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An besseren Arbeitsbedingungen etwa in Bangladesh haben die Textilhändler offenbar nur vordergründig Interesse.

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Exklusiv

Rückzug aus Textilbündnis: "Arbeitsbedingungen haben sich nicht verbessert"

"Kampagne für Saubere Kleidung" beklagt Haltung der Unternehmen und nennt beispielhaft Aldi Nord und H&M: Stehlen sich aus der Verantwortung

Schlechte Nachricht für das Bündnis für fair gehandelte Textilien: Die "Kampagne für Saubere Kleidung" steigt nach sieben Jahren frustriert aus. Das Textilbündnis war im Herbst  2014 als Reaktion auf tödliche Unfälle in Textilfabriken in Bangladesch und Pakistan von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) gegründet worden. Nach und nach kamen immer mehr Marktteilnehmer sowie zivilgesellschaftliche Organisationen dazu. Derzeit sind es 70 Unternehmen, 15 Verbände sowie 20 Nichtregierungsorganisationen, die zumindest vordergründig anständige Arbeitsbedingungen in der Textilproduktion anstreben: Keine Kinderarbeit, faire Löhne, Arbeits- und Umweltschutz.

Die "Kampagne für Saubere Kleidung Deutschland", eines der ersten Mitglieder der Initiative, zieht sich nun enttäuscht zurück. „Das Bündnis kann keine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den globalen Bekleidungslieferketten nachweisen“, heißt es in einer Mitteilung, die dem Tagesspiegel vorliegt. Die Kampagne wolle deshalb das Bündnis nicht länger „durch ihre Mitgliedschaft legitimieren“.

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"Firmen zahlen schlechte Löhne"

Besonders beim Kernthema der Kampagne, den viel zu niedrigen Löhnen, verweigere sich der Großteil der Mitgliedsunternehmen jeglichem Engagement. Die "Kampagne für Saubere Kleidung" fordert von den Marken- und Einzelhandelsunternehmen andere Einkaufspraktiken: Sie sollten ihren Lieferanten höhere Preise zahlen, um existenzsichernde Löhne für die Beschäftigten in ihren globalen Lieferketten sicherzustellen. Ein großer Teil der Textilhändler hat sich dem Bündnis angeschlossen, darunter C&A und Adidas, Seidensticker und Hugo Boss, die Otto Group, kik und Primark. Doch die Mitgliedschaft zeitigt nach Einschätzung der Kampagne keine Folgen.

Kein Geld in der Pandemie

Beispielsweise habe eine Wirkungsmessung zum Einkaufsverhalten der Textilketten keine aussagekräftigen Ergebnisse geliefert, da sich nicht genügend Mitgliedsunternehmen beteiligt hätten. „Zudem belegen Recherchen der internationalen Clean Clothes Campaign, dass in der COVID-19-Pandemie Arbeiter*innen, die für Mitgliedsunternehmen, wie beispielsweise Adidas, produzieren, Lohnzahlungen vorenthalten wurden und sie ausstehende Abfindungen nicht erhielten“, teilte die "Kampagne für Saubere Kleidung" mit.

Kritik an Aldi Nord und H&M

An einer Initiative zu den Löhnen hätten sich nur 13 von 70 Mitgliedsunternehmen beteiligt. „Aldi Nord verließ die Initiative kurz nach dem Start, als sich erste Anforderungen für das Unternehmen ergaben“, teilte die Kampagne mit. „Löhne, von denen Arbeitende sich und ihre Familien ernähren können, sind ein Menschenrecht, das weltweit gilt. Doch zu viele Mitgliedsunternehmen nutzen jede erdenkliche Ausrede, um sich aus der Verantwortung zu stehlen“, kritisierte Waltraud Waidelich, Vorstandsmitglied der "Kampagne für Saubere Kleidung".

Kein Vertrauen in die Unternehmen 

Zudem hätte Unternehmensverbände zunehmend darauf gedrängt, „die Anforderungen für eine Mitgliedschaft weiter zu verwässern“. Beispielsweise sollten für alle Mitgliedsunternehmen regelmäßig stattfindenden Überprüfungsprozesse nur noch freiwillig sein. „Seit einem Jahr verschleppen mehrere große Unternehmen im Textilbündnis, wie etwa H&M, diesen Prozess und entziehen sich damit selbst ihrer einzigen Verpflichtung“, kritisierte Isabell Ullrich, Koordinatorin der "Kampagne für Saubere Kleidung". „Uns fehlt das Vertrauen in ein Bündnis, bei dem die Unternehmenslobby kontinuierlich bremst, während sich die Lebenssituation der Menschen in den Lieferketten gerade in der Corona-Pandemie nochmal dramatisch verschlechtert hat.“ Die Kampagne für Saubere Kleidung werde sich nun eigenständig auf verbindliche unternehmerische Sorgfaltspflichten (Lieferkettengesetze), existenzsichernden Löhnen, soziale Absicherung und Arbeitsrechte der Arbeiterinnen und Arbeiter konzentrieren.

Handelsverband und Industrie wehren sich

Der Einzelhandelsverband HDE sagte auf Anfrage, man bedauere den Austritt "gerade jetzt, wo wir gemeinsam an der Zukunftsfähigkeit des Bündnisses arbeiten". Unterschiedliche Positionen seien "Teil der DNA des Textilbündnisses", meinte HDE-Chef Stefan Genth. "Wo einzelne Akteure an Grenzen stoßen, können die Mitglieder gemeinsam bessere Rahmenbedingungen für Mensch und Umwelt in den Produktionsländern erreichen." Deshalb stehe der HDE nach wie vor zum Textilbündnis.

Beim Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie hieß es, offensichtlich hätten die Nichtregierungsorganisationen Signale aus dem Entwicklungsministerium, dass das Textilbündnis nicht fortgesetzt werden soll "und verlassen jetzt öffentlichkeitswirksam das Bündnis mit Schuldzuweisungen an die Wirtschaft". Die Achtung der Menschenrechte und die Einhaltung fairer Produktionsbedingungen seien für die Wirtschaft wichtige Anliegen. "Dass wir uns mit dieser Zielsetzung in einen längerfristigen Prozess begeben würden, um die weltweiten Rahmenbedingungen Schritt für Schritt zu verbessern, war allen klar", teilte der Verband der Textilindustrie mit. Der Austritt der Kampagne sei "sehr schade, weil man gemeinsam auf einem zwar mühsamen, aber für die textile Kette wichtigen Weg war".

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