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Premiere in turbulenten Zeiten. Seit Dienstag ist Mario Draghi Präsident, am Donnerstag leitete der Italiener erstmals eine Ratssitzung der Europäischen Zentralbank. Die Runde stand im Zeichen der Krisenbewältigung: Sinkende Zinsen sollen der Konjunktur helfen, zudem will die EZB auch in Zukunft Anleihen von Euro-Schuldenstaaten aufkaufen. Foto: dpa

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Draghi senkt Zinsen: Die Börse jubelt

Draghi senkt die Zinsen. Der neue EZB-Präsident tritt an und redet Italien ins Gewissen

Berlin - Der neue Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, hat sein Amt mit einem Paukenschlag begonnen. Auf der ersten Ratssitzung unter dem neuen Chef senkte die EZB am Donnerstag den Leitzins für die Euro-Zone von 1,5 auf 1,25 Prozent. Das ist die erste Zinssenkung seit Mai 2009. Ökonomen reagierten überrascht, die Märkte feierten die Zinsentscheidung. Der Deutsche Aktienindex (Dax) schnellte unmittelbar nach der Bekanntgabe der Zinssenkung um 3,17 Prozent auf 6154 Punkte, gab jedoch im Laufe des Handels wieder ein wenig nach. Im Gegenzug konnte sich der Euro, der nach der Zinsentscheidung gegenüber dem Dollar zwischenzeitlich knapp zwei Cent verloren hatte, wieder leicht erholen.

„Die Entscheidung war einstimmig“, sagte Draghi nach der Sitzung in Frankfurt am Main. Angesichts der Staatsschuldenkrise im Euro-Raum, die auf die Wirtschaft überzuspringen droht, geht der EZB-Rat nur noch von einem „sehr mäßigen“ Wachstum im zweiten Halbjahr 2011 aus, das bis zum Jahresende „in eine milde Rezession münden könnte“. Dem will die EZB begegnen. Niedrige Zinsen machen Kredite billiger. Das erhöht die Investitionsneigung von Firmen und die Konsumfreude der Verbraucher – und kann so die Konjunktur ankurbeln. Der Leitzins ist der Satz, zu dem sich Banken bei der EZB Geld leihen können, um es an die Wirtschaft weiterzugeben. Er bildet damit eine Untergrenze für alle in Euro vergebenen Kredite.

Niedrigzinsen bergen jedoch zugleich die Gefahr, dass die Inflation weiter steigt. Derzeit liegt die Inflationsrate im Euro-Raum bei drei Prozent und damit einen Prozentpunkt über dem Zielwert der Währungshüter. In Deutschland betrug die Preissteigerung im Oktober 2,6 Prozent. Das scheint die EZB aber nicht zu schrecken. Die Inflationsrate werde im Euro-Raum für einige Monate noch über 2,0 Prozent liegen, räumte Draghi ein. Im kommenden Jahr werde sie aber unter die Zwei-Prozent-Marke fallen, zeigte sich der Italiener, der am Dienstag sein Amt angetreten hatte, zuversichtlich. Unter Draghis Vorgänger, Jean-Claude Trichet, hatte die EZB wegen Sorgen um die Preisstabilität den Leitzins zuletzt in zwei Schritten von 1,0 auf 1,5 Prozent angehoben.

Ökonomen hatten nicht damit gerechnet, dass Draghi schon bei seiner ersten Sitzung die Zinsen senkt. Sie sei „ein bisschen überrascht“, sagte Dorothea Schäfer, Forschungsdirektorin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), dem Tagesspiegel. Mit der Zinssenkung wolle die EZB den sinkenden Wachstumsprognosen und den durch Griechenland ausgelösten neuen Unruhen an den Märkten begegnen. „Die EZB will zeigen, dass sie tut, was sie kann“, glaubt Schäfer. „Die Leitzinssenkung ist überraschend, aber vertretbar“, sagte Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz, dem Tagesspiegel. Angesichts der sich ausdehnenden Konjunkturschwäche und der akuten Krise der Banken sei die Senkung der Leitzinsen als „Teil des kurzfristigen Krisenmanagements“ sinnvoll. Allerdings warnte Heise vor dauerhaften Niedrigzinsen: „Das führt zu Fehlallokationen und ist eine Steuer auf die Sparer.“ Dagegen forderte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) weitere Zinsschritte, um der Krise in der Euro-Zone entgegenzuwirken. Die Bankenverbände begrüßten die Zinssenkung.

Um die Krise in Griechenland und anderen Schuldenstaaten zu bekämpfen, will Draghi den umstrittenen Ankauf von Staatsanleihen vorerst fortsetzen. Der EZB-Chef betonte jedoch, dass das Programm „vorübergehend“ und in seinem Umfang „begrenzt“ sei. Es sei aber gerechtfertigt, weil die Notenbank dadurch ihre Geldpolitik am Laufen halte.

Seit Mai 2010 hat die EZB Milliarden in Länder wie Griechenland, Portugal und Italien gesteckt. Nach den letzten veröffentlichten Zahlen von Ende Oktober dieses Jahres hat die EZB Staatspapiere im Gesamtvolumen von rund 170 Milliarden Euro in den Büchern. Trichet war dafür als Handlanger der Politik gescholten worden. Der deutsche Bundesbankchef, Axel Weber, hatte aus Verärgerung über den Kauf der Anleihen das Handtuch geworfen und auf eine mögliche Trichet-Nachfolge verzichtet. Draghi betonte bei seinem ersten öffentlichen Auftritt die Unabhängigkeit der Währungshüter: „Wir werden von niemandem gedrängt. Wir sind unabhängig. Wir bilden uns unsere eigene Meinung. Das ist es.“

Befürchtungen, der neue Mann an der Spitze werde seine italienischen Landsleute durch großzügige Ankäufe von Staatspapieren unterstützen, wies Draghi zurück. Die Verantwortung für eine Erhaltung der Finanzstabilität liege „zuallererst bei der nationalen Wirtschaftspolitik“, redete Draghi seinem Landsmann, dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, ins Gewissen.

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