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Chaos statt Erholung: Die Pleite von Thomas Cook, hier ein Archivbild aus dem Jahr 2019, hatte Hunderttausende Urlauber betroffen.

© REUTERS

Exklusiv

Bund kommt billiger davon: Entschädigung von Thomas-Cook-Kunden kostet Staat weniger als erwartet

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht hatte mit 225 Millionen Euro gerechnet, doch der Staat muss nur gut 130 Millionen Euro zahlen.

Die Hilfe für Kunden des insolventen Reiseveranstalters Thomas Cook kostet den Staat deutlich weniger als erwartet. Statt der von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) geschätzten 225 Millionen Euro hat das Thomas Cook Bundportal, das für die Auszahlung der Staatsgelder zuständig ist, bislang nur 130,5 Millionen Euro an die Opfer der Reisepleite überwiesen.

Lambrecht hatte mit deutlich höheren Summen gerechnet, der Bund hatte daher 225 Millionen Euro für die Entschädigung der Thomas Cook-Kunden zur Verfügung gestellt. Dass diese Summe bei weitem nicht ausgeschöpft werden wird, steht inzwischen fest. Ende Juni waren nämlich bereits 91 Prozent der angemeldeten Ansprüche erledigt. 95.600 Fälle wurden bislang insgesamt abgewickelt, die restlichen gut 9000 sollen bis zum Jahresende abgeschlossen sein, sagte ein Sprecher des Bundesjustizministeriums dem Tagesspiegel.

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Hunderttausende Urlauber im Chaos

Der Zusammenbruch von Thomas Cook hatte im Herbst 2019 Hunderttausende Reisende ins Chaos gestürzt. Viele Urlauber waren in ihren Feriengebieten von der Hiobsbotschaft überrascht worden und mussten zurückgeholt werden. Andere konnten ihren Urlaub nicht mehr antreten, obwohl ihre Reisen bereits angezahlt oder sogar bereits komplett bezahlt waren.

Zwar hatte der Reisekonzern eine Versicherung für den Fall der Pleite bei der Zurich Versicherung abgeschlossen, doch die Versicherungssumme von 110 Millionen Euro reichte nicht, um alle Kundinnen und Kunden voll zu entschädigen. Die Versicherung zahlte den Geschädigten gerade einmal eine Quote von 26,83 Prozent. Daraufhin sprang der Bund ein und erklärte sich bereit, auf freiwilliger Basis den restlichen Schaden zu ersetzen – bis zur Haftungssumme von 225 Millionen Euro. Thomas Cook war mit Marken wie Neckermann, Öger Tours, Bucher und Air Marin) der zweitgrößte Reiseveranstalter nach der Tui.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) will Kunden auf Staatskosten entschädigen.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) will Kunden auf Staatskosten entschädigen.

© dpa

Warum der Staat weniger zahlt

Dass der Staat nun billiger davon kommt als erwartet, liegt daran, dass sich viele Kunden ihr Geld von anderer Stelle geholt haben, heißt es im Bundesjustizministerium. Wer die geplatzte Reise mit einer Kreditkarte gezahlt hatte, konnte sich sein Geld oft über den Kreditkartenanbieter zurückholen. Gleiches gilt für Lastschriften, die viele Kundinnen und Kunden noch so rechtzeitig zurückgeben konnten, dass sie nicht auf dem Reisepreis sitzen blieben.

Wie Kunden künftig geschützt werden

Auch wenn die Pleite die Staatskasse nun weniger stark in Anspruch nimmt als gedacht soll sich ein Fall wie der von Thomas Cook nicht mehr wiederholen. Die Bundesregierung hat daher für künftige Pleiten ein neues Sicherungssystem eingeführt. Wenn ein Reiseveranstalter pleitegeht, soll das weder seine Kunden noch die Steuerzahler teuer zu stehen kommen.

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Ein millionenschwerer Fonds soll Pauschalurlauber besser gegen eine Insolvenz absichern. In diesen Sicherungsfonds müssen die Veranstalter selbst einzahlen. Der Fonds soll künftig Vorauszahlungen der Kunden, den Rücktransport gestrandeter Urlauber sowie deren Unterbringung bis zum Rücktransport garantieren.

Er löst grundsätzlich die bisherige Absicherung durch Versicherungen oder Bankbürgschaften ab. Von der Pflicht, in den Reisesicherungsfonds einzuzahlen, werden nur kleinere Unternehmen mit einem Jahresumsatz von unter zehn Millionen Euro ausgenommen. Das entsprechende Gesetz ist zwar bereits im Juli in Kraft getreten, die Neuregelung ist aber erst – nach einer Übergangsphase – für Reisebuchungen ab dem 1. November verpflichtend.

Sorglos in die Ferien? Künftig sollen Kunden besser vor Pleiten geschützt werden.
Sorglos in die Ferien? Künftig sollen Kunden besser vor Pleiten geschützt werden.

© imago/blickwinkel

Anbieter müssen mitmachen

Um ab November noch Pauschalreisen anbieten zu dürfen, müssen Reiseveranstalter eine Sicherheit von fünf Prozent des abzusichernden Umsatzes stellen und ein Entgelt von einem Prozent an den Reisesicherungsfonds zahlen. Bis Oktober 2027 springt der Staat ein, falls es zu Pleiten kommt und das Fondsvermögen nicht reicht, um die Schäden zu ersetzen. Sollte der Fonds zusätzliches Kapital aufnehmen müssen, sichert der Staat diese Kredite mit einer Summe von bis zu 750 Millionen Euro ab.

Reisebranche ist unter Druck

Zwar zieht das Reisegeschäft jetzt wieder an, aber die Reisebranche ist weit entfernt von den Umsätzen der Vor-Corona-Zeit. Statt neue Reisen zu verkaufen, waren die Veranstalter im vergangenen Jahr vor allem damit beschäftigt, Kunden Gelder für coronabedingt abgesagte Reisen zu erstatten.

Der größte Veranstalter, die Tui, hat Milliardenhilfen vom Staat bekommen, um weitermachen zu können. Gleiches gilt für FTI. Inzwischen bieten alle Veranstalter gegen Aufpreis flexible Tarife an, mit deren Hilfe Kunden Reisen kostenlos kurzfristig stornieren oder umbuchen können. Doch Corona-Rückschläge wie in Spanien treffen die angeschlagene Branche hart.

Angeschlagen: Europas größter Reiseveranstalter Tui brauchte Geld vom Staat, um weitermachen zu können.
Angeschlagen: Europas größter Reiseveranstalter Tui brauchte Geld vom Staat, um weitermachen zu können.

© dpa

Gratisstorno wird schwieriger

Was die Branche jedoch entlastet, ist eine Änderung im Reiserecht: Die Ausweisung von Corona-Risikogebieten durch das Auswärtige Amt und das Robert-Koch-Institut führt seit Juli nicht mehr dazu, dass Reisende, die in diese Länder fliegen wollten, auf Kosten des Reiseveranstalters stornieren können. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung erwägt, künftig keine Risikogebiete mehr auszuweisen.

Keine Schlichtung für Kunden

Anders als die meisten Airlines oder die Bahn beteiligen sich nur wenige Reiseveranstalter an der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP). Gerade einmal zehn Unternehmen machen mit, darunter Expedia, Holidaycheck und Weg.de. Große Namen wie Tui, Dertour, FTI oder Alltours fehlen.

„Es wäre bedauerlich, wenn nur die ausschließlich über digitale Kanäle Reisen anbietende Unternehmen auf guten Kundenservice setzen“, sagte SÖP-Geschäftsführer Heinz Klewe dem Tagesspiegel. „Gerade dann, wenn etwas schief gegangen ist, sollten die Verbraucher die Möglichkeit haben, unkompliziert von einer neutralen Stelle eine rechtliche Bewertung der Streitigkeit zu bekommen, und zwar kostenlos.“

Was der Verband sagt

Beim Deutschen Reiseverband (DRV) verweist man dagegen auf die niedrigen Reklamationsquoten im unteren einstelligen Prozentbereich. Oberste Priorität habe zudem die Behebung von Mängeln oder Beschwerden vor Ort, damit die Gäste einen erholsamen Urlaub verbringen können, betont eine DRV-Sprecherin.

Auch bei den Beschwerden in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie hätte eine Verbraucherschlichtung nicht viel bewirken können. „Die Rechtslage war klar, es war für die Unternehmen nur schwierig, Mittel für die Rückzahlung aufzubringen“, so die Sprecherin. Die Veranstalter hätten die Reisevergütung bereits zum großen Teil an Airlines oder Hotels gezahlt und hätten von diesen das Geld nicht so rasch zurückbekommen können.

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