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Etwas zu spät. Aber immerhin eröffnet.

© Thilo Rückeis

Nach der BER-Eröffnung: Der Traum vom internationalen Flug-Drehkreuz Berlin

Mit dem Start des BER rückt ein alter Wunsch in den Fokus: Berlin könnte Drehkreuz für internationale Verbindungen werden. Wie realistisch ist das?

Steigt in München etwa die Nervosität? Kaum hatte Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) bei einem Radiointerview die Worte „BER“ und „Drehkreuz“ in einem Satz untergebracht, verschickte der Münchener Flughafen wenige Stunden später eine eilige Mitteilung. Sie las sich wie die Erneuerung eines Eheversprechens mit der Lufthansa.

Die „langfristige Weiterentwicklung des Münchener Airports als Drehkreuz des interkontinentalen Luftverkehrs“ sehe vor, dass im Jahr 2024 wieder 30 Kranich-Langstreckenflugzeuge in der bayerischen Landeshauptstadt stationiert seien – also so viele wie vor Corona. „Wir werden die vor uns liegende Durststrecke gemeinsam durchstehen“, flirtete Airport-Chef Jost Lammers.

Die Liebesschwüre der Münchener kurz vor der Eröffnung des BER hatten allerdings weniger mit der Sorge vor einem neuen Konkurrenten in der Hauptstadt zu tun als mit der Pandemie. Die Lufthansa zieht gerade Langstreckenflieger aus München ab, um sie in Frankfurt einzusetzen, weshalb Gerüchte über eine dauerhafte Degradierung des kleineren Drehkreuzes die Runde machten.

Wer ist Europas bester Flughafen?

„Wir stehen ohne Wenn und Aber zu unserem Premium-Drehkreuz in München. Gemeinsam haben wir sehr viel erreicht, und wir haben noch viel vor“, erklärte Lufthansa-Chef Carsten Spohr. „Für unsere Kunden wollen wir Europas besten Flughafen weiterentwickeln.“ Ein Satz, der den Kranich-Chef bei der BER-Eröffnung wohl verfolgt haben dürfte.

In der Hauptstadt wird nämlich selbstbewusst nach vorne geblickt. „Berlin muss neben Frankfurt und München ein international wichtiger Flughafen werden“, sagte BER-Chef Engelbert Lütke Daldrup. Verkehrsminister Scheuer, dem durch seine Parteiangehörigkeit München näherliegt, sagte sogar Hilfe zu. „Ich bin mit Airlines in Kontakt. Berlin ist unsere Hauptstadt, Berlin muss ein Drehkreuz sein.“

Zwar hat keine Fluglinie bislang vor, den BER zu einem internationalen Hub zu machen. Aber allein der Gedanke hat eine lange Tradition in der Hauptstadt, die bis zur Wiedervereinigung zurückreicht. Erst mit dem Verfall von Tegel und Schönefeld, als sich Berlin regelmäßig mit zwei Erwähnungen auf der Liste der schlechtesten Airports der Welt wiederfand, wurden die Forderungen nach Interkontinentalflügen leiser.

Das Aufleben einer alten Vision

Mit dem neuen und repräsentativen Flughafen soll die alte Vision nun ausgerechnet während der größten Krise der Luftfahrt Wirklichkeit werden. Vor der Pandemie habe man sehr gute Gespräche mit einer Reihe amerikanischer Airlines geführt auch in Asien gebe es viel Interesse, so der Berliner Flughafenchef. „In Amerika müssen wir den Markt erobern. Da sind wir dran. Nach Corona wird das auch funktionieren, weil wir endlich eine gute Infrastruktur haben.“

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Erst einmal dürfte es aber darum gehen, die bisherigen Langstreckenverbindungen nicht zu verlieren. Ein knappes Dutzend der prestigeträchtigen Flüge gab es vor der Coronakrise in Berlin. Während der Pandemie wurden diese eingestellt. Doch während etwa die US-Airlines bereits wieder nach Deutschland fliegen, haben sie ihre Flüge nach Berlin noch nicht wiederaufgenommen. Einige könnten dauerhaft fernbleiben, was Brancheninsider nicht verwundern würde.

Airlines mit ganz anderen Dingen beschäftigt

„Momentan ist es eher ein schlechter Zeitpunkt, über Langstreckenflüge in naher Zukunft zu sprechen, da das Segment im Gegensatz zu Kurz- und Mittelstrecke eine längere Zeit benötigt, um sich von der langen Durststrecke zu erholen“, sagt der Luftverkehrsexperte Linus Benjamin Bauer von der City University of London. „Die Fluggesellschaften sind zurzeit mit ganz anderen Dingen beschäftigt.“

Tor zur Welt? Die Vision vom Drehkreuz soll ausgerechnet während der Corona-Pandemie Wirklichkeit werden.
Tor zur Welt? Die Vision vom Drehkreuz soll ausgerechnet während der Corona-Pandemie Wirklichkeit werden.

© Hilse/Reuters

American Airlines etwa, lange die weltgrößte Fluglinie, flog direkt von Berlin nach Philadelphia, von wo aus Passagiere die gesamten USA erreichen konnten. Erst wurden wegen Corona die Verbindungen vorübergehend gestoppt. Dann wurde die Strecke in Erwartung einer jahrelangen Krise dauerhaft gestrichen. „Wir ziehen nicht mit um zum neuen Flughafen“, bekräftigte eine Sprecherin.

Bei Delta Air Lines heißt es auf Anfrage: Ob und wann die Flüge von Berlin nach New York wieder starten, sei noch nicht entschieden. Nicht nur im offiziellen Winterflugplan fehlt die Strecke in die deutsche Hauptstadt, auch für den Sommer 2021 sind bislang keine Flüge geplant. Frankfurt, München und Zürich steuern die Amerikaner trotz Pandemie dagegen weiter an.

Einzig United Airlines versichert: „Dass es die Flüge nach Berlin geben wird, steht außer Frage.“ Ab wann, sei allerdings unklar. Die Fluglinie flog ebenfalls nach New York.

Asiatische Fluglinien gelten als Wackelkandidaten

Als weitere Wackelkandidaten gelten die asiatischen Fluglinien mit Direktverbindungen nach Berlin. Stammkunde Hainan Airlines verbindet seit mehr als einem Jahrzehnt die deutsche Hauptstadt mit Peking, wurde zu Beginn der Krise in China aber als Pleitekandidat gehandelt. Inzwischen scheint sich die Fluglinie, die anders als die chinesischen Wettbewerber nicht dem Staat gehört, aber berappelt zu haben. Sie baut ihre Verbindungen bereits wieder aus.

Scoot, eine Billigtochter von Singapore Airlines, setzt offiziell die Flüge von Berlin nach Singapur nur bis Ende März aus, wie ein Sprecher sagte. Die Fluglinie hat allerdings Verträge mit Dienstleistern in Deutschland bereits dauerhaft beendet. Auch deshalb erscheint eine baldige Rückkehr nach Berlin aktuell unwahrscheinlich – obwohl ein neues Corona-Reiseabkommen zwischen Deutschland und Singapur Flüge in den südostasiatischen Stadtstaat gerade erleichtert hat.

Hilfe der Bundesregierung nötig

Das alles könnte nur eine Momentaufnahme in der Coronakrise sein. „In der gesamten Luftfahrtbranche werden die Karten neu gemischt. Zusammen mit der Entwicklung von effizienten zweistrahligen Flugzeugen wie der Boeing 787 oder dem Airbus A321 XLR wird die Nachfrage für Direktverbindungen ohne Zwischenlandung steigen“, sagt Luftfahrtexperte Bauer. Die Flughäfen würden bereits am zukünftigen Streckennetz für die Zeit nach Corona basteln und Berlins Wirtschaft brauche mehr Direktverbindungen.

Geht es nach dem BER-Chef, ist langfristig nur etwas Schützenhilfe der Bundesregierung nötig, um mehr Interkontinental-Airlines nach Berlin zu locken. „Wir haben zu wenige Flugrechte nach China, wir haben zu wenige Flugrechte nach Middle East“, sagte Lütke Daldrup. „Da muss die Bundesregierung mithelfen. Und wenn Herr Scheuer sagt, dass Berlin zum Drehkreuz wird, ist das ja die richtige Botschaft.“

Felix Wadewitz

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