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Streik in der Ferienzeit? Das möchte die Bahn ebenso vermeiden wie die Bahn-Gewerkschaft EVG.

© REUTERS/Fabian Bimmer

EVG ringt mit der Bahn – und sich selbst: Die Gewerkschaft droht mit einem Streik, den sie eigentlich nicht will

Kurz vor einer Einigung lässt die Eisenbahnergewerkschaft die Verhandlungen mit der Bahn platzen. Ein Knackpunkt ist die Laufzeit des neuen Tarifvertrags.

Stand:

Eigentlich war alles auf einem guten Wege und die Zeit reif. Bahn-Personalchef Martin Seiler hatte sich auf eine letzte Verhandlungsnacht eingestellt, als am frühen Mittwochabend die überraschende Wende kam. Die Tarifkommission der Eisenbahnergewerkschaft EVG erklärte die Verhandlungen „nach langer und sehr intensiver Diskussion“ für gescheitert.

Das übliche Procedere in solchen Fällen: Die Gewerkschaftsmitglieder werden zur Urabstimmung über einen unbefristeten Arbeitskampf aufgerufen. Im aktuellen Fall will das aber selbst in den Reihen der EVG kaum jemand, weil der Streik teuer ist und mitten in die Ferienzeit fiele. Am Donnerstagvormittag befasste sich der Vorstand der EVG mit der verfahrenen Situation.

„Wir haben intensiv verhandelt und zu vielen Themen eine Verständigung erreicht“, hatte Seiler am vergangenen Freitag nach fünf Verhandlungstagen erklärt. Die Tarifpartner vertagten sich auf den Mittwoch dieser Woche, um bis dahin in den Gremien die Eckpunkte der rund 140 Seiten umfassenden Vereinbarung zu diskutieren.

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Und das ging auf Seiten der EVG nicht gut: Kristian Loroch und Cosima Ingenschay, die beide zum ersten Mal die Verhandlungen der Gewerkschaft führen, konnten die mehrere Dutzend Mitglieder umfassende Tarifkommission nicht von ihrem Verhandlungsergebnis überzeugen.

400
Euro mehr im Monat ist die Deutsche Bahn bereit zu zahlen.

Vor allem die angepeilte Laufzeit des neuen Tarifvertrags von 27 Monaten ist nicht konsensfähig, nachdem die EVG 2020 einen sehr lange gültigen Tarif abgeschlossen hatte und deshalb nicht auf die hohen Inflationsraten 2021 und 2022 reagieren konnte. Deshalb macht die Gewerkschaft im aktuellen Tarifkonflikt Nachholbedarf geltend: Für die rund 180.000 Tarifbeschäftigten bei der Bahn fordert die EVG zwölf Prozent mehr Geld, aber mindestens 650 Euro pro Kopf und Monat.

Bahn-Personalvorstand Martin Seiler verhandelt seit Monaten mit der Gewerkschaft.

© dpa/Paul Zinken

Seiler hatte ursprünglich eine Erhöhung der unteren Einkommen im kommenden Dezember um sechs Prozent und um weitere sechs Prozent ab August 2024 angeboten; zu den unteren Einkommen zählt Seiler 20.000 Beschäftigte der Bahn.

Für die mittleren Gehaltsgruppen sieht das Angebot ab den gleichen Zeitpunkten eine Erhöhung um jeweils fünf Prozent und für die höheren Einkommen um jeweils vier Prozent vor. Dazu legte Seiler die Zahlung einer steuer- und abgabenfreien Inflationsprämie für alle auf den Tisch: 1450 Euro im Juli und im November weitere 1400 Euro.

Laufzeit als Knackpunkt

Die EVG beharrte aber auf einem Mindestbetrag, von dem die unteren Einkommen überproportional profitieren. Tatsächlich hat die Gewerkschaft bei den parallel laufenden Verhandlungen mit privaten Bahn-Anbietern inzwischen solche Gehaltserhöhungen um 420 Euro pro Monat vereinbaren können. Und auch bei der Bahn haben man sich der „Schallgrenze“, wie es in Gewerkschaftskreisen heißt, von 400 Euro genähert. Bliebe also als Knackpunkt die Laufzeit.

Die von Seiler avisierten 27 Monate wird die EVG nicht unterschreiben. Zwölf Monate, wie zu Beginn der Tarifrunde gefordert, sind aber auch unrealistisch. Bei 22 Monaten werde man wohl einschlagen, heißt es bei der EVG.

„Wir waren bereit, an unsere Grenze zu gehen, damit ein guter, ausbalancierter Abschluss zustande kommt“, reagierte Seiler am Mittwochabend auf das „unglaubliche“ Abbrechen der Verhandlungen. Man habe „einen hohen Festbetrag“, den Seiler aber öffentlich nicht nennt, sowie eine steuer- und abgabenfreie Inflationsprämie von 2850 Euro in Aussicht gestellt.

„Dies trotz der notwendigen Sanierung bei DB Cargo und den Busgesellschaften“, die einen Tarifvertrag bei der Bahn deutlich komplexer machen als bei den Wettbewerbsbahnen. Und für die Mitarbeitenden in der Instandhaltung, den Werkstätten und Stellwerken, wo die EVG viele Mitglieder hat, „hätte es nochmal eine zusätzliche Lohnerhöhung von im Schnitt 7,5 Prozent gegeben“.

Es war nicht genug, um die Tarifkommission der EVG zu überzeugen. Da keine Seite Streik will – ein im Mai vorgesehener, 50-stündiger Warnstreik war damals im letzten Moment per Vergleich vor dem Arbeitsgericht vermieden worden – ist jetzt folgendes Szenario wahrscheinlich: Der EVG-Vorstand beschließt einen allerletzten Verhandlungsversuch mit Seiler. Oder der Vorstand beschließt und terminiert die Urabstimmung irgendwann im Juli. Bis dahin wäre dann auch noch Zeit, um den Konflikt friedlich zu lösen.

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