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Bayer-Chef Dekkers: "Deutsche konzentrieren sich vor allem auf Risiken"

Bayer-Chef Marijn Dekkers spricht mit dem Tagesspiegel über die Folgen der Schuldenkrise, Nachwuchssorgen und darüber, was die Kritik an der Antibabypille Yaz/Yasmin für den Standort Berlin bedeutet.

Herr Dekkers, vor drei Jahren begann eine Finanzkrise, die eine globale Rezession nach sich zog. Wo stehen wir heute?

Nach der Lehman-Pleite herrschte reine Panik. Die Unternehmen fürchteten, dass die Banken restriktiver Geld verleihen und damit binnen weniger Wochen die flüssigen Mittel aufgebraucht sein würden. Diese Befürchtungen sind in der aktuellen Krise nicht so ausgeprägt.

Deutet sich das nicht wieder an? Auch Bayer hat die Liquidität aufgestockt.

Die aktuelle Krise ist für die Wirtschaft höchstens halb so schlimm wie vor drei Jahren. Aber dennoch sind auch wir konservativer geworden: Wir haben unsere Liquidität im Vergleich zu 2008 auf 3,8 Milliarden Euro verfünffacht.

2009 wurde in der Krise vor allem das Kunststoffgeschäft getroffen. Nun steht auch die Gesundheitssparte unter Druck, weil die Staaten kein Geld haben.

Unser Gesundheitsgeschäft ist auch davon abhängig, wie viel Geld die Regierungen für Gesundheit ausgeben. Jetzt wird zunehmend auch bei den Arzneimitteln gespart. Die Schuldenkrise drückt deshalb auf unsere Margen. Aber wir sind dennoch zuversichtlich: 2011 wird für Bayer ein gutes Jahr.

Wie hoch sind ihre Außenstände bei Europas Schuldenstaaten?

Dieses Problem haben wir besonders in Griechenland, Italien und Spanien. Insgesamt liegen die Außenstände bei einem signifikanten dreistelligen Millionenbetrag. Die Länder haben die Zahlungsfristen zum Teil schon um ein Jahr überschritten. Wir machen Druck, aber wir wollen auch nicht, dass die Patienten von der Versorgung mit unseren Arzneimitteln abgeschnitten werden.

Wo spüren Sie die Krise noch?

Neben dem Preisdruck bei HealthCare schwächt sich die Nachfrage nach unseren Kunststoffen ab. MaterialScience ist von der Konjunktur abhängig. Unsere größten Kunden sind die Automobil-, die Elektro- und die Bauindustrie. Im dritten Quartal hatten wir zwar sieben Prozent Umsatzwachstum – aber nur weil wir die Preise erhöht haben, die Mengen sind gleich geblieben. Weil zudem noch die Energie- und Rohstoffkosten um mehr als sieben Prozent gestiegen sind, sind unsere Margen und unser Gewinn in diesem Bereich schlechter als im Vorjahr.

Wird es noch schlimmer?

Wir rechnen damit, dass die Konjunktur so stabil bleibt, dass die Herausforderungen für unser Kunststoffgeschäft nicht so groß werden wie in den Krisenjahren 2008 und 2009.

Wie gut ist der Standort Europa in Anbetracht der Krise?

Europa mit seinen 500 Millionen Einwohnern ist nach wie vor ein riesiger Markt. Die Kunden haben eine hohe Kaufkraft, das muss sich zum Beispiel in China erst entwickeln.

Aber der europäische Markt ist gesättigt.

Dennoch ist die Bereitschaft allgemein hoch, für Innovationen auch Geld zu zahlen. Ein verbessertes Krebsmedikament kostet zwar mehr, aber das ist den Europäern ihre Gesundheit wert. Allein in Deutschland werden elf Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Gesundheit ausgegeben. Daran wollen wir vor allem mit unseren neuen Arzneimitteln teilhaben. In China steigt der Lebensstandard gerade erst. Dort wird augenblicklich die medizinische Grundversorgung aufgebaut – mit einfachen Medikamenten.

Hilft Ihnen das Geschäft in China, die Schuldenkrise abzufedern?

Unser Umsatz im Gesundheitsbereich ist in China in den ersten neun Monaten 2011 um 22 Prozent gewachsen – eine unglaubliche Zahl. Mittlerweile erlösen wir allein mit HealthCare dort über eine Milliarde Euro im Jahr. Wir haben seit Jahresbeginn 1000 neue Verkäufer eingestellt, um unsere Produkte dort zu vermarkten.

Lassen sich solche Zuwachsraten langfristig halten?

Warum nicht? China hat noch so viel Bedarf. Ich wüsste nicht, was unser Umsatzwachstum dort bremsen sollte.

Sie wollen Kapazitäten aufbauen, wo sie gebraucht werden, haben Sie gesagt. Wo werden sie nicht mehr gebraucht?

Sie werden überall gebraucht. Aber im Kunststoffgeschäft liegt das Wachstum zurzeit in den Schwellenländern. Wir müssen dort Produktionskapazität aufbauen, um nah bei den Kunden zu sein. Im Gesundheitsbereich ist nicht so wichtig, wo die Tabletten produziert werden. Da müssen wir in einen guten Vertrieb vor Ort investieren.

Was der Bayer-Chef über den Standort Deutschland denkt

Wo liegt das Potenzial des deutschen Standortes?

Deutschland ist für uns sehr wichtig, wir haben ein Drittel unserer Mitarbeiter hier – immerhin mehr als 36 000 Menschen.

Tendenz sinkend.

Geringfügig. Wir machen immerhin zwei Drittel unserer Forschung hier – das sind rund zwei Milliarden Euro. Zudem werden wir dieses Jahr 700 Millionen Euro in die deutschen Anlagen investieren, viel mehr als in anderen Ländern der Welt. Deutschland ist und bleibt einer unserer wichtigsten Märkte.

Wie gut sind die Rahmenbedingungen?

Die Qualität der Mitarbeiter ist sehr hoch. Die Planungssicherheit könnte besser sein, gerade für ein Unternehmen wie Bayer, das große Anlagen bauen muss. Wenn wir wie bei der KohlenmonoxidPipeline zwischen Dormagen und Krefeld, die nun von einigen Bürgern blockiert wird, eine Genehmigung bekommen und sie bauen, müssen wir sie auch nutzen können.

Packen Sie Projekte künftig anders an?

Wir wollen jetzt eine neue Produktionsanlage in Dormagen bauen für 150 Millionen Euro. Wir haben intensiv mit den Bürgern kommuniziert und wirklich jede Frage beantwortet. Nun hoffen wir, dass die meisten verstanden haben, was die Anlage für die Region bedeutet. Aber wir brauchen mehr Unterstützung von der Politik. Stuttgart 21 darf sich nicht wiederholen. Unternehmen müssen davon ausgehen können, dass sie bauen dürfen, was alle Genehmigungsschritte durchlaufen hat.

Welche Regionen sind in der Forschung die größte Konkurrenz für Deutschland?

Die USA sind ein starker Forschungsstandort, aber auch in China wird mehr und mehr investiert. Meine Sorge ist, dass Amerika und Deutschland der wissenschaftliche Nachwuchs ausgeht. Intelligente Kinder wollen schon heute häufig nicht Biochemiker oder Ingenieur werden, sondern Investmentbanker. Denn bei UBS und Goldman Sachs verdient man zwei- bis dreimal so viel wie in der Chemie.

Sind Sie zufrieden mit den Rahmenbedingungen für Forschung?

Wir wünschen uns eine steuerliche Absetzbarkeit von Forschungsausgaben, wie es drei Viertel aller OECD-Länder machen. Bayer könnte so 20 bis 30 Millionen Euro jährlich sparen. Das Geld würden wir komplett wieder in die Forschung und Entwicklung in Deutschland stecken. Die steuerliche Forschungsförderung sollte ergänzend zur klassischen Projektförderung erfolgen. Sinnvoll wäre eine Steuergutschrift. Die Förderung muss für alle Unternehmen gelten und nicht nur für kleine und mittlere. Denn 85 Prozent der privaten Ausgaben für Forschung und Entwicklung fallen in größeren Unternehmen an. Außerdem wünschen wir uns mehr Akzeptanz von Innovationen.

Erklären Sie es den Leuten nicht gut genug?

Vielleicht. Die Deutschen fürchten sich besonders vor Innovationen in den Bereichen Biologie und Chemie. Genmais, Nanopartikel und Biotechnologie – es werden in der öffentlichen Meinung manchmal diffuse Ängste geschürt, als seien diese Produkte nicht zu verantworten. Die Deutschen konzentrieren sich vor allem auf die Risiken statt auf die Chancen. Hier muss die Politik mehr für uns tun.

Sie wurden bei Ihrem Amtsantritt vor gut einem Jahr als Portfoliomanager beschrieben. Wie gut ist das Portfolio von Bayer?

Mein Vorgänger Werner Wenning hat das Portfolio durch Zu- und Verkäufe in der Größenordnung von 43 Milliarden Euro sehr stark verändert, zum Beispiel durch die Akquisition von Schering. Künftig wollen wir vor allem organisch wachsen, unterstützt von eher kleineren Akquisitionen.

Die Resonanz auf Ihre neuen Pharmaprodukte ist gut, etwa beim Schlaganfallmittel Xarelto. Wann zahlt sich das aus?

Für Xarelto erwarten wir in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres die ersten deutlichen Beiträge zum Geschäft. Aber auch unsere neuen Krebsmittel Alpharadin und Regorafenib sowie unser Augenmedikament VEGF Trap-Eye sind sehr vielversprechend.

Die US-Gesundheitsbehörde FDA hält die Antibabypille Yaz/Yasmin für riskant und fordert schärfere Einnahmevorschriften. Welche Konsequenzen zieht Bayer?

Zunächst einmal zur Klarstellung: Die FDA wird sich zu diesem Thema erst noch äußern. Dabei wird sie die Empfehlungen ihrer Beratergremien berücksichtigen. Diese haben jetzt getagt und mehrheitlich bestätigt, dass der Nutzen dieser Kontrazeptiva potenzielle Risiken überwiegt. Sie haben gleichzeitig eine Änderung der Produktinformation in den USA empfohlen. Wir warten jetzt die endgültige Entscheidung der FDA ab und werden mit der Behörde, wie im Übrigen auch mit anderen Gesundheitsbehörden, zusammenarbeiten, um angesichts neuer wissenschaftlicher Daten gegebenenfalls die Produktinformation anzupassen. In Europa hat es übrigens bereits im Mai entsprechende Änderungen gegeben.

Könnten andere Bayer-Produkte in den USA in Misskredit geraten?

Nein, da gibt es überhaupt keinen Zusammenhang.

Yaz/Yasmin ist ein erfolgreiches Produkt aus Schering-Zeiten. Schadet die schlechte Beurteilung dem Standort Berlin?

Wiederum nein, so kann man das nicht sehen. Alle Entwicklungen betreffen stets den ganzen Konzern – im Guten wie im Schlechten.

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