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Wirtschaft: "Der Wind kommt von vorne und ist kühl"

Die wenigen ostdeutschen Stahlkocher behaupten sich unter ausländischer Regie / Eko als VorreiterVON HENRIK MORTSIEFERWenn Bundeskanzler Helmut Kohl am kommenden Dienstag der brandenburgischen Eko Stahl GmbH Eisenhüttenstadt seine Aufwartung macht, um das neue Warmwalzwerk offiziell in Betrieb zu nehmen, wird für den größten ostdeutschen Stahlproduzenten nahe der polnischen Grenze ein neues Zeitalter anbrechen.Die 671 Mill.

Die wenigen ostdeutschen Stahlkocher behaupten sich unter ausländischer Regie / Eko als VorreiterVON HENRIK MORTSIEFER

Wenn Bundeskanzler Helmut Kohl am kommenden Dienstag der brandenburgischen Eko Stahl GmbH Eisenhüttenstadt seine Aufwartung macht, um das neue Warmwalzwerk offiziell in Betrieb zu nehmen, wird für den größten ostdeutschen Stahlproduzenten nahe der polnischen Grenze ein neues Zeitalter anbrechen.Die 671 Mill.DM teure Anlage schließt nach nur zweijähriger Bauzeit eine technologische Lücke, die dem Stahlkocher schon seit Jahrzehnten zu schaffen machte. Künftig müssen nämlich die in Eisenhüttenstadt gegossenen Stahlblöcke nicht mehr - wie seit 1984 - nach Salzgitter oder ins Ruhrgebiet zum Warmwalzen transportiert werden, ehe sie nach dem Rücktransport in Eisenhüttenstadt zu Blechen kaltgewalzt werden können."Wir erwarten uns von der neuen Anlage einen Qualitätssprung", erläutert Eko-Sprecher Reinhard Behrendt.Die Höhe der eingesparten Kosten will Behrendt zwar nicht beziffern."Ein großer Teil der 100 Mill.DM, die wir an Verlusten bis 1998 abbauen wollen, dürfte es aber schon sein." Die bereits zu DDR-Zeiten geplante und dann abgebrochene Errichtung des Werks schließt das vor gut zweieinhalb Jahren begonnene 1,1 Mrd.DM teure Investitionsprogramm "Eko 2000" ab, mit dem der belgische Stahlkonzern Cockerill Sambre, das Unternehmen wettbewerbsfähig machen will.Die Belgier hatten 1995 60 Prozent am Eko-Werk erworben und sich eine Option für den Kauf der restlichen Anteile gesichert, die bislang von der Treuhandnachfolgerin BvS gehalten werden.Am vergangenen Donnerstag bekräftigte der Präsident von Cockerill Sambre nochmals die Absicht des Konzerns, Alleineigentümer von Eko werden zu wollen: "Wir wollen den gesamten Teil von Eko-Stahl erhalten." In Eisenhüttenstadt steht das einzige integrierte Hüttenwerk Ostdeutschlands, das über ein Hochofen-, ein Stahl- und ein Walzwerk verfügt und höherwertige Stähle produzieren kann.70 Prozent der Produktion werden nach Angaben von Eko-Sprecher Behrendt in den deutschen Raum geliefert, ein Viertel in die EU, der Rest nach Osteuropa und in andere Länder.Größter Abnehmer ist die Bauindustrie, 20 Prozent der Produktion gehen an die Automobilhersteller, die vor allem oberflächenveredelte Bleche abnehmen.1996 produzierten die 2800 Eko-Beschäftigten rund 1,9 Mill.Tonnen Rohstahl. Eisenhüttenstadt ist damit der größte der nach der Wende verbliebenen Stahlstandorte in den neuen Bundesländern.1997 werde für Eko ein "gutes Stahljahr", glaubt Reinhard Behrendt, 1998 soll ein ausgeglichenes Ergebnis erzielt werden."Wir sind ein anerkannter Wettbewerber der westdeutschen Stahlproduzenten", betont der Eko-Sprecher. Branchenkenner teilen diese Einschätzung.Die Wettbewerbsfähigkeit der übrigen ostdeutschen Stahlstandorte wird indes skeptischer beurteilt."Die Zukunft gehört den höherwertigen Produkten", heißt es.Der an den kleineren Standorten in Elektrostahlwerken produzierte Stahl wird aus der Einschmelzung von Schrott gewonnen, die Qualität ist entsprechend geringer.Billig-Anbieter aus dem Ausland, vor allem aus Mittel- und Osteuropa, haben meist das gleiche Sortiment im Angebot - zu niedrigeren Preisen."Viele kleine ostdeutsche Anbieter tun sich zunehmend schwer", weiß Beate Brüninghaus von der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Vom Kurswechsel in die Marktwirtschaft war vor allem das Personal betroffen.Die Zahl der Beschäftigten sank nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl von ehemals 80 000 (inklusive aller Mitarbeiter in Kombinats-Kindergärten, -Erholungsheimen und ähnlichen Einrichtungen) auf 9300 (Mai 1997).Die meisten sind heute bei ausländischen Stahlkonzernen beschäftigt, die sich während der zum Teil komplizierten Privatisierungen östlich der Elbe eingekauft haben.In Brandenburg wandelte die italienische Riva-Gruppe das ehemalige Qualitäts- und Edelstahlkombinat in die Hennigsdorfer Elektrostahlwerke GmbH und die Brandenburger Elektrostahlwerke GmbH um.Die Luxemburger Arbed-Gruppe stieg bei der Stahlwerk Thüringen GmbH ein.Der italienische Feralpi-Konzern bei den Elbestahlwerken im sächsischen Riesa. Kleinere Standorte finden sich darüber hinaus im sächsischen Freital (Sächsische Edelstahlwerke) und Gröditz, wo sich die Georgsmarienhütte die Gröditzer Stahlwerke einverleibte.Bislang wird mit einigem Erfolg für die Bauindustrie, den Maschinen- und Anlagenbau, in kleinerem Umfang auch für die Zulieferer der Autoindustrie produziert.40 Prozent gehen nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl in den Export, meist in die Europäische Union. "Der Wind kommt von vorne und ist kühl", beschreibt Wolfgang Hell, Leiter des Personalwesens bei den Brandenburger Elektrostahlwerken die Wettbewerbssituation.Mit derzeit 756 Mitarbeitern, davon 14 Lehrlinge, wird in der Stadt Brandenburg, wo einst rund 10 000 Stahlkocher Arbeit fanden, "für den Weltmarkt" produziert, so der Personalleiter.Mit einem sehr engen und komplett erneuerten Sortiment versucht das Stahlwerk in der Regie der Italiener, vor allem die Kunden in der Baubranche zu halten. "Unser Blick richtet sich auf die Baustellen in Berlin", erklärt Hell.Gut eine Million Tonnen Stahl, vornehmlich Walzdraht, seien 1996 verkauft worden.Genaue Zahlen über Kapazität, Umsatz und Kundschaft hält die Konzernmutter Riva wie ein Staatsgeheimnis unter Verschluß.Bis Ende 1996 sollen die Italiener insgesamt 150 Mill.DM in Brandenburg investiert haben.Auch im Schwester-Werk, dem Hennigsdorfer Elektrostahlwerk, das vor der Wende 8000 und heute etwa 700 Mitarbeiter beschäftigt, gibt man sich betont einsilbig.Es habe seit dem Riva-Einstieg keine Entlassungen gegeben, wird lediglich hervorgehoben und darum gebeten, keine Namen zu nennen.800 000 Tonnen Stahl setzten die Hennigsdorfer 1996 ab. "Die Ausländer haben ihr Ziel, über das Engagement in Ostdeutschland auf dem deutschen Stahlmarkt Fuß zu fassen, erreicht", bilanziert Beate Brüninghaus.Während der schlimmsten Stahlkrise seit dem zweiten Weltkrieg, in den Jahren 1993 und 1994, seien die westdeutschen Konzerne mit sich selbst beschäftigt gewesen.Italiener, Belgier und Luxemburger hätten die Gunst der Stunde genutzt und seien im großen Stil in die Stahlbranche der neuen Länder eingestiegen. Geködert von Subventionen in Milliarden-Höhe: So bezahlte etwa Cockerill Sambre für den 60-Prozent-Anteil an Eko eine symbolische Mark.Das Investitionsprogramm "Eko 2000" wurde mit 660 Mill.DM staatlicher Subventionen unterstützt.275 Mill.DM Sanierungszuschuß stammen von der BvS, das Land Brandenburg legte 385 Mill.DM Investitionszuschuß dazu.Ende des Jahres laufen die öffentlichen Beihilfen aber aus. Gut ein Viertel der gesamtdeutschen Stahlbranche wird nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl inzwischen von ausländischen Konzernen kontrolliert.Im Osten dürfte der Anteil zwischen 80 und 90 Prozent liegen.Pessimisten befürchten, die ausländischen Mutterunternehmen könnten irgendwann zum Rückzug blasen, wenn die Stahlproduktion in Ostdeutschland dem Wettbewerb nicht mehr standhält und zu teuer wird. Anders als die deutschen Stahlkocher hätten sie bei Werkschließungen in Deutschland keinen geschäftsschädigenden Imageverlust zu fürchten.Für die ostdeutsche Stahlbranche hätte ein Abzug der Ausländer - derzeit allerdings noch reine Spekulation - fatale Folgen: "Ziehen sich die Ausländer zurück, sind die Standorte im Osten am Ende", so ein Beobachter.

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