Wirtschaft: Deutsche Autoindustrie: Leuchtturm für den Standort Deutschland
Siemens streicht ein paar tausend Arbeitsplätze, die Chemiekonzerne Bayer und BASF schließen ganze Fabriken, und der Gewinn der Commerzbank sinkt um 74 Prozent. Die aktuellen Nachrichten aus der deutschen Wirtschaft sind schlecht, die Konzerne verdienen deutlich weniger.
Siemens streicht ein paar tausend Arbeitsplätze, die Chemiekonzerne Bayer und BASF schließen ganze Fabriken, und der Gewinn der Commerzbank sinkt um 74 Prozent. Die aktuellen Nachrichten aus der deutschen Wirtschaft sind schlecht, die Konzerne verdienen deutlich weniger. Doch Ausnahmen bestätigen die Regel. Den deutschen Autoherstellern geht es so gut wie noch nie. Auszüge aus den aktuellen Unternehmensberichten: "Im ersten Halbjahr erzielte BMW Absatzrekorde und erwirtschaftete das bisher beste Halbjahresergebnis." "Die Geschäftsentwicklung des Volkswagen-Konzerns wird sich im zweiten Halbjahr 2001 in erfreulicher Weise fortsetzen." "Audi hat das beste Halbjahresergebnis in der Unternehmensgeschichte erzielt und ist in wesentlichen Märkten gegen den Trend gewachsen." "Der Operating Profit im Geschäftsfeld Mercedes-Benz Personenwagen und Smart erhöhte sich um zehn Prozent auf 830 Millionen Euro." Schließlich fuhr Porsche trotz hoher Entwicklungsaufwendungen für den neuen Geländewagen im abgelaufenen Geschäftsjahr erstmals einen Gewinn über eine Milliarde Mark ein.
Die Stärke der Branche bringt der Verband der Autoindustrie (VDA) auf den Punkt: "Wir sind der Leuchtturm für den Standort Deutschland." Nach Verbandsangaben haben die Unternehmen heute mit 762 000 Mitarbeitern rund 25 000 Beschäftigte mehr als vor einem Jahr. Und das trotz des schwachen Inlandsmarktes. Nachdem hierzulande bereits im Jahr 2000 die Zahl der Neuzulassungen um elf Prozent auf 3,38 Millionen Fahrzeuge gesunken war, geht es in diesem Jahr wohl auf 3,33 Millionen zurück. Doch die Kaufzurückhaltung der Bundesbürger stecken die Unternehmen, die inzwischen weit mehr als die Hälfte des Umsatzes im Ausland erwirtschaften, locker weg.
Sehr erfolgreich in den USA
Die wichtigsten Ursachen für den Erfolg: Das Exportgeschäft läuft sehr gut, insbesondere in den USA sind Autos Made in Germany gefragt wie nie. Sehr hilfreich für die Ausfuhren - im ersten Halbjahr lieferten die Deutschen 1,9 Millionen Pkw ins Ausland, das waren acht Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum - ist der schwache Euro. Die Stärke von Mercedes, BMW, Porsche, Audi und VW zeigt sich deutlich auf dem größten Automarkt der Welt. Der US-Markt schrumpfte in diesem Jahr bislang um sechs Prozent, doch die deutschen Hersteller verkaufen mehr Autos und konnten somit ihren Marktanteil um 0,6 Prozent auf neun Prozent erhöhen. Allein mit dem schwachen Euro ist der Erfolg nicht zu erklären. Vielmehr ernten die Unternehmen jetzt die Früchte ihrer enormen Investitionen seit der Krise 1993. "Die Deutschen haben starke Produktprogramme in allen Nischen", sagt Professor Willi Diez vom Institut für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule Nürtingen. Damit das auch so bleibt, steigen in diesem Jahr die Investitionen um vier Prozent auf 21 Milliarden Mark.
Der Standort Deutschland wird von der Branche schon lange nicht mehr in Frage gestellt. Das hängt zum einen mit den erheblichen Anlaufschwierigkeiten zusammen, die BMW und Mercedes in ihren vor ein paar Jahren eröffneten US-Werken zu bewältigen hatten. Der "Financial Times Deutschland" zufolge muss jedes Exemplar der aus den USA stammenden Mercedes-M-Klasse für einige tausend Mark nachgerüstet werden. VDA-Präsident Bernd Gottschalk lobt dagegen die motivierten und qualifizierten Arbeitskräfte in der Bundesrepublik. "Hinzu kommt ein hohes Maß an Flexibilität mit betrieblichen Arbeitszeitlösungen, ohne die moderne und kapitalintensive Fabriken heute nicht zu fahren sind", sagte Gottschalk der Deutschen Presseagentur.
Derzeit hat fast jedes Unternehmen eine neue Fabrik in Arbeit. Mercedes schafft sich im brandenburgischen Ludwigsfelde Kapazitäten für den Bau des Minivans Vaneo; Porsche baut in Leipzig für 100 Millionen Mark eine Fabrik für den Geländewagen Cayenne; VW ist so gut wie fertig mit der so genannten gläsernen Fabrik in Dresden (Investitionsvolumen: 365 Millionen Mark), aus der noch in diesem Jahr die Limousine D 1 rollen soll; Höhepunkt des Kapazitätsaufbaus ist die Entscheidung von BMW, für zwei Milliarden Mark ein neues Werk in Leipzig zu bauen. Ausschlaggebend für Leipzig waren die Nähe zu Flughafen und Autobahn, qualifizierte Arbeitskräfte, eine hochflexible Arbeitsorgansiation sowie bis zu 700 Millionen Mark Fördermittel.
"Die Schlauheit der Füchse ist immer auch die Dummheit der Hühner", sagt Autoprofessor Diez. Gemeint sind die Wettbewerber, die von deutschen Firmen abgehängt wurden. Vor allem die Töchter der US-Konzerne, Opel in Rüsselsheim und Ford in Köln, haben schwere Jahre hinter sich. Opel-Chef Carl-Peter Forster arbeitet gerade an einem Sanierungsplan, der kommende Woche von der Mutter General Motors abgesegnet werden soll. Es soll Werksschließungen geben. Einen Kapazitätsabbau in Europ hat Ford schon hinter sich. Den Kölnern geht es wieder besser, weil der Focus gut und der neue Mondeo hevorragend läuft.
Eine der großen Lücken gegenüber anderen Volumenherstellern sind Ford und Opel dabei zu schließen: Das Angebot moderner Dieselmotoren. Der Preisunterschied von rund 40 Pfennigen zwischen Diesel und Benzin hat die Nachfrage nach dem Selbstzünder nach oben schießen lassen. Schätzungen zufolge werden in diesem Jahr rund 35 Prozent der neu zugelassenen Autos einen Dieselmotor haben. Zu wenig Diesel macht im Übrigen auch den Asiaten auf dem deutschen Markt zu schaffen. Da japanische und koreanische Motorenentwickler vor allem den US-Markt im Blick haben - dort spielt Diesel keine Rolle - haben sie in Deutschland Marktanteile verloren.
Es gibt zu viele Autofabriken in Europa, die Überkapazitäten schätzt Willi Diez auf zehn bis 15 Prozent. Trotzdem entstehen neue Werke, weil die Hersteller in allen Segmenten vertreten sein wollen. Vor allem in der Oberklasse, wo das meiste Geld verdient wird. Der Wettbewerb in der Premiumklasse wird erheblich zunehmen, weil nicht nur VW, sondern auch Renault und die Fiat-Tochter Lancia, Jaguar und Volvo die "Klassiker" Mercedes, BMW und Audi angreifen. Da kündigt sich ein Verdrängungswettbewerb an, den nicht alle überstehen werden.