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Wirtschaft: „Ein Sammelsurium unbewiesener Vorwürfe“

Vattenfall-Chef Klaus Rauscher über die Marktmacht der Energiekonzerne, CO2-freie Kraftwerke und den Standort Berlin

Herr Rauscher, alle Welt redet über Klimawandel, und Sie kündigen den Bau eines Großkraftwerks in Berlin an.

Das Timing war vielleicht suboptimal, doch zu den Fakten: Wir versorgen in dieser Stadt rund zwei Millionen Menschen mit Strom und 800 000 mit Fernwärme. Dahinter steht ein Kraftwerkspark, der altert. Zwischen 2012 und 2015 müssen wir Klingenberg und andere Anlagen ersetzen. Das geht nur durch ein Kraftwerk, das Strom und Wärme produziert.

...und fünf Millionen Tonnen CO2 ausstößt.

Das gilt bezogen auf Berlin. Bundesweit würden durch ein neues Kraftwerk andere Altanlagen abgeschaltet und so der CO2-Ausstoß verringert. Wir diskutieren das in Ruhe und streben einen Konsens mit allen gesellschaftlichen und politischen Gruppen in der Stadt an. Wir wollen nicht mit dem Kopf durch die Wand, sondern sind offen für Anregungen und Kritik.

Sie sind noch nicht festgelegt?

Es kommen für Strom und Wärme nur fossile Brennstoffe infrage. Öl eignet sich dafür nicht, bleiben Kohle oder Erdgas. Natürlich ist unter Umweltaspekten Erdgas vorzuziehen. Nur: Wir müssen auch sicher sein, dass wir über Jahrzehnte auch Erdgas zu bezahlbaren Preisen aus Russland oder Norwegen bekommen. Im Moment ist das nicht der Fall.

Sie sind für Steinkohle aus Polen, die doppelt so viel CO2 in die Luft entlässt wie Gas.

Steinkohle ist zu kalkulierbaren Preisen und noch für Jahrhunderte auf dem Weltmarkt verfügbar. Allerdings haben wir das CO2-Problem. Am liebsten wäre uns natürlich Braunkohle, denn die haben wir selber. Aber Braunkohle besteht zur Hälfte aus Wasser. Es macht keinen Sinn, diese Wassermassen aus der Lausitz nach Berlin zu transportieren.

Das erste Problem wollen Sie mit CO2-freien Kraftwerken lösen. Wann ist das so weit?

Sobald es technisch, rechtlich und wirtschaftlich möglich ist, werden wir nur noch CO2-freie Kohlekraftwerke bauen und Altanlagen nachrüsten – ich denke 2020. Derzeit bauen wir eine Pilotanlage in der Lausitz, die im kommenden Jahr den Betrieb aufnimmt.

Bei Ihrem Wettbewerber Steag heißt es, das CO2-freie Kraftwerk sei eine Illusion und technisch nicht machbar.

Der Kollege ist ein einsamer Rufer in der Wüste. Viele andere arbeiten an der Technologie. Dem Ingenieur ist nichts zu schwör, wir machen da Druck, und ich bin optimistisch.

Hilft der Handel mit CO2-Zertifikaten?

Das ist ein marktwirtschaftliches Instrument. Je höher die Kosten für die Zertifikate, desto größer sind die Anstrengungen in der Industrie, Emissionen zu reduzieren. Und irgendwann wird sich dann auch die Technik rechnen, mit der wir CO2-frei produzieren können. Der Emissionshandel löst also einen Innovationsdruck aus.

Und wenn Sie 2015 in Lichtenberg ein Kohlekraftwerk in Betrieb nehmen, könnte es ab 2020 CO2- frei produzieren?

Wir arbeiten mit Hochdruck daran. Auch an der Nachrüstung von älteren Anlagen. Ansonsten bekommen wir von 2020 an riesige Probleme, sollten wir dann noch in großem Ausmaß CO2 emittieren. Der politische Druck wird größer, und wir stellen uns darauf ein. Keiner kann die Garantie geben, dass das alles auch optimal funktioniert, aber wir versuchen das.

Worin liegen die Schwierigkeiten?

Das Verfahren ist nicht trivial. Wenn Kohlenstoff und Sauerstoff verbrennen, sind die Temperaturen so hoch wie in einem Bunsenbrenner. Wir müssen sehen, wie das Material das aushält. Und dann bauen wir mit den Erfahrungen aus der Pilotanlage eine große Demonstrationsanlage, die 2015 in Betrieb gehen soll.

Sind Sie schon auf der Suche nach potenziellen Lagerstätten für das CO2?

Ja natürlich. Dazu brauchen wir aber auch die rechtlichen Grundlagen für die CO2-Speicherung. Infrage kommen alte Erdgaslagerstätten, denn wenn das Gas dort über Jahrtausende gelegen hat, dann kann wahrscheinlich auch CO2 dort lagern. Die zweite Möglichkeit sind weit unten liegende Gesteinsschichten, die Salzwasser enthalten und mit denen sich das CO2 verbindet. Beide Möglichkeiten haben wir hier in der Region, so dass CO2 nicht weit transportiert werden muss

Wie stehen Sie zum Nationalen Allokationsplan für Verschmutzungsrechte?

Künftig gibt es weniger Zertifikate, und so stellt sich die Frage, wem man etwas wegnimmt. Wir sind allerdings der Meinung, dass wir einen Brennstoff in Deutschland haben, der auch langfristig zur Verfügung steht. Das ist die Braunkohle. Deshalb erwarten wir eine faire Behandlung der Braunkohle.

Das ist der schmutzigste Brennstoff.

Unter CO2-Aspekten: Ja. In der Energiepolitik muss man aber mehrere Aspekte berücksichtigen: Verfügbarkeit, Preis, Umwelt.

Warum überprüfen Sie nicht Ihre Kalkulation für ein deutlich sauberes Gaskraftwerk, das auch mit Biogas befeuert werden könnte?

Das tun wir doch permanent. Aber wir kriegen derzeit kein Gas. Im Laufe des letzten Jahres haben wir keine langfristigen Gaskontrakte zu vertretbaren Preisen bekommen. Und wenn wir zu teuer einkaufen, beklagen sich die Kunden über die hohen Preise.

Warum investiert Vattenfall nicht stärker in erneuerbare Energien?

Das machen wir. Aber wir sind eben noch nicht so weit, dass wir Strom aus regenerativen Quellen rund um die Uhr zuverlässig und zu bezahlbaren Preisen gewinnen. Wir können weder die Gesetze der Ökonomie noch der Physik überwinden. Das alles muss machbar und bezahlbar sein.

Sie wollen ihr Kernkraftwerk Brunsbüttel nicht 2009, sondern erst 2011 abschalten und dazu Strommengen von einem anderen Kraftwerk übertragen. Voraussichtlich wird Umweltminister Sigmar Gabriel den Antrag ablehnen. Klagen Sie dann?

Ja.

Stimmt der Eindruck, dass die Stromerzeuger versuchen, ihre AKWs in die nächste Legislaturperiode zu retten, in der Hoffnung, dass eine andere politische Konstellation den Ausstieg aus dem Atomausstieg betreibt?

Der Eindruck ist nicht von der Hand zu weisen.

Keine Branche steht so am Pranger wie die Stromwirtschaft. Hohe Preise, Tricksereien an der Strombörse, Missbrauch von Marktmacht – ist das alles Unsinn?

Das ist ein Sammelsurium unbewiesener Vorwürfe. Es ist richtig, dass die Netze faktisch Monopole sind. Entscheidend ist, dass es für diese Netze einen diskriminierungsfreien Zugang für Dritte gibt. Und das gewährleisten wir und wir werden von der Bundesnetzagentur überprüft.

Warum will die EU-Kommission den Erzeugern dann die Netze wegnehmen?

Die Kommission behauptet Missbrauch, hat aber keinen Beweis dafür. Im vergangenen Herbst hat die Kommission Razzien durchgeführt, aber bis heute warten wir auf ein Ergebnis der Prüfung. Offenbar wurde nichts gefunden.

Warum senken Sie nicht einfach die Preise, um mal positive Schlagzeilen zu machen? Nach einem Gewinnsprung um 44 Prozent in 2005 und weiteren 28 Prozent in 2006 müsste das möglich sein.

Sie dürfen nicht vergessen, wir wollen in den nächsten Jahren sechs Milliarden Euro investieren. Vor allem auch in CO2- freie Techniken. Im Übrigen haben wir letztes Jahr die Strompreise gesenkt. Aber kurz nach Ostern werden wir Kosten, Image und Wettbewerberverhalten analysieren und dann entscheiden, was wir womöglich zum 1. Juli tun.

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