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Die VW-Tochter Porsche, im Bild die Fertigung in Leipzig, kommt relative glimpflich durch die Coronazeit.

© dpa

Bilanz und Ausblick der Autoindustrie: Am Anfang des Tunnels

Es gibt kaum Lichtblicke im Coronajahr 2020, doch in Asien verspricht der Markt große Dynamik. Die Pkw-Dichte ist viel geringer als im Westen.

Von einem „Stresstest“ für die globale Automobilwirtschaft ist die Rede, wenn in diesen Tagen Jahresbilanz gezogen wird. Der Lockdown im Frühjahr fror die Branche für Wochen ein. Aufgeholt werden konnte der massive Einbruch im Sommer nicht. Und seit September geht es wieder bergab. Insgesamt schrumpft der deutsche Markt im laufenden Jahr um mehr als ein Fünftel auf 2,8 Millionen, weltweit geht es um 16 Prozent auf etwa 67 Millionen Neufahrzeuge runter. Mit der Pandemie wird sich die Autowelt verändern, glaubt Marktexperte Ferdinand Dudenhöffer: „Die Post-Pandemie-Ära ist die Ära Asiens.“ Diese Weltregion mit China im Mittelpunkt komme 2022 auf einen Anteil am weltweiten Automarkt von 44 Prozent. Tendenz steigend.

2021 bleibt der deutsche Markt schwach

„2020 wird in Deutschland und Europa als das schwächste Absatzjahr in dieses Jahrhundert eingehen“, blickt Christoph Stürmer vom Beratungsunternehmen PwC weit voraus. In seiner Prognose ist er skeptisch: Der deutsche Markt werde 2021 nur um fünf Prozent auf knapp unter drei Millionen wachsen. Obgleich die Autos hierzulande im Schnitt zehn Jahre alt sind und sich der Trend zum E-Auto beschleunigt. „Man kann davon ausgehen, dass es in der zweiten Jahreshälfte zu einem stärkeren Auswechselprozess kommt“, schreibt Dudenhöffer, sofern die Wirtschaft um mindestens drei Prozent wachse. Der deutsche Automarkt liegt im langfristigen Durchschnitt bei etwa 3,35 Millionen Verkäufen/Jahr. Dieses Niveau wird 2021 nicht erreicht.

Ganz anders ist die Dynamik in China. Die schnelle Erholung des größten Automarktes ließ bereits im Spätsommer bei deutschen Konzernen die Hoffnung aufkommen, dass 2020 doch nicht so schlimm wird. Volkswagen, BMW und Daimler konnten ihre Marktanteile in der Volksrepublik steigern – auf 20 beziehungsweise je vier Prozent. „Klarer Wachstums-Champion“ ist für Dudenhöffer auch in den kommenden Jahren China. Das Land werde 2022 sein Markt- Niveau des Jahres 2018 wieder erreichen. „Das war vor den Zollkriegen der Höchstwert der bisher in China verkauften Neuwagen“, schreibt Dudenhöffer. Auch nach 2022 gehe es aufwärts, weil die Autodichte in China vergleichsweise gering ist. In den USA sei der Markt mit mehr als 800 Pkw pro 1000 Einwohner gesättigt. Anders als in China oder Indien, wo auf 1000 Einwohner knapp 110 Pkw beziehungsweise 28 Pkw kommen. Je größer das Wachstum in diesen Ländern, desto stärker der Autoabsatz.

Elektromobilität staatlich forciert

Mit China ist ein weiterer Lichtblick in 2020 verbunden: der Durchbruch der Elektromobilität. In keinem anderen Land sind so viele batteriebetriebene Fahrzeuge unterwegs. Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management, spricht aber auch mit Blick auf Deutschland von einem „Wendepunkt“, ermöglicht von hohen Fördergeldern. Bis Ende 2025 soll die Kaufprämie von bis zu 10 000 Euro beim Kauf eines E-Autos gezahlt werden. Bratzel rechnet 2020 mit rund 350<ET>000 Neuzulassungen von Elektrofahrzeugen und einer Vervierfachung des Marktanteils auf zwölf Prozent.

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Der Boom werde auch 2021 anhalten, ist sich Peter Fuß, Branchenexperte beim Beratungsunternehmen EY sicher. „Gerade für Dienstwagenfahrer sind Plug-in- Hybride und Elektroautos dank der günstigeren 0,5-Prozent-, beziehungsweise 0,25-Prozent-Regelung bei der Lohnversteuerung des geldwerten Vorteils hochinteressant“, sagt Fuß. 60 Prozent aller Neuwagenverkäufe entfallen hierzulande auf den gewerblichen Bereich. Die Elektrostrategie der Hersteller ist zum Erfolg verdammt, denn anders erreichen sie die politischen Klimaziele nicht, die 2021 noch ambitionierter werden. Und gerade erst hat die EU die Vorgaben bis 2030 verschärft. Hinzu kommen Milliardeninvestitionen in Vernetzung, Digitalisierung und Automatisierung. 2021 wollen die Hersteller beweisen, dass sie die Transformation gestalten und nicht Getriebene der Tech-Konzerne sind. Die Branchenexperten von McKinsey formulieren es so: „Die Mobilität wird sich auf spannende Weise weiterentwickeln.“

Kaum Veränderung in den USA

Konkret sagen die Berater vier zentrale Entwicklungen voraus: Einen größeren Fokus auf Nachhaltigkeit, anhaltende technologische Disruptionen, eine Regulierung, die die „Mobilitätsrevolution“ vorantreibt und eine langfristige Verschiebung des Mobilitätsverhaltens. So glaubt McKinsey etwa, dass in europäischen Großstädten die Nutzung privater Pkw „drastisch zurückgehen“ wird, während es in den USA mangels regulativer Anreize kaum Veränderungen gebe. In China wiederum werde die Bedeutung des öffentlichen Nahverkehrs und der Bahn zunehmen.

Neue Hilfen für die deutsche Schlüsselbranche

Der coronabedingte Markteinbruch, Sparprogramme und gleichzeitig hoher Transformations- und Investitionsdruck – die Autobauer und ihre Zulieferer haben ein schwieriges Jahr vor sich. Immerhin federn staatliche Hilfen die Coronakrise ab. Ab Januar soll zudem ein neues Programm den Übergang von der Verbrennertechnik zu alternativen Antrieben sowie die Nutzung von mehr Daten im Auto beschleunigen. Dafür fließen bis 2024 zwei Milliarden Euro. Ein Zukunftsfonds, in den der Bund eine weitere Milliarde Euro einzahlt, ist in Vorbereitung. Dieser soll den Wandel in Regionen mit besonders vielen Firmen des Wirtschaftszweigs („Auto-Cluster“) flankieren.

Die circa 13 Millionen Fahrzeuge, die 2020 weltweit nicht verkauft wurden (67 statt 80 Millionen), würden bis 2023 aller Wahrscheinlichkeit nicht mehr aufgeholt, glaubt Christoph Stürmer von PwC. Die Umsatzverluste für die kommenden drei Jahre bewegten sich hochgerechnet zwischen 680 und 880 Milliarden Euro. „Dieses Geld fehlt schlicht und einfach in der Wertschöpfungskette der globalen Automobilindustrie.“ Bezogen auf die Profitabilität der Automobilindustrie bedeute dies: „Sie geht auf absehbare Zeit strukturell verloren.“ Hoffnung macht vor allem Asien.

Die Musik spielt in Asien

Insgesamt leben in den zehn größten Pkw-Märkten Asiens 3,4 Milliarden Menschen. Dabei besitzen 1000 Einwohner im Schnitt nur 93 Pkw. Der einzige gesättigte Markt ist Japan mit einer Pkw- Dichte von 496 Fahrzeuge auf 1000 Einwohner. „Japan ist ein Markt, der überwiegend aus Ersatzbedarf gespeist wird“, schreibt Dudenhöffer. 1000 Japaner kaufen im Jahr etwa 33 neue Pkw. „Überträgt man diese Relation auf die zehn größten asiatischen Märkte wäre im gesättigten Zustand jährlich eine Nachfrage von 112 Millionen Fahrzeugen zu erwarten“, hat Dudenhöffer ausgerechnet. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 wurden weltweit knapp 80 Millionen Pkw verkauft. Dies illustriere das riesige Potenzial des asiatischen Marktes. „Gleichgültig, ob VW, Daimler, BMW – der Schwerpunkt wird immer stärker nach Asien wandern“, schlussfolgert der Marktbeobachter. Die Europäer müssten sich entsprechend orientieren, um nicht „im weltweiten Automarkt zum Liliputaner zu werden".

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