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Weniger Pestizide: Der Absatz ist im vergangenen Jahr gesunken.

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Absatz von Pestiziden sinkt: Weniger Gift auf Feldern und in den Gärten

Pflanzenschutzmittel werden weniger gekauft. Agrarministerin Klöckner sieht einen Bewusstseinswandel, Umweltschützer sagen: Das liegt nur am heißen Sommer.

In einer fernen Zukunft könnten Pflanzenschutzmittel unnötig werden, weil Insekten die Sache unter sich ausmachen oder sich die Pflanzen selbst gegen Schädlinge wehren können. Das wünscht sich zumindest Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU). Wie bei Gladiatorenkämpfen im alten Rom könnten etwa Raubmilben über Spinnmilben herfallen, wenn diese am Hopfen saugen. Viren könnten Maikäferengerlingen den Garaus machen, resistente Weintrauben könnten Pilze abwehren. 37,5 Millionen Euro steckt Klöckner in den nächsten Jahren in solche Forschungsvorhaben. Sie alle haben ein gemeinsames Ziel: weniger chemische Pestizide auf Feldern, Wiesen und im Wald.

Die Verkäufe sind auf dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren

Dabei kann sich die Ministerin schon jetzt über sinkende Verkaufszahlen für Unkrautvernichtungs- und Insektenbekämpfungsmittel freuen. Im vergangenen Jahr ist der Verkauf von Pflanzenschutzmitteln um fast sieben Prozent auf 27.000 Tonnen zurückgegangen. „Das ist der niedrigste Wert seit 20 Jahren“, sagte Klöckner am Mittwoch in Berlin. „Der Rückgang ist sehr erfreulich“, meint auch Friedel Cramer. Er ist Präsident des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), das für die Zulassung von Pestiziden zuständig ist.

Forscht nach Alternativen: Agrarministerin Julia Klöckner (CDU).
Forscht nach Alternativen: Agrarministerin Julia Klöckner (CDU).

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Besonders deutlich ist der Rückgang beim wichtigsten Unkrautvernichtungsmittel, dem Glyphosat. Der Absatz ist 2019 um 11,3 Prozent auf 3059 Tonnen gesunken, verglichen mit 2008 ist das eine Halbierung. Glyphosat ist eines der wirksamsten, aber auch umstrittensten Unkrautvernichtungsmittel. In den USA steht Bayer, dessen Tochter Monsanto Glyphosat produziert, wegen möglicher Krebsgefahren vor Gericht.

Verzichten Bauern bewusst auf Pestizide?

Cramer lobt Landwirte und Hobbygärtner für den „verantwortungsbewussten“ Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Auch Klöckner sieht einen „Bewusstseinswandel“ bei den Bauern. Hinzu kommen neue Züchtungen, die Pflanzen widerstandsfähiger werden ließen – und das Wetter, sagt die Ministerin. In den heißen trockenen Sommern wächst einfach weniger Unkraut.

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Auch Unkraut verdorrt: Umweltschützer führen den Rückgang der Pflanzenschutzmittel auf die heißen, trockenen Sommer zurück.
Auch Unkraut verdorrt: Umweltschützer führen den Rückgang der Pflanzenschutzmittel auf die heißen, trockenen Sommer zurück.

© picture alliance/dpa

Glaubt man Umweltschützern, sind die Hitzesommer der vergangenen Jahre allerdings der einzige Grund für den geringeren Pestizideinsatz. „Die extreme Trockenheit im vergangenen Jahr hat Ministerin Klöckner in die Hände gespielt“, betont Greenpeace-Agrarexpertin Christiane Huxdorff. „Dieser Effekt wird aber verpuffen, sobald wir wieder ein regenreicheres Jahr haben, dann werden auch wieder mehr Schädlinge und Ackerunkräuter auftreten.“ Der Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, kritisiert, dass sich der Absatz von Pflanzenschutzmitteln auch im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedstaaten weiterhin „auf sehr hohem Niveau“, befinde. Die aktuellen Zahlen könnten deshalb „nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Landwirtschaft sich noch kaum in Richtung ökologischer Nachhaltigkeit entwickelt hat“.

Die EU-Kommission hatte kürzlich ihr Konzept vorgestellt, wie sie die Landwirtschaft ökologischer und nachhaltiger gestalten will. Danach soll der Einsatz von Pestiziden bis zum Jahr 2030 um die Hälfte gesenkt werden.

Umweltschützer fordern Pestizidstrategie

Auch angesichts dieser Vorgaben fordert der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) eine „ambitionierte Pestizidreduktionsstrategie“. „Die Bundesregierung ist in der Pflicht, die Ackergifte schrittweise, aber deutlich zu reduzieren und darauf ihre Agrarpolitik auszurichten“, sagt BUND-Chef Olaf Brandt.

In der vergangenen Woche hatte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) ihren Entwurf für ein Insektenschutzprogramm vorgelegt, Umweltschützer sehen Klöckner in der Pflicht, nun ihrerseits wirksame Vorschläge zum Schutz der Insekten zu liefern.

Insektenschutz: Das wollen alle, aber wie soll das genau gehen?
Insektenschutz: Das wollen alle, aber wie soll das genau gehen?

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Teil des Insektenschutzes, den das Umweltministerium durchsetzen will, soll das Verbot von Pestiziden in Biotopen, Naturschutzgebieten und Nationalparks sein. Zudem sollen mindestens zehn Meter Abstand zwischen Flächen, auf denen Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden und größeren Gewässern eingehalten werden müssen.

Zwischen Bundesumwelt- und -agrarministerium sind jedoch zahlreiche Punkte noch ungeklärt, dazu zählt etwa die Frage, ob auch Streuobstwiesen als Biotope geschützt werden und wie man Biotope überhaupt definiert.

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Wie Klöckner den Einsatz von Glyphosat reduzieren will

Klöckner hatte bereits kurz nach ihrem Amtsantritt im März 2018 eine Strategie vorgelegt, wie sie den Einsatz von Glyphosat reduzieren will. Auf EU-Ebene ist das Mittel bis Ende 2022 zugelassen, ein totales Verbot wäre auf nationaler Ebene bis dahin nicht zulässig, erlaubt wären aber Reduzierungen.

Die Ministerin will Privatleuten die Anwendung ganz verbieten, auch in Parks soll das Unkrautvernichtungsmittel nicht mehr eingesetzt werden dürfen, in der Landwirtschaft soll der Einsatz beschränkt werden. Doch wann dieser Plan zum Gesetz wird, ist unklar. Klöckner sieht das Bundesumweltministerium in der Verantwortung. „Ich kann sofort starten“, sagt sie.

Glyphosathaltiger Unkrautvernichter der Bayer-Tochter Monsanto: Alle Prozesse in den USA hat Bayer bisher verloren.
Glyphosathaltiger Unkrautvernichter der Bayer-Tochter Monsanto: Alle Prozesse in den USA hat Bayer bisher verloren.

© dpa

Glyphosat-Produzent Bayer kämpft unterdessen in den USA weiter darum, das Thema beenden zu können. Rund 125.000 Fälle gibt es inzwischen, davon sind 56.200 als Klagen bei Gericht anhängig. Mit fast elf Milliarden Dollar wollte der deutsche Konzern einen Vergleich schließen und alle bisherigen und künftigen Klagen aus dem Weg räumen. Doch der zuständige US-Bezirksrichter Vince Chhabria spielt nicht mit und hat sein Veto gegen die Regeln eingelegt, mit denen künftige Fälle gelöst werden sollen. Nun wird über eine neue Regelung verhandelt.

Alle Prozesse hat Bayer bislang verloren

Bisher hat Bayer alle Prozesse in den USA verloren. Die Geschworenenjurys befanden übereinstimmend, dass Glyphosat Krebs erregen kann – obwohl alle Zulassungsbehörden diese Gefahr verneinen. Auch die Hoffnung, in der Berufungsinstanz das Blatt wenden zu können, hat sich für Bayer nicht erfüllt. Zwar reduzierte das Gericht im Fall des krebskranken Hausmeisters Dewayne Johnson die Schadensersatzsumme um fast drei Viertel, kam aber zugleich zu dem Schluss, dass Johnson „reichlich“ Belege dafür geliefert habe, dass sein Krebs durch Glyphosat ausgelöst worden sei.

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