ihre spätere Paraderolle als „Schotty, der Tatortreiniger“ vorbereitet?

Da habe ich gelernt, dass es ein bisschen Frechheit braucht und wie man sich ganz schnell auf andere Menschen einstellt. Sie haben wenig Zeit, wenn Sie an der Haustür jemanden überzeugen wollen.

Ihr bester Trick?

Ich nehme meine Dose „Magic“ in die Hand und poliere mit einem Lappen die Stelle rund um die Türklinke. Da ist es immer am dreckigsten und sofort haben Sie eine kleine helle Stelle, die jedem auffällt. Und viele Ladenbesitzer wollten den Rest der Tür der sauberen Stelle dann anpassen... Wenn gar nichts ging, hab’ ich gesagt: Ich bin aus Deutschland, ich muss mich hier irgendwie durchschlagen, ist blöd, dass ich das jetzt machen muss, aber das Zeug ist wirklich gut.

Klappt bestimmt nicht immer.

Mein schlimmstes Erlebnis hatte ich bei einem Antiquitätenhändler in Nord-Hollywood. Der telefonierte gerade, als ich reinkam, und hat mir ohne richtig zuzuhören nebenbei eine Gallone abkaufen wollen, für seine Mutter. Und als er fertig war, sagte er, zeig doch mal, was das Zeug so kann. Da war so ein kleiner Teetisch mit einem Bild drauf: ein Indianer auf dem Pferd im Kampf mit irgendetwas. Jedenfalls war da so ein Schmierfilm auf dem Tisch und er sagt, mach den mal weg. Wie ich mit meinem Magic-Lappen so poliere, merke ich, der Fuß von dem Indianer verschwindet. Der Händler brüllte rum und schmiss mich raus. War dann nix mit der Gallone. Die Jobs, die ich da ausgeübt habe, waren auf Dauer äußerst unbefriedigend.

Die Krankenkassen geben in Deutschland im Jahr drei Milliarden Euro für die Behandlung arbeitsbedingter psychischer Krankheiten aus. Was den Betroffenen vielleicht helfen würde, wäre mehr Empathie, Wertschätzung, Zuspruch – alles Dinge, auf die Leute wie das Mobbingopfer Ernie Heisterkamp, den Sie jetzt im Stromberg-Film spielen, nicht hoffen dürfen. Haben Sie es da als Schauspieler besser?

Natürlich. Ich bekomme schon viel Lob. Was die Arbeit des Schauspielers manchmal schwer macht, ist die ständige öffentliche Bewertung. Wenn man weiß, ich muss raus auf die Bühne und dort gucken 1000 Leute zu, und die werden dich fertig machen, wenn du nicht gut bist, das kann auch Stress sein.

Ist Theater schlimmer als Film oder Fernsehen?

Finde ich schon. Wenn ich als Schäffer bei „Mord mit Aussicht“ sechs Millionen Zuschauer habe, merke ich das ja nicht beim Spielen, ich sehe nur die paar Leute, die am Set sind. Im Theater ist der Druck viel konkreter, da kommt die Kritik schon unmittelbarer – die Glücksmomente allerdings auch.

Haben Sie im Theater schon mal einen richtigen Tiefpunkt durchmachen müssen?

Ein-, zweimal habe ich erlebt, dass ich auf der Bühne stehe und mich eigentlich schäme, weil ich nicht gut finde, was wir da machen. Das ist ein schlimmer Moment. Es kann ja sein, dass die Inszenierung nicht so gelungen ist. Das weiß man dann als Schauspieler innerlich schon, wenn man zur Premiere rausgeht, was es nicht besser macht.

Ist Ihnen schon mal passiert, dass keiner kommt?

In Rostock, da hatte ich mein erstes Engagement, großes Haus, 600 Plätze, und dann sitzen nur 18 drin. Ich glaube, ab 20 mussten wir spielen. Bei 18 Zuschauern wussten wir das nicht so genau, immerhin, 18, also haben wir angefangen. Zur Pause sind fünf gegangen, da haben wir uns schon gefragt, spielen wir noch zu Ende oder gehen wir mit den 13 ins Kino. Das ist sehr zermürbend, als Künstler nicht gewollt zu sein.

Angesichts Ihres gegenwärtigen Erfolges leiden Sie wahrscheinlich seltener unter Migräne?

Das stimmt. Ich arbeite im Moment ohne existenziellen Druck und erfahre wirklich sehr viel Wertschätzung. Das ist ein wahnsinnig gutes Gefühl. Es zu genießen, muss man sich aber auch erst einmal erarbeiten. Ich saß mal in einer Filmpremiere neben Jürgen Vogel. Da kam eine sehr lustige Szene mit ihm, er guckt zu mir rüber, klatscht in die Hände und sagt: Geil, oder? Der konnte sich herrlich an sich selbst erfreuen! Oder wenn ich lese, Lars Eidinger sagt, dass niemand so toll hinfallen kann wie er, dann denke ich erst einmal, wie unangenehm eitel. Inzwischen glaube ich, so eine Selbstliebe kann hin und wieder auch ganz gesund sein. Ich bin gerade dabei, sie etwas zu entdecken.

Sie sind vor ein paar Jahren Ihrer Freundin zuliebe von Hamburg nach Berlin gezogen. Haben Sie den Schritt je bereut?

Jedes Mal, wenn ich in Hamburg bin.

Was vermissen Sie denn hier?

Den norddeutschen Humor. Ein Freund hat mir mal eine Szene aus dem Berliner Schillertheater erzählt, er war damals dort Regieassistent, die Szene ist also verbürgt. In der ersten Reihe saß ein Mann und nölte die ganze Zeit rum: „Och, dit jeht doch nich, nee, jetzt kommt der ooch noch, also, wat is’n dit hier?“ Bis einer von hinten aufstand und brüllte: „Sie da vorne, dass dit scheiße ist, dit sehn wa selber!“

Und in Hamburg?

Ingrid Andree spielt „Die Stühle“ von Ionesco. Da gibt es eine Stelle, wo immer mehr Stühle auf die Bühne gestellt werden, und sie sagt: Stühle, Stühle, ich brauche mehr Stühle. Da steht ein älterer Herr in der dritten Reihe auf und sagt sehr höflich: „Frau Andree, hier werden gleich zwei frei.“

Im Ergebnis ist beides ziemlich hart.

Ja, beides ist vernichtend. Aber ich mag halt das Hamburger Beispiel humoristisch lieber als die Berliner Schnauze. Wenn ich nach Hamburg komme, dann kommt es mir so vor, als ob die Stadt sagt: Na mien Jung’, da biste ja wieder. Berlin sagt, na Kleener, wat willst’n du hier?

Gibt es denn irgendetwas, was Sie vermissen würden, wenn Sie wieder nach Hamburg gingen?

Vielleicht eine gewisse Schludrigkeit. Hamburg ist snobistischer. Gut, hier gibt es auch den durchsanierten Prenzlauer Berg, nur, da bin ich nie. Und Kreuzberg wird auch immer schicker, aber es ist nicht so, dass man hier die richtigen Klamotten tragen muss. In Hamburg gucken sie ja schon in der Schanze, welchen Kapuzenpulli man anhat.

Und wenn Sie Besuch aus Hamburg kriegen, was zeigen Sie denen?

Das Tempelhofer Feld. Wann immer ich mich bewegen muss, gehe ich dahin. Diese riesige Fläche in der Mitte einer Großstadt finde ich genial. Ich wünsche mir unbedingt, dass das jetzt nicht mit blöden Lofts zugekachelt wird, sondern so bleibt, wie es ist: ein Freiraum für alle.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false