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Klima-Protest vor dem Brandenburger Tor.

© dpa/Jörg Carstensen

Fridays for Future in Berlin: Eine Generalabrechnung mit der Groko

Der Klimaschutz ist der gemeinsame Nenner der Demonstranten in Berlin. Doch sie protestieren für viel mehr als nur eine neue Umweltpolitik.

Wer nicht klimafreundlich unterwegs ist, hat schlechte Karten im Berliner Innenstadtverkehr – zumindest an diesem sonnigen Freitag regieren rund um den Reichstag die Radfahrer und Fußgänger. Für Autofahrer, aber auch für die gelben Busse der BVG gibt es dagegen kein Durchkommen. Sie müssen warten, bis die Massen an Klima-Demonstranten im Schritttempo an ihnen vorbeiziehen und die Straßen wieder frei sind.

Überall sind die Hauptstädter mit Blockaden konfrontiert. An der Jannowitzbrücke in Mitte haben Aktivisten unzählige rot-weiße Absperrbänder über die Straße gespannt. Am Ernst-Reuter-Platz in Charlottenburg erzwingen 200 Radfahrer den Verkehrsstillstand.

Hunderttausende sind zusammengekommen, um sich dem „Klimastreik“ der „Fridays for Future“ anzuschließen. Von überall strömen sie ab dem Vormittag in Richtung Brandenburger Tor.

Die Ebertstraße, die von Süden am Tiergarten Richtung Spree führt, ist kurz vor 12 Uhr bereits voll mit dem typischen Berliner Demo-Publikum: Frauen, die ihre Kinder auf dem Fahrrad schieben, Männer mit großen Transparenten unterm Arm, ältere Ehepaare, die Hand in Hand mitmarschieren. Zwischen den Erwachsenen sieht man immer wieder die „Fridays“: viele, viele junge Menschen im Schulalter.

Im Zug auf der Ebertstraße, die die Unternehmer-Initiative der „Entrepreneurs for Future“ als Route reserviert habt, fallen auch einige Anzugträger ins Auge – eher ungewöhnlich für eine Straßendemo. „Das ist meine Arbeitskleidung“, sagt ein Mittfünfziger im dunklen Sakko, der offenbar gerade aus dem Büro zur Demo kommt. Er stellt sich als „Strategie-Berater“ vor, der mit auf die Straße geht, um die Sicht eines Wirtschaftsvertreters in die Klimadebatte einzubringen.

„Große Chance für die Industrie“

„Wir sehen das als große Chance für die Industrie“, sagt er mit Blick auf die Klimapolitik. Die große Koalition gehe dabei schon in die richtige Richtung, meint er. Die Regierung müsse aber mehr „riskante Entscheidungen“ treffen – und weniger auf die Lobbyisten der mächtigen Verbände hören, ergänzt sein Kollege. „Mut ist das richtige Stichwort.“

Die beiden Herren zeigen, wie breit der Klima-Protest inzwischen ist. Auf der Bühne vor dem Brandenburger Tor wird dann auch klar, dass es vielen Demonstranten um weit mehr geht als nur ein neues Klimapaket. Besonders viel Jubel erntet ein Redner, der sich „gegen die neoliberale Ausbeutung und Rassismus“ ausspricht.

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Auch die Forderung nach einem „Recht auf Abtreibung“ erhält kräftigen Beifall, genauso das Grußwort der „Queers for Future“, die Klimaschutz mit LGBTI-Themen verknüpfen wollen. Zwar ist die Umwelt der gemeinsame Nenner, der die Menschen auf die Straße bringt. Doch viele demonstrieren hier auch für einen grundsätzlichen Kurswechsel – von der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik hin zu sozialen Fragen und Menschenrechten.

„Autos verbieten!“

Die Stimmung ist ausgelassen und friedlich. Spätestens als die Bässe der Berliner Reggae-Band „Culcha Kandela“ von der Bühne aus durch den Tiergarten hämmern, liegt die Atmosphäre irgendwo zwischen „Karneval der Kulturen“ und Erster-Mai-Demo. Es wird getanzt, selbstgemalte Pappschilder und Stofffahnen wackeln im Takt über den Köpfen der Demonstranten.

Dass zeitgleich die Nachrichtenagenturen gegen Mittag einen Durchbruch bei den 19-stündigen Klimaverhandlungen der Groko vermelden, bekommt hier kaum jemand mit – wahrscheinlich interessiert es aber auch niemanden wirklich. Mit ihren Klima-Eckpunkten und komplizierten Kompromissen – wie dem Verbot neuer Ölheizungen ab 2025 oder der Ausweitung des Emissionshandels – kann die Groko hier niemanden abholen.

Der Kabarettist und Mediziner Eckhard von Hirschhausen, seit Längerem ein Unterstützer von „Fridays for Future“, lästert von der Bühne vor dem Brandenburger Tor über die Bundesregierung. Die verantwortlichen Politiker hätten wegen der Marathonverhandlungen in der Nacht zu Freitag vielleicht kein Auge zugetan, sagt er. „Dafür haben sie 30 Jahre lange geschlafen.“ Als von Hirschhausen ins Mikrofon ruft, er würde lieber „die Abgase von 20 Radfahrern“ einatmen als die eines SUV, johlt die Menge im Tiergarten begeistert.

Autos und Flugzeuge sind hier für viele die Hauptgegner. „Autokorrektur jetzt!“ ist auf dem Schild eines jungen Mannes zu lesen. Ein Mädchen im Grundschulalter fordert auf einer grauen Pappe: „Autos verbieten!“ Ein anderes Kind will künftig „Kurzstreckenflüge nur für Insekten“ zulassen, wie auf einem Karton neben eine selbstgemalten Biene zu lesen ist.

Hirschhausen spricht von einem „Notfall“

Viele Transparente haben dringliche Botschaften. „Kein Planet B“ ist eine häufig zu lesende Losung. Die Kernaussage: Zur Klimarettung gibt es keine Alternative. Oft wird in Redebeiträgen und auf Transparenten darauf hingewiesen, dass die Zeit bald ablaufe, in der eine Verhinderung der Klimakatastrophe noch möglich sei. Der Mediziner von Hirschhausen spricht von einem „Notfall“.

Auf der Straße ist diese Dringlichkeit jedoch nicht unbedingt zu bemerken. Von Untergangsstimmung fehlt zumindest jede Spur. Vielleicht liegt das auch daran, dass die Demonstranten in Berlin und anderen deutschen Großstädten wie Frankfurt oder Köln viele Verbündete auf der ganzen Welt an ihrer Seite wissen.

Zahlreiche Spruchbänder und Schilder, die an diesem Tag in der deutschen Hauptstadt gezeigt werden, sind auf Englisch verfasst. Dass die Bilder des deutschen Protests sich über die sozialen Medien im Netz verbreiten, ist offenbar fest eingeplant.

Von der Großdemonstration im Tiergarten über die Straßenblockaden an ausgesuchten Straßenkreuzungen bis hin zum „Klima-Rave“ am Nachmittag – alle Aktionen an diesem „Freitag für die Zukunft“ reihen sich in den weltweiten „Klimastreik“ ein, von Sydney über Bangkok bis nach Athen.

Stand die Aktivistin Greta Thunberg vor einem guten Jahr noch ganz alleine mit ihrem weißen Schild vor dem schwedischen Parlament, um für den Klimaschutz zu demonstrieren, wollen das heute unzählige Menschen auf der ganzen Welt tun. So ist dann auch in Berlin eine der Botschaften des Protests, dass sich das Klima nicht national, sondern nur in grenzübergreifender Zusammenarbeit retten lasse.

#NotMyKlimaPaket

Dass der aktuelle Klima-Kompromiss der großen Koalition ausgerechnet an diesem weltweiten Aktionstag verkündet wird, ist mehr oder weniger Zufall. Beschwichtigen kann die Groko die Demonstranten damit nicht. Kurz nach Bekanntwerden der ausgehandelten Eckpunkte macht in den sozialen Medien der Hashtag #NotMyKlimaPaket die Runde.

Der Widerspruch gegen den vorgelegten Plan ist groß. „Das ist heute kein Durchbruch, das ist ein Skandal“, twittert Luisa Neubauer, Sprecherin des deutschen Ablegers von „Fridays for Future“. Die Koalition sei hinter dem „politisch und technisch Machbaren“ zurückgeblieben.

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So sehen das auch die Demonstranten, die sich am frühen Nachmittag vor dem Kanzleramt postiert haben.

Als einige Regierungsmitarbeiter in dunklen Anzügen das Grundstück verlassen, um über die Spreebrücke zur Groko-Pressekonferenz eilen, werden sie ausgepfiffen. Eine Frau fasst mit drei Worten zusammen, was sie von dem Klimakompromiss der Koalition hält: „Das reicht nicht!“

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