zum Hauptinhalt
Bunt und erfolgreich. Eine Finanztransaktionssteuer war eine der zentralen Forderungen der Occupy-Bewegung, um die Märkte zu zähmen. Sie könnte jetzt teilweise erfüllt werden. Die Protestwelle der Globalisierungsgegner ist hingegen abgeebbt. Foto: dapd

© dapd

Wirtschaft: Fast unbegrenzte Möglichkeiten Die FDP gibt bei der Transaktionssteuer nach. Das eröffnet allen Parteien ganz neue Spielräume

Berlin - Der Mann, der immer für eine politische Überraschung gut ist, wurde am Donnerstag selbst überrascht: Am Mittag sprach SPD-Parteichef Sigmar Gabriel vor einer Runde von Journalisten der Regierung noch jeden ernsthaften Verhandlungswillen in den Gesprächen mit der Opposition über den Fiskalpakt ab. Kaum waren die ersten Meldungen über den Durchbruch im Ringen um die Finanztransaktionssteuer verbreitet worden und die Runde aufgehoben, feierte Gabriel vor den schnell aufgebauten Kameras dann einen Sieg seiner Sozialdemokratie und sprach von einer „180-Grad- Wende von CDU/CSU und FDP“.

Von
  • Hans Monath
  • Antje Sirleschtov

Berlin - Der Mann, der immer für eine politische Überraschung gut ist, wurde am Donnerstag selbst überrascht: Am Mittag sprach SPD-Parteichef Sigmar Gabriel vor einer Runde von Journalisten der Regierung noch jeden ernsthaften Verhandlungswillen in den Gesprächen mit der Opposition über den Fiskalpakt ab. Kaum waren die ersten Meldungen über den Durchbruch im Ringen um die Finanztransaktionssteuer verbreitet worden und die Runde aufgehoben, feierte Gabriel vor den schnell aufgebauten Kameras dann einen Sieg seiner Sozialdemokratie und sprach von einer „180-Grad- Wende von CDU/CSU und FDP“.

Genau das bestreiten allerdings die Liberalen, die sich anders als die Union mit der neuen Steuer für Finanzmärkte sehr schwer tun. Nach der Einigung in der Sache, die noch auf höchster Ebene bestätigt werden muss, begann am Donnerstag sofort der Kampf um die Deutung: Die FDP betonte, sie habe alle ihre Vorbehalte gegen eine schädliche Wirkung der Steuer durchgesetzt, die SPD will auf ganzer Linie gesiegt haben: Wenn die Regierung und Kanzlerin Angela Merkel sich nach zwei Jahren Widerstand „jetzt unserer Position anschließen“, sei das ein „großer und wichtiger Schritt zur Verständigung“, verkündete Gabriel. Die Regierung wolle nun offenbar nicht nur eine Scheinbesteuerung, sondern unterstütze den Vorschlag der EU-Kommission.

Tatsächlich war die Einigung mit SPD und Grünen auf einen gemeinsamen Vorschlag der Arbeitsgruppe nur möglich geworden, nachdem die FDP ihren grundsätzlichen Widerstand gegen eine Finanzmarkttransaktionssteuer aufgegeben hatte. Lange hatte FDP-Chef Philipp Rösler darauf beharrt, eine solche Steuer müsse „für alle EU-Staaten gelten, nicht nur für die Euro-Staaten“. Diese Position hatte er jedoch bereits beim Sechs-Augen-Treffen mit Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel und dem Vorsitzenden der CSU, Horst Seehofer, an diesem Montag im Kanzleramt aufgegeben. Wie es in Röslers Umfeld danach hieß, habe sich der FDP-Vorsitzende offen für eine Steuereinführung auch im Rahmen von zwischenstaatlichen Verträgen von mindestens neun Euro-Ländern gezeigt.

Den Vorwurf, die FDP habe ihre ursprüngliche Position verlassen und sei eingeknickt, bestritt FDP-Finanzpolitiker Volker Wissing trotzdem nachdrücklich. Wissing, der die FDP-Bundestagsfraktion in der Arbeitsgruppe vertritt, verwies auf die Bedingungen der Liberalen für die Einführung einer Finanzmarktbesteuerung. „Alle unsere Forderungen wurden akzeptiert“, sagte er. Die FDP werde einer solchen Steuer nur zustimmen, wenn die von ihr formulierten Bedingungen erfüllt sind. Um das garantieren zu können, müssen allerdings zumindest Kleinanleger und Rentenfonds (etwa über Freibeträge) von einer Besteuerung ausgenommen werden, was technisch nicht einfach erscheint. Noch schwieriger dürfte die Bedingung zu erfüllen sein, eine Verlagerung von Börsengeschäften zu verhindern. Schließlich hatte sich ja die FDP selbst bislang vehement mit diesem Argument gegen eine solche Steuer gewehrt, wenn nicht der Börsenplatz London eingeschlossen ist. Und davon ist auch in Zukunft nicht auszugehen, da sich die britische Regierung prinzipiell ablehnend gezeigt hat. Bei der Einführung einer Finanzmarktsteuer – etwa in nur neu europäischen Ländern – würde es mithin unwillkürlich zu Verlagerungen von Börsengeschäften kommen. Die FDP hätte dann nur noch die Wahl, eine solche Steuer zu akzeptieren oder müsste sich gegen den Koalitionspartner stellen und eine deutsche Unterschrift unter einen solchen Vertrag verhindern. Letzteres jedoch ist schwer vorstellbar.

Auch nach einer Bestätigung der Einigung über die Finanzmarkttransaktionssteuer durch die Spitzenpolitiker wäre die Zustimmung von SPD und Grünen zum Fiskalpakt und damit die Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat noch nicht gesichert. „Jetzt geht es darum zu sagen, wie erzeugen wir nachhaltiges Wachstum, wie bekämpfen wir die Jugendarbeitslosigkeit“, forderte Gabriel. Zwar arbeitet die Regierung schon länger an Projekten für Wachstum in Europa, wie sie neben der Opposition auch die EU-Kommission befürwortet. Doch SPD und Grüne sind die bisherigen Vorschläge der Koalition zu unbestimmt. Dabei liegen die Positionen etwa bei der Stärkung der Europäischen Investitionsbank, der Umwidmung von EU-Strukturfonds, der Einführung von Europäischen Projektanleihen und dem Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit grundsätzlich nicht mehr weit auseinander.

Offen sind aus Sicht der Opposition beim Fiskalpakt auch noch wichtige juristische Fragen zu den Rechten des Bundestages. Gegen den von SPD und Grünen geforderten europäischen Schuldentilgungsfonds führt die Regierung rechtliche Bedenken an und argumentiert, er verstoße gegen das „Bail-out“-Verbot, wonach kein Euro-Land für die Schulden eines anderen einstehen darf. Die SPD-geführten Länder verlangen zudem, dass der Bund ihnen die Risiken eines verschärften Sparkurses abnimmt, also notfalls Geld überweist, um die Handlungsfähigkeit der Landesparlamente zu sichern.

In beiden Oppositionsparteien gibt es Forderungen an die Parteispitze, die Ergebnisse der Verhandlungen mit der Koalition über den Fiskalpakt von Delegierten bewerten zu lassen – bei der SPD auf dem Parteikonvent am 16. Juni, bei den Grünen möglicherweise von einem außerordentlichen kleinen Parteitag. Da die Finanztransaktionssteuer ein Herzensanliegen der Sozialdemokraten ist, steigen die Chancen für eine Zustimmung der SPD-Parteibasis, wenn sich Gabriels Deutung einer „180-Grad-Wende“ von Union und FDP durchsetzt. Der SPD-Parteikonvent tagt nur drei Tage nach dem nächsten Spitzentreffen zum Fiskalpakt am kommenden Mittwoch.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false