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Näherinnen in Bangladesh: Im Textilsektor wird NGOs zufolge häufig gegen arbeitsrechtliche Standards verstoßen.

© AFP

Gegen Kinderarbeit und Hungerlöhne: Bundesregierung will faire Arbeitsbedingungen notfalls erzwingen

Bald könnten Unternehmen per Gesetz verpflichtet sein, auf jedem Schritt globaler Lieferketten arbeitsrechtliche Standards einzuhalten. Sonst drohen Sanktionen.

Glaubt man dem Forum Fairer Handel, dann ist das Interesse der Verbraucher an fair gehandelten Produkten gestiegen. So ergab eine Umfrage der Organisation im vergangenen Jahr, dass der Anteil von Kunden, die schon einmal Fair-Trade gekauft haben, in den vergangenen neun Jahren von 44 auf 69 Prozent gestiegen ist. Fast ein Viertel bezeichnet sich demnach inzwischen sogar als regelmäßiger Käufer solcher Produkte.

Glaubt man wiederum Bundesentwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU), so müssen sich Kunden bald schon keine Gedanken mehr darüber machen, ob ein Produkt fair gehandelt wird. Das soll dann der Standard sein. Denn das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) arbeitet derzeit an einem Gesetz, das faire Arbeits- und Handelsbedingungen auf allen Stationen globaler Lieferketten festschreiben und reglementieren soll.

Bislang setzte Müller darauf, dass die Unternehmen sich freiwillig an den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) halten. Hier sind Mindeststandards für menschenrechtliche Sorgfaltspflichten in globalen Lieferketten festgelegt. Derzeit prüft das BMZ allerdings, ob die Unternehmen sich auch wirklich an diese Leitlinien halten.

Firmen müssen auf sichere Fabrikgebäude und Löhne achten

„Sollte sich 2020 herausstellen, dass die Freiwilligkeit nicht ausreicht, wird die Bundesregierung gemäß Koalitionsvertrag gesetzlich tätig“, teilte ein Ministeriumssprecher dem Tagesspiegel mit und bestätigt: „Vorbereitende Arbeiten für verbindliche Ansätze finden bereits statt, um im Bedarfsfall umgehend tätig werden zu können.“ Es werde derzeit geprüft, wie ein sogenanntes Sorgfaltspflichtengesetz gestaltet werden könnte.

Der Koalitionsvertrag besagt, dass Deutschland für „verbindliche soziale, menschenrechtliche und ökologische Standards in EU-Handels-, -Investitions- und -Wirtschaftspartnerschaftsabkommen“ eintrete. Wie die „taz“ berichtet, müssten in Deutschland ansässige Firmen nach dem Gesetzesentwurf stärker etwa darauf achten, dass Fabrikgebäude beispielsweise in Ostasien sicher gebaut sind, Beschäftigte existenzsichernde Löhne erhalten, die maximal zulässige Arbeitszeit nicht überschritten und die Umgebung nicht durch giftige Chemikalien verseucht wird. Und das auf jeder einzelnen Station der weltweiten Lieferketten.

Weiter schreibt die Zeitung, dass ausländischen Beschäftigten ein Beschwerdemechanismus zur Verfügung stehen muss. Die Regeln sollen für Unternehmen mit über 250 Beschäftigten und mehr als 40 Millionen Euro Jahresumsatz gelten und beziehen sich demnach vor allem auf den Landwirtschafts- Energie-, Bergbau-, Textil-, Leder- und Elektroniksektor. Auch Kinderarbeit sollte nach dem Gesetz wohl nicht mehr möglich sein.

Die Kontrolle würde bei der Gewerbeaufsicht, der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sowie der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung liegen. Als Strafen werden laut der „taz“ Bußgelder bis zu fünf Millionen Euro, Freiheitsstrafen und der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge im Inland angedroht.

Aldi, Edeka, Lidl und Rewe "tun nicht genug"

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) fordern schon seit langem ein solches Gesetz. So haben Oxfam, Amnesty International, Brot für die Welt und Germanwatch schon 2016 einen entsprechenden Gesetzesentwurf erarbeitet. Die meisten NGOs äußern sich daher lobend über Müllers Vorstoß. Tatsächlich finden sich viele ihrer Forderungen wie etwa nach Risikoanalysen und Sanktionen in dem BMZ-Entwurf wieder.

„Unternehmen sollten über die Einhaltung ihrer Sorgfaltspflicht berichten müssen und im Fall von zurechenbaren Menschenrechtsverletzungen und Verletzung der Pflicht auch als letztes Mittel haften müssen“, unterstreicht Franziska Humbert von Oxfam. Das fordert auch die Christliche Initiative Romero, die zudem anmerkt, dass dieser Punkt schon 2011 vom UN-Menschenrechtsrat in die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte aufgenommen wurde.

Ein drastisches Beispiel für schlechte Arbeitsbedingungen: 2013 starben 1134 Menschen beim Einsturz der Fabrik Rana Plaza in Bangladesh.
Ein drastisches Beispiel für schlechte Arbeitsbedingungen: 2013 starben 1134 Menschen beim Einsturz der Fabrik Rana Plaza in Bangladesh.

© dpa

Immer wieder werden Fälle von Kinderarbeit oder unzumutbaren Arbeitsbedingungen bei Unternehmen bekannt, die für große Handelskonzerne produzieren. „Überall auf der Welt werden Menschen ausgebeutet, die die Lebensmittel herstellen, die wir in deutschen Supermärkten wie Aldi, Lidl, Edeka und Rewe kaufen“, sagt Humbert.

So habe Oxfam 2016 Hungerlöhne in der Verarbeitung von Meeresfrüchten in Asien, menschenunwürdige Arbeitsbedingungen auf Weinfarmen in Südafrika sowie den Einsatz gesundheitsschädlicher Pestizide in Costa Rica und bei der Bananenernte in Ecuador nachgewiesen. Im internationalen Vergleich täten Aldi, Edeka, Lidl und Rewe „nicht genug dafür, dass bei der Herstellung ihrer Lebensmittel faire Arbeitsbedingungen herrschen und die Menschenrechte eingehalten werden“, so Humbert.

Ein besonders markanter Fall, der die Missstände in der Textilproduktion offenlegte, war der Einsturz von Rana Plaza, einem Fabrikgebäude in Bangladesh, bei dem 2013 1135 Menschen starben. Doch seitdem haben sich die Arbeitsbedingungen laut NGOs kaum verbessert. Zwar seien Gebäudesicherheit und Brandschutz in Bangladesch auf höherem Niveau, berichten sowohl Romero als auch Oxfam. Nichtexistenzsichernde Löhne, Gesundheitsverletzungen und Unterdrückung von Gewerkschaftsrechten seien allerdings nach wie vor an der Tagesordnung.

H&M und Rewe halten sich bedeckt

In anderen Bereichen der Textilbranche seien die Misstände auch weiterhin dramatisch. So berichtete Romero im vergangenen Jahr von Arbeitern in H&M-Fabriken in Bulgarien, deren Löhne so niedrig seien, dass sie bis zur Bewusstlosigkeit weiterarbeiten, weil sie sonst ihre Familien nicht ernähren können.

H&M hält sich mit Hinblick auf den Gesetzesentwurf von Müller bedeckt. Es sei noch nicht klar, „in wie weit der Gesetzesvorschlag auch für internationale Unternehmen wie uns greift“, teilt das Unternehmen auf Tagesspiegel-Nachfrage mit. Zudem setze man sich seit Jahren faire Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie ein.

Auch Rewe betont, man sei bereits sehr aktiv in der Kontrolle der Lieferwege und verweist auf eine selbst auferlegte Leitlinie von 2011, die das Verbot von Zwangsarbeit und ausbeuterischer Kinderarbeit sowie den fairen Umgang mit Mitarbeitern beinhaltet. Im Falle „vorsätzlicher grober Missachtung“ dieser Leitlinie behalte sich Rewe Sanktionen bis hin zum Abbruch der Geschäftsbeziehungen vor. Mit dem neuen Gesetz von Müller könnte Rewe bald selbst für derlei Missstände haften müssen.

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